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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Leben Junge deutsche Winzer: Aufs Maximum reduziert
Die jüngste deutsche Winzergeneration produziert feine Weine auf einem Niveau, das noch vor wenigen Jahren nur die international renommierten Top-Betriebe erreichten. Bei Verkostungen und Wettbewerben landen sie ganz vorne – oft zur Überraschung der etablierten Weinkritik. WANTED.DE stellt drei Weingüter mit viel Potenzial vor.
Früher waren Winzer schlichte, bodenständige Landwirte, die ihre Weine so wie die Vorfahren erzeugten. Das Aussehen des Etiketts spielte keine Rolle, der Vollernter sparte viel Zeit bei der Ernte und die Kunden kauften am liebsten Weine, die Opa schon so gerne mochte. Die junge deutsche Winzergeneration schneidet dagegen Reben per Hand in der Steillage, lässt darin Gras und Kräuter wachsen, reduziert drastisch die Erntemenge und erscheint gut gelaunt im Designeranzug zur Weinpräsentation in Hamburg, München und Berlin. Was bei ihnen im Weinberg und Keller geschieht, erzählen sie mit lässigen Kommentaren über Twitter, Facebook, Whatsapp und Instagram.
Der morgige Stern am Wein-Firmament
Zu den mutmaßlichen Stars der Weinszene von morgen gehört beispielsweise Thomas Pfaffmann vom Weingut Wageck-Pfaffmann im nordpfälzischen Bissersheim. Dort gibt es weder Weinberge mit großem Namen noch Top-Betriebe. Er und sein Bruder Frank, beide um die 30 Jahre alt, ändern das seit einiger Zeit. Sie übernahmen den immerhin 58 Hektar großen Betrieb vor einigen Jahren von den Eltern. "Wir haben damals 35 Rebsorten angebaut, um für alle das Richtige anbieten zu können. Es gab keine Philosophie - was der Kunde wollte, bekam er. So wollten wir aber nicht arbeiten. Für uns geht’s um die Qualität und Terroirprägung der Weine", erzählt Thomas Pfaffmann, "und daher haben wir richtig Gas gegeben."
2012 entstanden die ersten Weine seiner neuen Linie, die nur den Namensteil "Wageck" trägt. "Es gibt in der Umgebung einige Güter mit dem Namen Pfaffmann – so kann man uns nicht mehr verwechseln." Thomas Pfaffmann produziert etwa Pinot Noir (Spätburgunder) aus Trauben von Rebstöcken aus dem Burgund mit extrem niedrigem Ertrag. Er selektiert vor dem Keltern die Beeren akribisch, um perfektes Lesegut zu verarbeiten. Das Vergären geschieht spontan ohne den Zusatz von Reinzuchthefe. "Mir geht’s um die Konsequenz in allen Schritten."
Weine aus dem Burgund als Vorbilder
So produziert er nur Lagenweine, wenn die Traubenqualität des Jahrgangs gut genug ist. Seine Lagen sind zwar nicht bekannt, aber so arbeiten auch die renommiertesten Güter im Burgund – und deren Flaschenpreise liegen ziemlich oft über 200 Euro. Die sind sein Maßstab: "Wir kaufen und verkosten sehr viele der besten roten Burgunder – das kostet Geld, aber es erweitert unseren Horizont", erzählt er. Das beeinflusst seine Arbeit, die nicht mit dem Abhaken von Kriterien funktioniert: Alle Schritte in der Produktion fokussieren und reduzieren. An die Qualität der Reben glauben. Das macht zwar verdammt viel Arbeit, aber damit entstehen völlig andere Weine mit individuellen, komplexen Aromen und langem Lagerpotenzial. Er setzt neben Pinot Noir auf die Rebsorten Merlot und Cabernet Sauvignon, bei den Weißweinen auf Chardonnay, Sauvignon Blanc, Grau- und Weißburgunder sowie Riesling.
