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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Anwohner nicht begeistert Terrorgefahr lässt Urlauber wieder Iberische Halbinsel entdecken
Viele Urlauber sind verunsichert oder haben gar Angst. So reisen weniger Menschen in die Türkei oder nach Tunesien, sondern entdecken "alte bekannte" Reiseziele wieder für sich. Spanien und Portugal können sich über zunehmende Gästezahlen freuen, doch das gefällt nicht jedem Anwohner.
Mit den immer längeren Sonnentagen, der langsam anbrechenden Urlaubszeit und erhöhter Terrorgefahr erlebt die Iberische Halbinsel ein Comeback. Der Wirtschaft der beiden finanzklammen Euro-Länder Spanien und Portugal kommt diese unverhoffte Wendung zugute, und die meisten Einwohner begrüßen den Besucherstrom. Doch einige zeigen sich noch vor Beginn der diesjährigen Hochsaison zunehmend genervt vom Massenandrang in den engen, historischen Altstädten oder an beliebten Stränden.
"Tourist, geh nach Hause"
In Palma, der Hauptstadt der Ferieninsel Mallorca, tauchten im April wenig schmeichelhafte Graffitis auf Stadtmauern auf. Auf Englisch stand da etwa "Tourist, Du bist der Terrorist" oder "Tourist, geh nach Hause". In Barcelona, der katalanischen Regionalhauptstadt, ist der Unmut angesichts der überfüllten Straßen und Orte besonders groß. Und das nicht erst seit kurzem: 2015 gewann eine Politikerin die Bürgermeisterwahl mit dem Versprechen, ein neues Hotelprojekt zu stoppen und eine Balance zwischen wirtschaftlichem Nutzen des Tourismus und dem Wohlbefinden der Einwohner zu finden.
Auch auf der anderen Seite der iberischen Halbinsel, in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon, schimpfen die Anwohner zunehmend über volle Bürgersteige und Verkehrschaos. Tourismusexperten sind sich sicher, dass die Sorgen vor neuen Anschlägen mit dazu beitragen, den Touristenstrom weg von traditionellen Urlaubszielen wie Ägypten, Tunesien oder der Türkei in Richtung westlicher Mittelmeerländer zu lenken. "Die Bedrohungen durch Terror sind ein Faktor geworden", sagt Rochelle Turner vom World Travel and Tourism Council in London, einem Forum für die Reiseindustrie.
30 Prozent weniger Urlauber in der Türkei
Dieser Trend schlägt sich in markanten Zahlen nieder: So meldete das türkische Tourismusministerium, dass im April fast 30 Prozent weniger Touristen ins Land gekommen seien als noch im selben Monat des Vorjahres. Nach Spanien reisten indes allein in den ersten beiden Monaten 2016 über elf Prozent mehr Urlauber als noch im selben Zeitraum 2015. Behörden sagen voraus, dass das Land in diesem Jahr zum vierten Mal in Folge einen Besucherrekord aufstellen wird.
2015 hatten 68,1 Millionen Touristen Spanien zu ihrem Urlaubsdomizil gemacht, fast fünf Prozent mehr als 2014. Damit fand sich das Land auf Platz zwei der beliebtesten europäischen Reisedestinationen hinter Frankreich wieder. Die meisten Urlauber kamen aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland - und sie brachten der Wirtschaft 67,4 Milliarden Euro ein, wie das Statistikamt festhielt.
Portugal mit Besucherrekord
Auch Portugal erzielte 2015 mit mehr als 17 Millionen Touristen - einem Plus von neun Prozent gegenüber 2014 - einen neuen Besucherrekord. Von Januar bis März stieg die Zahl der Urlauber weiter, und zwar um fast 15 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum. Beide Länder können den wirtschaftlichen Schub, den der Tourismus mit sich bringt, bestens gebrauchen: Sowohl Spanien als auch Portugal waren mit Ausbruch der globalen Finanzkrise kräftig ins Schleudern geraten.
Der Urlauberstrom brachte allein in den ersten drei Monaten 2016 fast 90.000 neue Jobs mit sich, was eigentlich eine gute Nachricht ist angesichts der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit. Einige Experten sagen aber, dass alles besser geleitet werden müsste. "Wir können, was das Volumen betrifft, nicht einfach weiter in einem halsbrecherischen Tempo wachsen", warnt Exceltur, eine gemeinnützige Gruppe, die von den Vorsitzenden der 25 führenden spanischen Reiseanbieter gegründet wurde.
Barcelona platzt aus allen Nähten
Die katalanische Hauptstadt Barcelona, die selbst 1,6 Millionen Einwohner zählt, empfing bereits 2005 gut vier Millionen Touristen. Zehn Jahre später, 2015, erreichte die Zahl die Marke von sieben Millionen - und löste Alarm aus. "Ich bin für sensiblen Tourismus", sagt die 65-jährige Rentnerin Rosa María Miguel aus dem Viertel um den früheren Fischereihafen Barceloneta, in dem heutzutage Luxusjachten anlegen. "Aber die Wahrheit ist, dass wir invadiert wurden. Der Erfolg von Barcelona ist auch sein größter Feind".
Zu den ausländischen Touristen in Barcelona gehört Aime Bwakira, ein 41-jähriger Finanzanalyst aus der kanadischen Metropole Toronto. Ihm gefällt das Flair der mediterranen Hafenstadt so gut, dass er bereits zum dritten Mal über den Großen Teich geflogen kam. "Ich kann die Frustration der Einwohner verstehen", meint er. "Während wir der örtlichen Wirtschaft Geld einbringen, überfüllen wir zugleich auch die Straßen, sorgen für einen Preisauftrieb, bescheren Lärm und pöbelhaftes Auftreten". Was die richtige Balance sei, wisse er allerdings auch nicht.
Die Blase könnte platzen
Eine solche Balance möchte die seit Juni 2015 amtierende Bürgermeisterin Ada Colau nun finden. Sie tauscht sich unter anderem mit der Stadtregierung von New York aus, um auszuloten, wie am besten mit dem Massenandrang umzugehen sei. "Barcelona hat sich als eines der weltweiten Topreiseziele konsolidiert", sagte sie kürzlich. "Doch unkontrolliertes Wachstum könnte die Blase auch platzen lassen."
Colaus Stadtregierung hat nun ein Moratorium für neue Hotelbauten verhängt und erwägt zudem, eine Touristensteuer einzuführen. Klares Ziel einer solchen Maßnahme sind die Tausenden Touristen, die mit Kreuzfahrtschiffen in Barcelona anlegen und nur wenige Stunden verweilen. Am 5. Juni etwa soll das weltweit größte Kreuzfahrtschiff, die "Harmony of the Seas", vor Anker gehen - und sie hat Kapazität für mehr als 5000 Passagiere.
Einwohner werden verdrängt
Während Barcelona die Dinge etwas herunterfahren möchte, will Lissabon Schritt halten mit der wachsenden Nachfrage. 2015 öffneten dort mehr als 50 Hotels ihre Pforten - zum Leidwesen vieler Anwohner. Eine Gemeinde in der Innenstadt hat die Einwohner bereits als "Kollateralschaden" inmitten des Touristenbooms bezeichnet, denn diese würden von überfüllten Bürgersteigen gedrängt und aus beliebten Restaurants ferngehalten.
In dem mittelalterlichen, malerischen Viertel Alfama mit seinen engen, kopfsteingepflasterten Gassen, geht man indes offenbar mit dem Zeitgeist. Dort überlassen immer mehr Anwohner ihre Häuser dem lukrativen Geschäft mit den Touristen.