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"37 Grad": Eltern allein zuhause - wenn Kinder flügge werden


"37 Grad" - wenn Kinder flügge werden
"Mama sagt: Ich bin der einzige Mann in ihrem Leben"

t-online, rev

18.03.2014Lesedauer: 5 Min.
Kim will ein Jahr nach Australien: Mama Kerstin fürchtet sich vor dem Alleinsein.Vergrößern des Bildes
Kim will ein Jahr nach Australien: Mama Kerstin fürchtet sich vor dem Alleinsein. (Quelle: ZDF)
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Wenn der Nachwuchs von zu Hause auszieht, sollte das eigentlich ein Grund zur Freude sein. Schließlich beweisen die Kinder damit ihre Selbstständigkeit. Doch oft überwiegt nicht der Stolz der Eltern, sondern Trauer über den Auszug des Kindes und die Angst vor einem neuen Lebensabschnitt. So geht es auch den Eltern von Michelle und Kim. Die zwei Elternpaare wurden von den Reportern der ZDF-Reihe "37 Grad" begleitet.

Laut Statistischem Bundesamt wohnten in der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen 1996 noch 30 Prozent im Elternhaus. 2011 waren es 33 Prozent. Längere Ausbildungszeiten und die Lage auf dem Wohnungsmarkt werden für diesen leichten Anstieg als Gründe angeführt. Doch Experten wissen, dass oft auch die Eltern eine Rolle spielen, wenn die Kinder einfach nicht ausziehen wollen.

Viele Eltern können nicht loslassen

"Eltern müssen sich an die eigene Nase fassen", sagt Heidemarie Arnhold, Vorsitzende des Arbeitskreis Neue Erziehung in Berlin. "Sie senden oft doppelte Botschaften." Zwar wünschten sich Eltern nach 20 Jahren der Konzentration auf das Kind wieder mehr Zeit für ihr eigenes Leben und wollten nicht mehr die Wäsche des Sprösslings waschen und bügeln - sie täten es aber trotzdem.

Vielen Müttern und Vätern fällt es - ob bewusst oder unbewusst - sehr schwer, loszulassen. Die Eltern Simone und André sind ein solcher Fall. In der "37 Grad"-Dokumentation "Eltern allein zuhause - Wenn die Kinder flügge werden" wurde ihre Situation geschildert.

Angst vor dem Auszug des Kindes

Ihre Tochter Michelle ist 18 Jahre alt und steckt mitten im Abitur. Den Eltern graut vor dem Tag, wenn sie zum Studieren wegzieht. Am liebsten wäre ihnen, Michelle würde nur eine Autostunde entfernt in Würzburg studieren. Dann könnten sie sie oft besuchen. Denn Simone gesteht: "Ich bin ein Muttertier und am wohlsten fühle ich mich, wenn wir alle zusammen sind."

Wie von ihren Eltern erhofft, erhält Michelle einen Studienplatz in der Nähe. An der Universität findet Michelle neue Freundinnen und genießt das Nachtleben und neue Freiheiten. Ihre Mutter versucht stark zu sein und Michelle nicht zu zeigen, wie sehr sie sie vermisst.

Noch lebt Michelles kleine Schwester im Elternhaus. Doch man spürt, wie groß Simones Angst vor dem Tag ist, an dem auch die auszieht. "Dann hat man wieder mehr Zeit für Zweisamkeit", macht ihr eine Freundin Mut. "Ja, das muss man wieder neu lernen", antwortet Simone ohne Vorfreude.

"Ich bin der einzige Mann in ihrem Leben"

Kerstin und Sven sind in einer ähnlichen Lage: Ihr Sohn Kim ist 19 Jahre alt und will für ein Jahr nach Australien gehen. Seine Eltern sind geschieden. Mutter Kerstin, die keinen neuen Lebenspartner hat, fürchtet sich vor dem Alleinsein. "Mama sagt immer: Ich bin der einzige Mann in ihrem Leben", sagt Kim. Seine Mutter bestätigt ihn: "Er ist mein Beschützer."

Aber auch Kims Vater Sven lässt seinen Sohn nur ungern ziehen, denn der 19-Jährige soll den im Bausektor erfolgreichen Familienbetrieb übernehmen.

Besuchsverbot für Mama und Papa

Kim hat seinen Eltern ein "Australienverbot" erteilt, er will die Zeit für sich nutzen. Über Skype halten sie Kontakt. Seine Mutter sucht nach einem neuen Lebensinhalt, um die viele freie Zeit zu füllen. Sie belegt einen Selbstverteidigungskurs, lernt Englisch und reist zum ersten Mal nach London. Zuvor nimmt sie jedoch professionelle Hilfe in Anspruch: "Ich hätte mich einsam gefühlt, wenn ich mich nicht therapeutisch hätte begleiten lassen."

