Symbole helfen nicht weiter So kläglich versagen die Parteien nach Hanau
Nach rechtem Terror reagieren Politiker oft gleich: Sie drücken ihr Mitgefühl aus. Das ist richtig, doch viel zu wenig. Jetzt brauchen wir konkrete Maßnahmen gegen den rechten Terror.
Weil sie ihm nicht "deutsch" genug waren, erschießt ein Mann neun Menschen. Im Februar 2020. In einer hessischen Kleinstadt. Solch ein Verbrechen könnte sich jederzeit wiederholen: morgen, nächste Woche oder in einem Jahr. Es war nicht das erste Mal: Die Morde des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in den Jahren 2000 und 2007. Das Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019. Der Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019.
Menschen gehen auf die Straßen und demonstrieren gegen Hass und Ausgrenzung. Politiker, vom Bürgermeister bis zur Bundeskanzlerin, reagieren und drücken ihr Mitgefühl mit großem Pathos aus.
Tage nach dem Anschlag zurück zur Tagesordnung
Sie ergehen sich nach großen rechten Anschlägen in mitleidigen Meldungen in sozialen Medien und großen Reden bei Gedenkveranstaltungen. Sie sagen Dinge wie: Der Verlust der Familien tue ihnen leid, es sei ein schreckliches Verbrechen, sie seien in Gedanken bei den Angehörigen. Wie nett, vielen Dank.
Ein paar Tage später gehen sie wieder zurück zur Tagesordnung. Kriege hier, Pandemien dort, rechter Terror kommt dann wieder auf die politische Tagesordnung, wenn erneut ein Rassist durchdreht. Aber auch dann nur als To-do für die Social-Media-Beauftragten und Redenschreiber. Eine echte Aufarbeitung, eine Auseinandersetzung mit Rassismus? Passt grad nicht.
Deutsche Parteien könnten etwas gegen Rassismus tun
Wer nimmt sich auch schon gern einer anstrengenden, langwierigen Aufgabe an? Der Hass gegen das, was nicht "deutsch genug" erscheint, durchzieht alle Schichten, alle Stellen, alle Institutionen im ganzen Land. Wer Rassismus beseitigen will, muss ein ganzes System ändern.
Zu viele Menschen glauben, dass Menschen mit dunklerer Haut automatisch kriminell sind. Dass Frauen in Kopftüchern radikale Musliminnen sind. Dass Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache nicht gut in der Schule sein können.
Die gute Nachricht ist: Die großen deutschen Parteien hätten die Kompetenzen, dieses Problem anzugehen. Die schlechte Nachricht ist: Sie tun es nicht. Klar, einige Parteien machen ein wenig Symbolpolitik gegen den Terror von rechts. Die CDU etwa hat sich entschieden, die Sicherheitsbehörden besser auszustatten. Dass Rassismus selbst in Polizeidienststellen und Militärkasernen zu finden ist: geschenkt.
SPD hat Ideale – bleibt aber unkonkret
Da ist die SPD ein Stück weiter. In ihrem Sieben-Punkte-Plan zur Stärkung der demokratischen Ordnung schreiben Funktionäre der Partei: "Für Rechtsextremisten in Uniform darf es keinen Platz geben." Sie wirbt sogar auf ihrer Webseite mit dem 156-jährigen Kampf gegen den Faschismus. Das sind hehre Ziele – nur leider bleibt die SPD in ihrem Beschluss des Präsidiums unkonkret.
Ironischerweise könnte ausgerechnet eine Partei nun helfen, die erst vor Kurzem noch mit der AfD paktieren wollte. Die FDP rühmt sich mit ihrem Einsatz für die Wirtschaft und den Markt. Mit Handwerkszeug, das man sonst nur aus Unternehmensberatungen kennt, könnte die FDP die Maßnahmen der CDU und die Ideale der SPD zusammenführen. Und zwar mit messbaren Zielvorgaben. So könnte sie auch glaubhaft machen, dass sie aus den Fehlern in Thüringen gelernt hat.
Welche konkreten Maßnahmen notwendig sind
"Wir stellen uns gegen Rassismus" ist etwa ein edles, aber kein sehr konkretes Ziel. "Wer einmal mit rechtsextremem Gedankengut auffällt, hat ab 2021 keinen Platz mehr in den Reihen des Staatsdienstes" ist da schon besser – auch wenn es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte.
Die Maßnahmen sollten dabei auch vergangene Missstände beachten. So muss der NSU-Terror restlos aufgeklärt werden. Auch wenn das bedeutet, in den Reihen der eigenen Sicherheitsbehörden zu ermitteln.
Wir brauchen Maßnahmen jetzt
Maßnahmen sollten sich auch in die Zukunft richten. Demokratische Grundsätze und Antirassismus müssen den Menschen in Deutschland vermittelt werden – nicht nur in Schulen. Es müssen auch Projekte gefördert werden, die allen Menschen Alternativen zu Hass und Ausgrenzung aufzeigen. Durch eine Umstrukturierung der Fördergelder bangen aber gerade Modellprojekte und Initiativen gegen Online-Hass um ihr Bestehen. Das lässt viele der politischen Reden nach Hanau zynisch klingen.
Jedenfalls ist die Zeit der Zeichen gegen Rassismus vorbei. Deutschland braucht keine symbolischen Handlungen gegen den Hass in der Gesellschaft, keine großen Reden darüber, wie wichtig Zusammenhalt ist. Vielmehr brauchen wir eine Politik, die handelt. Wir brauchen Aufklärung, wir brauchen Gesetze gegen Rassismus, wir brauchen Maßnahmen, die greifen. Und all das nicht irgendwann, sondern jetzt.
Ana Grujić ist Redakteurin bei t-online.de. Geboren in Bosnien, wuchs sie in Österreich auf und lebt seit fünf Jahren in Berlin. Deshalb weiß sie: Es gibt mehr als eine Heimat.