Fremdenführer in Athen "Leider glauben viele Deutsche, dass wir sie hassen"
Die Krise in Griechenland sorgt für Unsicherheit. Die große Stornierungswelle bei deutschen Touristen bleibt zwar bislang aus, doch die Fremdenführer vor Ort leiden unter der Situation.
Im Schatten eines Olivenbaums sitzen Vivi Papachrist und Fotini Lepidu und warten auf Kundschaft. Die beiden Frauen führen deutsche Touristen über die Akropolis. Momentan jedoch haben sie wenig zu tun.
"Es kommen deutlich weniger", sagt die 27-jährige Lepidu. Schon seit dem Beginn der Krise, aber derzeit seien es besonders wenige. "Kollegen, die sich nur auf deutsche Urlauber spezialisiert haben, kämpfen ums Überleben."
Kanzlerinbesuch brachte mehr Touristen
"Leider glauben ganz viele Deutsche, dass wir sie hassen", sagt Papachrist, 47 Jahre alt, während sie an ihrer selbstgedrehten Zigarette zieht. "Dabei mag ich die Deutschen am liebsten, sie sind pünktlich, gut vorbereitet und interessiert."
Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im vergangenen Jahr Athen besucht habe, seien auch wieder mehr Deutsche zur Akropolis gepilgert. Jetzt kämen sie allenfalls mit Pauschalreisen in großen Gruppen und ließen "kein Geld im Land".
Wenige Deutsche an der Akropolis
Papachrist und Lepidu warten jedenfalls schon eine Weile, während britische, russische, japanische und australische Familien und Reisegruppen auf die Akropolis steigen. Um die Stadtfestung herum sind nur wenige Deutsche unterwegs. Veronika und Ottokar Seibert aus Brühl lassen sich von einer griechischen Freundin herumführen.
"Es ist einfach wundervoll hier", sagt Veronika Seibert. Am Dienstag - als Athen aus dem Rettungsprogramm stolperte und den IWF nicht bezahlte - reisten sie an. Die Bilder von den Schlangen an den Bankautomaten sahen sie noch in Deutschland. "Aber wir haben keine Sekunde daran gedacht, die Reise abzusagen." Sie hätten einfach genug Bargeld mitgenommen - dabei sei das Abheben für Ausländer kein Problem.
Plakat zeigt Schäuble als Vampir
Ottokar Seiberts Einstellung zu den Griechen veränderte sich, seit er in Athen ankam. "Zu Hause war mir unbegreiflich, dass einige aus dem Euro rauswollen", sagt er. "Wenn ich jetzt diese Kulturschätze sehe, dann kann ich ihren Stolz sehr gut verstehen - und dass sie das nicht alles verkaufen wollen."
Dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vor dem Referendum auf Plakaten des Nein-Lagers als blutrünstiger Vampir dargestellt wird, ignorieren die Seiberts - und freuen sich schon auf die Weiterreise nach Monemvasia im Südosten des Peloponnes. Ihre griechische Freundin Gkavela Eirine wird dort am Sonntag am Referendum teilnehmen. "Ich werde mit Nein stimmen", sagt sie. "Wir wollen im Euro bleiben, aber ohne Maßnahmen."
Branchenzahlen sind gut
Die Branchenzahlen bestätigen die Erfahrungen der beiden Reiseführerinnen vor der Akropolis nicht. Nach Angaben der Griechischen Zentrale für Fremdenverkehr reisten im vergangenen Jahr zweieinhalb Millionen Bundesbürger nach Griechenland, so viele wie nie zuvor.
Und die Buchungszahlen lägen in diesem Jahr auf Höhe des Vorjahreszeitraums. "Die Deutschen lassen sich durch die derzeitigen Schlagzeilen nicht verunsichern", erklärt der Deutsche Reiseverband. Doch die aktuellsten Werte stammen vom Mai.
Reiseveranstalter fürchten "Nein" bei Referendum
Viele Reiseveranstalter fürchten bei einem Sieg der Nein-Sager die Verschärfung der Krise. "Wir nehmen in unsere neuen Verträge Klauseln auf, dass wir beim Grexit in Drachme bezahlen", sagt die Betreiberin eines Hotels auf Kreta, die ihren Namen nicht in den Medien sehen will. Noch gebe es keine einzige Stornierung. "Aber wenn es bergab geht, wissen wir nicht, wie wir unsere Mitarbeiter halten können."
Auch unter dem schattigen Olivenbaum wird Politik gemacht. "Ich stimme mit Nein", sagt die junge Fremdenführerin Lepidu. Sie findet es eine unverschämte Einmischung, dass EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker die Griechen zum Ja aufruft. "Sie drohen uns mit dem Euro-Aus, dabei geht es nur um das Programm." Ihre Kollegin Papachrist wird mit Ja stimmen. Damit wieder mehr Deutsche zur Akropolis kommen. "Und weil Griechenland Europa ist."