Mit oder ohne Job: Mütter in der Kritk Manuela Schwesig als Rabenmutter beschimpft
Familienministerin Manuela Schwesig ist wegen ihrer Rückkehr in den Beruf nach der Geburt ihrer Tochter Julia heftig kritisiert worden. "In den sozialen Medien wurde ich als Rabenmutter und Egoistin beschimpft, mein Mann als Weichei", sagte die SPD-Politikerin dem "Tagesspiegel am Sonntag". Doch auch Mütter, die daheim bei den Kindern bleiben, werden heute immer öfter angegriffen und kritisiert.
Schwesig hatte nach der Geburt ihrer Tochter am 8. März ihre Arbeit im Ministerium Anfang Mai wieder aufgenommen, während ihr Mann in Elternzeit ging. "Die Rabenmütter-Debatte finde ich unerträglich", sagte die Ministerin. Glücklicherweise habe es in sozialen Medien insgesamt "überwiegend unterstützende Reaktionen" auf die Aufgabenteilung in ihrer Familie gegeben.
In Deutschland geht der Anteil der Mütter, die nicht arbeiten gehen, stetig zurück. Statistiken zeigen, dass immer weniger Familien das traditionelle Familienmodell leben, bei dem nur der Mann das Geld verdient. Wurden bisher meist Mütter beschimpft, wenn sie arbeiten gingen, ist es heute auch oft umgekehrt: Vollzeitmütter, die daheim bleiben, müssen sich zunehmend rechtfertigen.
Mütter stehen immer in der Kritik
Bei Familie von Hutten im brandenburgischen Wustermark wird noch das traditionelle Rollenbild gelebt. Die siebenjährige Clementine klettert auf einen Baum, am Ast neben ihr klammert sich ihre Schwester Johanna fest.
Mutter Helena schaut dem Treiben im frühlingshaften Garten zu, das dritte Töchterchen Esther auf dem Arm. Ein normaler Nachmittag im Haushalt der Familie. Während andere Kinder noch in Schule und Kita sind, genießen die Mädchen die Stunden zu Hause.
Die Familie lebt ein Modell, wie es zwischen 1960 und Mitte der 1990er Jahre vor allem in Westdeutschland selbstverständlich war: Der Mann verdient das Geld, die Frau kümmert sich um die Kinder.
Doch während arbeitende Mütter schon immer als "Rabenmütter" beschimpft wurden, müssen sich heute auch Frauen, die zu Hause bleiben, Kritik gefallen lassen.
Vollzeitmütter geraten unter Rechtfertigungsdruck
In Zeiten, in denen Familienministerin Schwesig kurz nach der Geburt wieder am Schreibtisch sitzt, stehen manche Mütter unter Rechtfertigungsdruck. "Andere Mütter werfen mir vor, altmodisch und unemanzipiert zu sein", sagt von Hutten. Sie will ihren Kindern Geborgenheit, Ruhe und einen Rhythmus im Leben geben. Auch Fahrlässigkeit in Sachen Bildung sei ihr attestiert worden, weil sie die Mädchen erst mit drei in die Kita brachte.
Als die Sticheleien zunahmen, verteidigte sie ihr Modell in einem offenen Brief im Internet. Jetzt arbeitet sie mit einer Pädagogin an einem Buch. "Wir wollen gehört werden und Frauen ermutigen, selbstbestimmt zu leben", sagt von Hutten.
Zuschüsse für Kitaplätze, aber nicht überall Betreuungsgeld
Die 30-Jährige will, dass mehr Frauen die Chance haben, sich für ein Leben als Vollzeitmutter zu entscheiden. "Kitaplätze werden mit 1000 Euro monatlich subventioniert. Wer zu Hause bleibt, bekommt in den meisten Bundesländern nicht einmal mehr Betreuungsgeld", ärgert sich von Hutten. Sie habe auch nichts dagegen, wenn Väter zu Hause blieben - Hauptsache, ein Elternteil sei für die Kinder da.
"Die Abschaffung der Mütter" - Mangel an Wertschätzung?
Gerade erst haben die Schriftstellerinnen Alina Bronsky und Denise Wilk in ihrem Buch "Die Abschaffung der Mütter" eine mangelnde Wertschätzung der Mutterschaft thematisiert. "Sich Hausfrau zu nennen, ist heute schon etwas Revolutionäres", sagt die vierfache Mutter Bronsky. Alle seien hypnotisiert von der Norm der Super-Mama, die Beruf und Kinder unter einen Hut bringe. "Wer sich für ein anderes Modell entscheidet, lebt fast schon in einer Tabuzone."
Der "Spiegel" schreibt gar von einem Comeback der Hausfrau. Doch das traditionelle Modell wird seltener. Brachten 1996 bundesweit noch in 40 Prozent der Familien mit mindestens einem minderjährigen Kind nur die Väter das Geld nach Hause, war dies laut Statistischem Bundesamt 2014 nur noch in 29 Prozent der Familien der Fall.
Von "Renaissance der Hausfrau" kann keine Rede sein
Und längst nicht immer sei es auch das Modell der Wahl, sagt Sabine Diabaté vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: "Frauen, die sich bewusst für die Rolle als Hausfrau entscheiden, sind eher in der Minderheit", sagt die Expertin. "Von einer Renaissance der Hausfrau kann man überhaupt nicht sprechen."
Die Münchner Soziologin Paula-Irene Villa beobachtet vor allem eine stärkere mediale Präsenz dieser Mütter: Einige Jahre habe die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Mittelpunkt gestanden. "Jetzt werden Frauen sichtbarer, die sagen, "Wir möchten gern zu Hause bleiben". Das Ganze wird auch hochgejazzt. Viele denken, sie müssten jetzt einen Blog oder ein Buch schreiben", sagt Villa. Seit es viele verschiedene Familienmodelle gebe, spürten viele Frauen den Druck, sich erklären zu müssen. "Das ist ein ganz normaler Vorgang. Die Frauen nehmen Kritik von außen nur unterschiedlich wahr. Einige Mütter leiden, andere nicht."
Hinzuverdienermodell ist am weitesten verbreitet
Laut Diabaté wird das traditionelle Modell hauptsächlich im ersten Jahr nach einer Geburt gelebt und in Westdeutschland oft noch bis zum Kindergartenalter. "Danach wollen die meisten zurück in den Beruf." Am weitesten verbreitet sei das Hinzuverdienermodell, bei dem der Mann Vollzeit und die Frau Teilzeit arbeite.
Als von Hutten ihr erstes Kind bekam, legte sie ihr Psychologie-Studium auf Eis. "Es war klar, dass jetzt die Familie dran ist", sagt sie. Ihr Mann habe bereits im Berufsleben gestanden. Die Frauen-Finanzexpertin und Autorin Helma Sick ("Ein Mann ist keine Altersvorsorge") warnt allerdings: "Eine Frau, die viele Jahre nicht berufstätig ist, geht ein hohes Risiko ein. Sie verliert ihre berufliche Qualifikation, hat im Alter kaum Rente, ist also lebenslang von den Einkünften ihres Ehemannes abhängig."
Noch schlimmer sei es, wenn es zu einer Scheidung komme, was heute bei jeder dritten Ehe der Fall sei. Eine Frau bekomme keinen Unterhalt, wenn keine Kinder unter drei Jahren zu versorgen seien. "Und sie wird in der Regel eine Rente haben, von der sie nicht leben kann", sagt Sick.