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Baby atmet nicht mehr


Rätselhafter Fall
Baby atmet nicht mehr

spiegel-online, Heike Le Ker

28.07.2014Lesedauer: 3 Min.
Ein gesundes Baby, das aufhörte zu atmen, stellte die Ärzte vor ein Rätsel.Vergrößern des Bildes
Ein gesundes Baby, das aufhörte zu atmen, stellte die Ärzte vor ein Rätsel. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)

38 Wochen lang ist das Mädchen im Bauch seiner Mutter herangereift. Es soll nicht im Krankenhaus zur Welt kommen, so ist es mit der Hebamme verabredet. Einer Hausgeburt stehe nichts im Weg, meint diese. In den Niederlanden, wo sich dieser Fall abspielt, werden viele Kinder zu Hause geboren. Die 30-jährige Schwangere ist gesund, die vergangenen neun Monate verliefen unkompliziert.

Als die Wehen losgehen, sind sie schnell sehr heftig. Der Muttermund öffnet sich aber kaum. Damit sich die Frau nicht schon zu Beginn der Geburt verausgabt, gibt die Hebamme ihr eine Tablette mit dem Beruhigungsmittel Temazepam. Doch dann geht es plötzlich viel schneller als erwartet: Schon dreieinhalb Stunden später ist das Mädchen da. Es ist gesund, wiegt 3650 Gramm und ist 54 Zentimeter lang. Die Apgar-Werte, mit denen bei allen Neugeborenen Atmung, Reflexe, Muskeltonus, Hautfarbe und Herzfrequenz beurteilt werden, liegen nach einer und fünf Minuten beim Höchstwert von 10. Die Hebamme legt das Baby der Mutter auf die Brust, und das Kind beginnt sofort zu saugen. Alles scheint in Ordnung.

Panik: Das Kind atmet nicht mehr

Eine Stunde später bricht Panik aus: Das Kind atmet nicht mehr. Es liegt schlaff auf der Mutter, die rosige Farbe ist weg, die Haut blass. Die Hebamme beginnt, das Mädchen zu beatmen. Sie tastet den Puls, das kleine Herz schlägt viel zu langsam. Im Wechsel mit der Beatmung macht sie eine Herzdruckmassage.

Die Wiederbelebung funktioniert. Das Mädchen atmet wieder von allein, sein Herz schlägt schneller.

Antibiotikatherapie auf Verdacht

Als der Notarzt da ist, intubiert er den Säugling trotzdem für den Fall, dass die Atmung erneut aussetzt. Der Rettungswagen bringt das Mädchen in stabilem Zustand in die Klinik der VU Universität in Amsterdam, wie die Ärzte um Layla Damen in ihrem Fallbericht schreiben. Die Neurologen bewerten den Muskeltonus als normal, es bewegt sich gut, die Pupillen reagieren auf Licht. Während der Saugreflex vorhanden ist, können die Ärzte den Greifreflex nicht auslösen.

In den Blutanalysen sind die Elektrolyte und Zuckerwerte normal, aber einige Parameter, die den Säurehaushalt im Körper widerspiegeln, sind verändert. Auf den ersten Blick finden die Ärzte keinen Anhalt dafür, dass die Ursache im Stoffwechsel des Kindes liegen könnte. Um möglicherweise vorhandene Bakterien bestimmen zu können, legen die Mediziner Blutkulturen an. Auf Verdacht beginnen sie eine Antibiotikatherapie.

Der Urin zeigt Auffälligkeiten

Per Ultraschall untersuchen sie den Kopf des Mädchens. Über die Fontanellen lässt sich bei Neugeborenen und sehr kleinen Kindern mit dieser Methode sogar das Gehirn beurteilen. Etwas Auffälliges ist nicht zu erkennen. Die Ärzte finden in weiteren Untersuchungen auch keinen Hinweis darauf, dass das Neugeborene epileptische Anfälle haben könnte.

Auch den Urin des Babys analysieren die Mediziner und werden drei Stunden nach der Geburt schließlich fündig: Der Teststreifen auf Benzodiazepine ist positiv. Temazepam, die Arznei, die die Schwangere während der Geburt geschluckt hat, gehört zu diesen Beruhigungs- und Schlafmitteln. Das könnte den plötzlichen Atemstillstand des Kindes erklären, denn das Medikament unterdrückt den Atemantrieb.

Bei Neugeborenen bleibt das Mittel länger im Körper

Vor der Einnahme von Benzodiazepinen während der Schwangerschaft wird gewarnt, weil die Mittel die Plazentaschranke überwinden und das Ungeborene erreichen. Bekannt ist, dass Babys Entzugserscheinungen nach der Geburt entwickeln können, wenn die Schwangere über einen längeren Zeitraum Benzodiazepine eingenommen hat.

In einem Beipackzettel zu Temazepam steht: "Eine Anwendung gegen Ende der Schwangerschaft oder während der Geburt kann beim Neugeborenen zu erniedrigter Körpertemperatur, Blutdruckabfall, Atemdämpfung, herabgesetzter Muskelspannung und Trinkschwäche führen." Das Mittel gehört zu den mittellangwirksamen Benzodiazepinen, sieben bis elf Stunden nach der Einnahme hat der Körper normalerweise die Hälfte davon über die Leber metabolisiert und über die Nieren ausgeschieden. Bei Neugeborenen aber arbeiten die Organe noch anders und das Mittel bleibt unter Umständen länger im Körper.

Glückliches Ende für Mutter und Kind

Obwohl die Schwangere nur eine einmalige Dosis von 20 Milligramm geschluckt hat, ist der Urinwert des Babys mit 145 Mikrogramm pro Liter leicht erhöht (Grenzwert geht bis zu 100 Mikrogramm pro Liter). Weil es dem Mädchen stabil gut geht und die Ärzte keine bakterielle Infektion feststellen konnten, setzen sie zwei Tage nach der Geburt die Antibiotika ab. Am nächsten Tag darf es mit seiner Mutter nach Hause.

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