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Kritik am Abitur: "Abi gibt's zu sehr unterschiedlichen Preisen"


Kritik an "Einser-Inflation" und "Kuschelnoten"
Ist Thüringen ein "Abi-Wunderland"?

Von dpa
10.06.2015Lesedauer: 3 Min.
Kritik am Schmalspur-Abitur.Vergrößern des Bildes
Mühsamer Weg zum deutschlandweit einheitlichen Abitur. (Quelle: dpa-bilder)
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Jetzt jubeln sie wieder und spielen den Lehrern Streiche, die sie lange ausgeheckt haben: Der Abi-Streich ist das Ventil, um Druck nach dem Lern- und Prüfungsstress abzulassen. Doch ist der Druck überhaupt noch so groß? Haben wir nicht inzwischen Kuschelnoten beim Schmalspur-Abitur? Zu leicht, zu unterschiedlich, zu ungerecht - das deutsche Abitur ist wieder mal in die Kritik geraten.

Jetzt gehen die mehrwöchige Abiturprüfungen zu Ende. In einigen Bundesländern werden aber wohl wieder deutlich bessere Noten bejubelt als in anderen. Das heizt den Streit über Wert und Gerechtigkeit des Abiturs an. Handlungsbedarf angesichts einer "Abi-Lotterie" stellte gerade erst der "Spiegel" fest. Das Magazin wertete Daten der Kultusministerien und des Statistischen Bundesamtes zu den Abiturgesamtnoten 2006 bis 2013 aus. Ergebnis: Der Anteil der Einser-Abiturienten, aber auch der Durchfaller weicht in manchen Ländern regelmäßig deutlich vom Bundesdurchschnitt ab. These: Mancherorts sind die Startchancen für Numerus-clausus-Studienplatzbewerber deutlich besser als anderswo.

Kuschelnoten im Abi-Wunderland Thüringen

So schlossen 2013 in Thüringen 37,8 Prozent aller Kandidaten mit der Eins vor dem Komma ab, in Niedersachsen indes mit 15,6 Prozent nicht mal halb so viele (bundesweit: 23,3 Prozent). Auch der Notenschnitt klaffte auseinander - zwischen 2,17 in Thüringen und 2,61 in Niedersachsen.

Den Verdacht, dass im Abi-Wunderland Thüringen Kuschelnoten verteilt werden, weist Bildungsministerin Birgit Klaubert (Linke) zurück. Auch in bundesweiten Studien ohne Notenvergleich hätten Thüringer Schüler in den Vorjahren mehrfach vorderste Plätze belegt. Klaubert: "Das Thüringer Schulsystem setzt auf Leistung - und belohnt sie auch."

Der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Manfred Prenzel, spricht im "Spiegel" angesichts der Noten-Spreizung von "Subkulturen" in einzelnen Schulen und Ländern. "Die ostdeutschen Bundesländer haben eine ausgeprägte Tradition, Spitzenleistungen zu fördern und zu honorieren. Andere Länder neigen eher dazu, Abiturienten gleichzumachen, vielleicht aus politischen Gründen."

Aber nicht nur in Thüringen, fast überall in Deutschland verbesserten sich die Abi-Noten innerhalb der acht Auswertungsjahre. So lag der Einser-Anteil in Berlin 2013 fast doppelt so hoch wie 2006. Geht der begehrten Hochschulreife inzwischen nur noch ein quasi hinterhergeworfenes "Schmalspur-Abi" voraus, wie Skeptiker behaupten?

Philologenverband stichelt über "Leistungsexplosion"

Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, selbst Schulleiter in Bayern, stichelt im Gespräch mit der dpa: "Die nachweisbare massive Zunahme von Einser-Schnitten liegt sicher nicht daran, dass in Deutschland bei Abiturienten plötzlich eine Leistungsexplosion stattgefunden hat." Er denke zwar, dass man sich auch heute noch in den meisten Bundesländern für ein sehr gutes Abitur ordentlich anstrengen müsse. "Allerdings ist sicher auch wahr, dass das Abitur in Deutschland zu sehr unterschiedlichen Preisen vergeben wird."

Wenn "sogar renommierte Bildungsforscher wie Professor Prenzel sagen, die Qualität eines Gymnasiums bemesse sich unter anderem nach den Abitur-Durchfallquoten (möglichst niedrig) und den Durchschnitten (möglichst gut), dann ist doch klar, welche Botschaft an die Schulen gesandt wird: "Werft niemanden mehr durch und seid nicht knauserig mit Spitzennoten", so der Chef der Lehrergewerkschaft.

Die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK), Sachsens Bildungsministerin Brunhild Kurth (CDU), kontert Kritik an einer "Einser-Inflation": "Eine Krise des Abiturs sehe ich nicht - überhaupt nicht." Sie erkenne vielmehr den Wunsch von immer mehr Eltern, "dass ihr Kind einen guten Entwicklungsweg nimmt. Dies spiegelt sich in einer leichten Tendenz zur Verbesserung von Prüfungsnoten wider." Gute Abi-Leistungen seien also "nicht verwunderlich". Kurth: "Noch etwas kommt hinzu: Vielleicht leisten unsere Lehrerinnen und Lehrer ja einen ganz tollen Job?"

Mühsamer Weg zur Vereinheitlichung des Abiturs

Auf dem mühsamen Weg zu einer stärkeren Vereinheitlichung des Abiturs wollen die in der KMK zusammengeschlossenen Länderressortchefs trotz aller Föderalismus-Differenzen ein Stück vorankommen. Es geht um den Aufbau eines Pools "mit orientierendem Charakter für den Abituraufgabenpool ab 2017". Kurth fordert: "Wir müssen zu Vergleichbarkeit kommen. Das hat auch etwas mit Chancengleichheit und Gerechtigkeit zu tun." Denn der Notenschnitt spiele eine wichtige Rolle bei der Studienplatz-Vergabe.

Sechs Länder (Bayern, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen und Schleswig-Holstein) sind bereits vorangegangen und haben gemeinsame Abituraufgaben oder Aufgabenteile in Mathematik, Deutsch und Englisch verwendet. Nun kommt Brandenburg bei Deutsch hinzu, 2016 Bremen bei Deutsch und Mathematik. Bis 2017 sammeln die Länder dann in einem Pool Abituraufgaben, geprüft vom renommierten Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB).

Theoretisch sei dann sogar denkbar, "dass alle die gleichen Aufgaben wählen", sagt KMK-Chefin Kurth. Zudem gebe es 2017 erstmals in 14 Ländern gleichzeitig ein Mathe-Abi. Kleine Schritte zu einer Abiturreform in der föderalistischen Bildungsrepublik Deutschland.

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