Vater Sven leidet unter der Trennung und fühlt sich von seinem Sohn verlassen. Plötzlich schreibt Kim aus Australien, er plane, nach seiner Rückkehr ein duales Studium im Bausektor zu beginnen. Sven, der während Kims Abwesenheit einen leichten Herzinfarkt erlitten hat, ist überglücklich.

Am "Empty-Nest-Syndrom" können Eltern zerbrechen

Es ist eine Übergangssituation, mit der viele Eltern zu kämpfen haben, weiß Familientherapeutin Bettina Teubert: "Man wird vom Elternpaar wieder zum Paar", erklärt sie im Rahmen der ZDF-Doku. Und jede Übergangsphase stelle aus entwicklungspsychologischer Sicht eine Krise dar, an der man wachsen, sie bewältigen oder auch scheitern könne.

Insbesondere Mütter und spezielle jene, die in den letzten Jahren hauptsächlich als Hausfrau und "Vollzeit-Mama" lebten, trifft die neue Situation besonders hart. Experten sprechen vom "Empty-Nest-Syndrom (Leeres-Nest-Syndrom)", das laut Teubert eine ernsthafte Erkrankung ist, ein Vorläufer eines Abhängigkeitssyndroms. "Kommen in dieser Phase noch andere Belastungen hinzu - Verlust des Arbeitsplatzes, Trennung vom Partner, Tod der eigenen Eltern und so weiter - oder hatte man bereits eine leichte Veranlagung, besteht die Gefahr, eine Depression zu entwickeln, die dann auch therapeutisch behandelt werden muss."

Eltern müssen die neue Situation akzeptieren

Auch Ulrich Gerth, Vorsitzender der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung, rät Eltern, die Situation nicht zu unterschätzen, die durch den Auszug der Kinder entsteht. "Sie sollten sich Zeit nehmen, um darüber nachzudenken, was es für sie bedeutet, dass ihr Kind auszieht."

Gleichzeitig müssen sie das neue Leben der Kinder akzeptieren. Eltern sollten sich dazu zwingen, ihrem Nachwuchs nicht alles hinterherzutragen. "Ihnen sollte schon klar sein, dass die Kinder nun weitgehend auf eigenen Beinen stehen müssen", sagt Gerth. Kinder bräuchten zwar das Gefühl, dass die Eltern für sie da sind. "Ansonsten sollten Eltern sie aber behutsam ins eigene Leben schubsen." Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft, selbst einen neuen Lebensabschnitt zu starten.

Das Vakuum neu befüllen

Genau das fällt vielen Eltern schwer. Durch den Auszug des Kindes entstehe in mancher Familie "ein Vakuum, ein Platz, der einfach frei ist und frei bleiben wird". Diese Leere müssten Eltern neu befüllen. "Eigentlich müssen sie ihr gesamtes Leben neu strukturieren", so Teubert, die mit "Empty Nest MOMS", die bislang einzige Selbsthilfegruppe für Empty-Nest Mütter gegründet hat.

Beispielsweise merken viele Eltern, wie viele persönliche Kontakte erst über die Kinder entstanden sind. Jetzt gilt es, alte Kontakte aufzufrischen, soziale Netzwerke zu pflegen und versuchen neue Bekanntschaften zu schließen. Dabei bringt es wenig, den ganzen Tag zu Hause oder im Garten zu verbringen: Neue Hobbys, ein neuer Job, neue Engagements und Interessen bedeuten häufig auch neue Bekanntschaften.

"Nicht wenige Mütter lieben es, Mutter zu sein"

Zudem müssen sich Eltern in dieser Zeit von Neuem bewusst machen, dass sie nicht nur Eltern sind - sie sind auch ein Paar. Regelmäßige Kinobesuche, spontane Wochenendausflüge oder romantische Abende zu zweit - all das könnte jetzt wieder problemlos möglich sein, die Eltern müssen es nur wollen. Dann kann man, den Auszug des Kindes nicht nur als Ende eines Lebensabschnitts begreifen, sondern auch als Chance, viele andere schöne Aspekte des Lebens wieder oder ganz neu zu entdecken.

Aber Bettina Teubert weiß, dass das für viele Frauen ein großes Problem darstellt: "Es fällt Müttern schwer, ihre aktive Mutterrolle zu verlassen." Ein einfach Grund, warum das so ist: "Nicht wenige Mütter lieben es, Mutter zu sein", erklärt Teubert auf der "37 Grad"-Homepage.

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