Mit seinen Weinen hat sich Pfaffmann leise unter die renommierten Spitzenwinzer der Pfalz geschlichen. Doch seine Weine sind nie spektakulär, was es ihnen bei Verkostungen schwer macht: "Die Weine sind sind eher leise, meist knochentrocken, straff, dabei völlig unaufdringlich, sodass es oft einen dritten oder vierten Schluck braucht, bis man merkt, wie gut sie wirklich sind", bestätigt der für seine Strenge bekannte, unabhängige Weinkritiker Marcus Hofschuster (www.wein-plus.eu).
Geheimtipps in Rheinhessen
Auch in Rheinhessen gibt es einige junge Winzer, die mit allerfeinsten Weinen auf sich aufmerksam machen. Im weiten Hügelland links des Rheins gibt es – bis auf die Rheinfront bei Nierstein – nur wenige berühmte Lagen. Daher können Weingüter nur mit ihren Weinen überzeugen – und davon gibt’s in Deutschlands größtem Anbaugebiet eine Menge. Eine der neuen Top-Adressen ist das Weingut Braunewell in Essenheim, ein paar Kilometer entfernt von Ingelheim.
Die Brüder Christian und Stefan Braunewell arbeiten seit einigen Jahren im elterlichen Weingut. Beide haben den Weinbau-Studiengang an der renommierten Hochschule Geisenheim absolviert, der ältere Stefan machte dazu Station in der Pfalz, der Wachau in Österreich und beim angesehenen Bordeaux-Weingut Château Citran. Auf mehr als der Hälfte ihrer rund 20 Hektar Rebfläche bauen sie Grau- und Weißburgunder, Spätburgunder sowie Chardonnay an, dazu kommt Riesling. Stefan Braunewell erklärt die Komponenten seiner hohen Weinqualität so: "Späte Lese, damit die Trauben lange am Stock hängen, intensive Aromen, feine Säure sowie Eleganz und Finesse. Ich will keine fetten, plumpen Weine machen."
Überraschender St. Laurent
Eine seiner Überraschungen ist der extrem elegante, lange im Barrique gereifte Rotwein aus der oft unterschätzten Sorte St. Laurent, die in Rheinhessen öfter angebaut wird. Kraft verbindet sich da mit Feinheit, Kühle mit Klarheit und Frucht. "Im Keller kommt es uns nur noch darauf an, nichts falsch zu machen. Die Kunst des Winzers zeigt sich heute im Weinberg", erklärt er seinen Anspruch, mit dem die Brüder bereits jede Menge Auszeichnungen eingeheimst haben.
Spitzenwein von den Gebrüdern Runkel
Ebenfalls aus Rheinhessen stammen die Brüder Christian und Matthias Runkel, die das nach ihrem Großvater benannte Weingut Bischel im 1500 Einwohner kleinen Appenheim führen. Die beiden etwa 30-jährigen Winzer haben in ebenfalls Geisenheim studiert und gehören seit einiger Zeit zu den Spitzenbetrieben, deren Weine inzwischen auch bei Rheinhessens Starwinzern wie Philipp Wittmann oder Klaus Peter Keller hohe Anerkennung finden.
Riesling, Weißburgunder, Chardonnay und Pinot Noir produzieren sie ebenso auf Top-Niveau wie die oft wenig beachtete Rebsorte Scheurebe. Sie kaufen Parzellen in Steilhängen hinzu, die beste Bedingungen bieten, aber nur mit gewaltigem Arbeitsaufwand zu bearbeiten sind. Den Brüdern ist das egal – das Niveau des Weins muss für sie stimmen. So übernahmen sie 2,5 Hektar Weinberg im einst berühmten und heute fast vergessenen Binger Scharlachberg mit 26 Jahre alten Reben. "In diesen weit oben liegenden, steilen und sehr steinigen Terrassen reifen die Trauben besonders langsam aus", erklärt Christian Runkel den Grund für den Kauf.
Die Bischel-Weine zeugen von Tiefe, Finesse und Komplexität, aber erst nach zwei bis vier Jahren Reife zeigen sie, was wirklich in ihnen steckt. Der Weinführer Gault Millau hat ihnen inzwischen die dritte von fünf Trauben erteilt. Es wird nicht ihre letzte gewesen sein.