Nicht nur "lumpige Tarifauseinandersetzung" Es droht der bisher längste Erzieher-Streik
In Kindertagesstätten droht der wohl größte Arbeitskampf seit Einführung der organisierten Kinderbetreuung. Stimmen die 240.000 Erzieher und Sozialarbeiter für Streik, die Türen der kommunalen Kindergärten wochenlang verschlossen bleiben. Beim großen Streik 2009 hatten es die Gewerkschaften gemächlicher angehen lassen und immer nur für wenige Tage zum Streik geblasen. Verschnaufpausen soll es dieses Mal nicht geben. Bis zu den Sommerferien soll der Arbeitskampf abgeschlossen sein.
Die Gewerkschaften wollen für die Erzieher und Beschäftigten in sozialen Diensten eine deutliche höhere Wertschätzung für ihre Arbeit erreichen - und die führt über die Bezahlung. Gewerkschaften und kommunale Arbeitgeber verhandeln nicht über eine prozentuale Tariferhöhung. Die Gewerkschaften wollen durchsetzen, dass die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst mehrere Tarifstufen höher eingruppiert werden. Nach ihren Angaben hätte dies im Durchschnitt eine Gehaltserhöhung um zehn Prozent zur Folge.
So viel verdienen Erzieherinnen maximal
Die Einstufung im Tarifsystem der Erzieherinnen erfolgt nach Tätigkeit und Berufserfahrung. Eine Kinderpflegerin erhält als Anfangsgehalt 2043 Euro brutto im Monat, die Leiterin einer Kita kann bei besonders großen Einrichtungen bis zu 4749 Euro im Monat verdienen. Eine Erzieherin mit achtjähriger Tätigkeit bekommt nach Angaben von Verdi derzeit 2946 Euro im Monat. Nach den Vorstellungen der Gewerkschaft soll sie künftig 3387 Euro erhalten.
Die Arbeitgeber erklären, die meisten Erzieherinnen seien bereits jetzt in die höchste Erfahrungsstufe eingruppiert und hätten damit ein Monatsgehalt von 3289 Euro. Viele Kita-Beschäftigte beklagen hingegen eine schlechte Bezahlung und fehlende Wertschätzung.
"Wir wollen eine schnelle Lösung" sagt Günter Isemeyer von Verdi in Nordrhein-Westfalen. Im bevölkerungsreichsten Bundesland wird es voraussichtlich die umfangreichsten Arbeitsniederlegungen geben. Dort weiß die Gewerkschaft Zehntausende Erzieher hinter sich. Aber auch Niedersachsen und Baden-Württemberg werden stark betroffen sein, weil dort viele Kitas in kommunaler Trägerschaft stehen - die Verhandlungen laufen nur für die bei den Kommunen beschäftigten Erzieher.
"Wir haben immer weniger Zeit für die Kinder"
Die Mitarbeiter wissen, dass sie dieses Mal aufs Ganze gehen müssen, um ihr Anliegen durchzusetzen. "Es geht um keine lumpige Tarifauseinandersetzung", hatte die Erzieherin und Gewerkschafterin Gerlinde Schmidt aus Oberhausen bei der großen Kundgebung vor 12.000 Mitstreiterinnen in Dortmund Mitte April gesagt.
"Grundsätzlich möchten wir eine Aufwertung unseres Berufes erreichen", meint die Duisburger Erzieherin Gudrun Treubert. In der Kinderpädagogik habe sich viel verändert und die Arbeitsbelastung zugenommen. Vieles müsse schriftlich festgehalten werden wie Erhebungen von Sprachstands oder Bildungsdokumentationen. "Wir haben immer weniger Zeit für die Kinder."
Mehr Personal gibt es deswegen nicht. Der Personalschlüssel sei verschlechtert worden. "Entscheidend war 2008 die Umstellung von der Gruppen- auf die Pro-Kopf-Zuweisung beim Personal", sagt Ulrike Seifert, Leiterin von zwei Kitas in Dortmund.
Wie lange reicht die Geduld der Eltern?
Schließen die Kitas wochenlang, droht den Erziehern auch Ärger mit den Eltern. "Es haben alle Eltern Verständnis für die Streiks und nehmen einige Streiktage in Kauf", sagt Dorothea Engel vom Verband berufstätiger Mütter. "Wenn sie aber merken, der Arbeitskampf wird auf dem Rücken der Eltern ausgetragen, schwindet das Verständnis und die Töne sind nicht mehr so freundlich", sagt die Mutter von vier Kindern.
Lösungen wie bei kurzen Warnstreiks halten meist nicht lange vor. Großeltern kämen auch schnell an ihre Grenzen, wenn sie zum Beispiel einen Drei- und Fünfjährigen gemeinsam betreuen müssen. Engel rät Eltern dringend, sich abzusprechen: "Der erste Ansatz ist, dass sich Eltern zusammentun." Mit etwas Glück spielen auch Arbeitgeber mit. "Es gibt Firmen, die erlauben es, Kinder mitzubringen", sagt Engel.
Darauf sollten sich angestellte Eltern allerdings nicht verlassen und sollten das vorab mit dem Chef klären. Arbeitgeber haben keine Verpflichtung, das Mitbringen von Kindern zu dulden.