Der Orloj ist weg Wo ist die Prager Rathausuhr geblieben?
Für Prag-Touristen gehört die Astronomische Uhr am Altstädter Rathaus zum absoluten Pflichtprogramm. Doch im Moment gibt es viele lange Gesichter: Die Uhr, der Orloj, ist weg.
Der Hüter der berühmten Astronomischen Uhr in Prag heißt Petr Skala. Normalerweise fährt er einmal die Woche zum Rathausturm auf dem Altstädter Ring, klettert die enge Treppe hinauf und schaut bei den Apostelfiguren, die sich zu jeder vollen Stunde bewegen, nach dem Rechten. Doch seit Anfang 2018 steht das komplizierte Uhrwerk, das sogar die Mondphasen anzeigt, still. "Wir haben die Uhr zu Hause im Atelier", verrät Skala.
Videoprojektion als Ersatz
Die vielen Touristen, die sich sonst als Menschentraube vor dem großen Kalendarium versammeln, gehen noch bis Ende des Sommers leer aus. Immerhin gibt es – wenn auch kein vollwertiger Ersatz – eine Videoprojektion. Derweil nimmt Skala den Mechanismus im Inneren der Uhr bis in alle Einzelteile auseinander.
"Wir arbeiten jeden Tag, auch sonntags", sagt Skala, der in diesem Jahr bereits 72 wird. "Hier hat sich wie durch ein Wunder das ursprüngliche Gehwerk erhalten", erklärt er fast ehrfürchtig. Es stammt aus dem Jahr 1410, als es von dem Uhrmachermeister Nikolaus von Kaaden geschaffen wurde.
Die Teile werden von Lackresten und Verunreinigungen befreit. Anschließend wird alles wieder zusammengesetzt. Bei dieser Gelegenheit sollen zudem einige frühere Restaurierungssünden wiedergutgemacht werden. Wie in alten Zeiten werden Gewichte an Seilen aus Hanf hängen, die beim Lauf über eine Seilrolle die einzelnen Werke antreiben.
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hatten elektrisch angetriebene Ketten die Seile ersetzt. Damit die Uhr nicht jeden Morgen aufgezogen werden muss, wird es dennoch einen Motor geben, der aber unsichtbar in den Seiltrommeln versteckt ist. "Das wird eine magische Angelegenheit", freut sich Skala.
Lange Zeiger zeigen Stunden an
Eine Überraschung wartet für die jährlich mehr als sieben Millionen Besucher der Goldenen Stadt auch hoch auf dem Altstädter Rathausturm. "Ich kann die Uhrzeit wirklich nicht ablesen", wundert sich zum Beispiel eine junge Frau. Skala und die Uhrmacherfirma Hainz haben die ursprünglichen barocken Turmuhren rekonstruieren lassen. Und bei denen zeigt der lange und größere Zeiger die Stunden, der kurze Zeiger aber die Minuten an. "Es hat seine Logik", meint Skala. Mit einem Durchmesser von 3,3 Metern zählt das Ziffernblatt zu den größten in Tschechien.
Zum "orlojnik", wie man den Hüter der Astronomischen Uhr auf Tschechisch nennt, wurde Petr Skala eher durch Zufall. Von Haus aus Bildhauer, fielen ihm vor mehr als 25 Jahren die vielen stillstehenden Kirchturmuhren in Tschechien auf. "Da haben wir festgestellt, was es hier in den Türmen für Schätze gibt, alte Uhren aus der Barockzeit in einem tristen Zustand, die zum Beispiel seit 70 Jahren nicht laufen", erinnert er sich.
Skala machte deren Reparatur zu seinem neuen Beruf – zusammen mit seiner Frau, einer Schmuckdesignerin. Vor acht Jahren wurde ihm dann das Prager Wahrzeichen anvertraut. Zweifellos sei das die größte Ehre für jemanden in seinem Beruf, sagt der Tscheche.
Legenden sagen Düsteres voraus
Doch die Legenden sagen Schreckliches voraus, wenn der Prager Orloj zum Stehen kommt. Nach einer kommt es zu einem Krieg oder einer anderen Katastrophe. Nach einer anderen Sage wird verrückt oder stirbt, wer in den Lauf der Uhr eingreift. Ein größeres Unglück ist Skala jedenfalls noch nicht zugestoßen – nur einmal vor einigen Jahren, da liefen die Figuren der Apostel zwei Stunden lang im Kreis. Sie hätten müde ausgesehen, scherzte Skala daraufhin.
Ein großes Problem ist heutzutage der Vandalismus. Einmal hing ein betrunkener Tourist an den Zeigern, kam aber nicht wieder runter. Die Feuerwehr musste ihm aus der Klemme helfen. Ein anderes Mal verlor die Statue des Astronomen seine Hand – und das, obwohl die Uhr per Video überwacht wird.
Sollte man einen historisch so kostbaren Zeitmesser nicht lieber ins Museum stellen – und am Prager Rathausturm eine Kopie installieren? "Nein", sagt Skala entsetzt. "Das wäre eine Sünde."
- dpa