3Sat-Doku über "Generation Weichei" "Ich sah nur noch das Wort 'begabt'" - wie Helikopter-Eltern der Gesellschaft schaden
Eine Mutter würde ihrer dreijährigen Tochter Maggie am liebsten einen Chip implantieren, damit das Kind nie verloren geht. Die kleine Abigail darf ihren ersten Geburtstag wie eine Prinzessin feiern, 4000 Dollar geben die Eltern dafür aus. Der 18-jährige David bekommt von seiner Mutter das Bett in der Studentenbude bezogen und sie weint zum Abschied. Um Helikopter-Eltern ging es in der 3Sat-Dokumentation "Generation Weichei - Wenn Mama und Papa nur das Beste wollen". Experten warnen vor den gesellschaftlichen Folgen von Überbehütung und übermäßiger Förderung von Kindern.
Die Familien aus dem TV-Beitrag leben in London, in den USA und in Kanada. Aber das Überbehüten sei ein weltweiter Trend, heißt es, besonders ausgeprägt in den mittleren und oberen Schichten. Auch in Deutschland gibt es Eltern, die ihre Sprösslinge mit dem Ziel managen, ihnen die bestmögliche Ausgangsposition für ein glückliches und erfolgreiches Leben zu bieten.
Späte Eltern umsorgen ihr Premium-Kind
Josef Kraus, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, kennt das Phänomen aus dem Schulalltag. Er hat kürzlich ein Buch mit dem Titel "Helikopter-Eltern" veröffentlicht und zählt zehn bis 15 Prozent der hiesigen Eltern dazu. Er begründet in der TV-Doku das Phänomen damit, dass die Deutschen immer später Kinder bekommen und meistens auch nur eines: "In das eine werden alle Erwartungen projiziert. Das muss ein Premium-Kind werden."
Kinder sind vor lauter Förderung überfordert wie Manager
Ein Pensum wie ein Manager, eine völlig verplante Freizeit, das sei auch bei uns typisch für die Kinder von Helikopter-Eltern, sagt Kraus. Er beklagt, dass die Kinder keine Zeit mehr hätten, zu spielen und auf Entdeckungsreise zu gehen. "Ein normales, anregendes Elternhaus reicht," findet Kraus. Von der Vielzahl an Förderkursen und Lernprogrammen für die Kleinsten profitierten nur die Anbieter.
Inzwischen mehren sich die Stimmen von Wissenschaftlern, die davor warnen, Babys und Kleinkinder mit Förderung zu überfordern, weil dies der Gehirnentwicklung mehr schade als nutze.
Wenn Angst vor dem Scheitern übermächtig wird
Helikopter-Eltern setzen ihre Kinder unter enormen Erwartungs- und Leistungsdruck, getrieben von der Sorge, sie könnten in der Schule versagen und sich Karrierechancen zerstören. Doch was steckt dahinter? "Wir werden Opfer des Gesellschaftsdrucks. Deshalb haben wir Angst, aus diesem verrückten Zug auszusteigen", wagt der kanadische Autor Carl Honoré, Autor des Buches "Kinder unter Druck" eine Erklärung.
Laut Bertelsmann-Studie bekämen 1,1 Millionen Schüler in Deutschland Nachhilfe, heißt es in der 3Sat-Doku. Lehrerpräsident Kraus steht der "Nachhilfeindustrie", "Pisa-Panik" und Sorge vor dem "Bildungsabstieg" skeptisch gegenüber. Fast schon alltäglich seien für Lehrer Auseinandersetzungen mit Eltern über die Noten ihrer Kinder. Keine 90 Minuten nach der Rückgabe einer Vier oder Fünf stünden die empörte Eltern beim Schulleiter auf der Matte. "Aber wir haben doch so gut gelernt", heiße es da im Plural.
Kraus hält dagegen, dass Niederlagen und das Risiko des Scheiterns eine wichtige Lebenserfahrung seien, vor der man Kinder nicht verschonen dürfe, sonst fehle ihnen später die nötige "Frustrationstoleranz".
Papa klärt die Probleme mit dem Chef
Das rächt sich nach Expertenmeinung später im Berufsleben. "Die Generation Y will Spaß bei der Arbeit, aber auch schnellen Aufstieg", heißt es in der Doku. "Neu und schockierend" sei die Einmischung der Eltern am Arbeitsplatz ihrer Kinder. Die Rede ist von Müttern, die Pflanzen an den Arbeitsplatz schleppen, und Vätern, die sich bei Ärger mit dem Chef einmischen oder beim Gehalt für den Nachwuchs mitreden wollen. Allerdings stammen die dazu eingeblendeten Szenen aus den USA.
Geburtstagsparty zum ersten Geburtstag für 2900 Euro
"Premium-Kinder" sind Abigail und Leilah aus Kanada. "Sie ist unsere Prinzessin", sagen die Eltern von Abigail aus Kanada. 4000 Dollar, das entspricht etwa 2900 Euro, haben sie für den ersten Kindergeburtstag mit 40 Gästen ausgegeben, inklusive Auftritt von Cinderella und einer Torte vom Konditor. Abigails Mutter sagt: "Ein Meilenstein ist erreicht." Sie möchte, dass ihre Tochter eines Tages zurückblickt und erkennt, "dass wir ihr alles gegeben haben, was sie verdient."
Leilah hat einen Elitekindergarten mit Rundumförderung absolviert, nun bewerben sich die Eltern um einen begehrten Platz an einer Privatschule. Bis dahin wird die Vierjährige zu Ballett, Französischunterricht, Klavierstunden und Gymnastik kutschiert.
"Ich sah nur noch das Wort 'begabt'"
Der Autor Honoré beschreibt, wie er einst selbst in die Helikopterfalle getappt war, nachdem die Kunstlehrerin seinen Sohn als begabten Künstler gelobt hatte. "Ich sah nur noch das Wort 'begabt'", gesteht Honoré. Umgehend wurde Privatunterricht arrangiert, doch der Junge protestierte, er wolle doch einfach nur malen. Zu derartigen elterlichen Überschätzungen schreibt Lehrerpräsident Kraus in seinem Buch lapidar, nicht jeder Kreidekringel sei ein Talentbeweis.
Experten warnen: Überfürsorge macht Kinder unselbstständig
Bei Helikopter-Eltern nehmen sowohl die Erwartungen an das Kind als auch die Angst um das Kind extreme Ausmaße an. Experten warnen, dass es solchen Kindern später an sozialer Kompetenz und Selbstvertrauen mangele. Was die Überfürsorge anrichten kann, zeigt die Dokumentation anhand von Studenten in den USA, die in psychologischer Betreuung sind. "Angst zu versagen und ihre Eltern zu enttäuschen" beschreibt eine Studentin ihren Zustand. Ein Student empfindet Lob als versteckte Kritik, als Erwartung, beim nächsten Mal genau so gut zu sein.
Die Psychologin Madeleine Levin findet klare Worte für Eltern: "Aufgabe ist es, Unabhängigkeit zu schaffen und keine Überhütung. Du hast versagt, wenn sie da draußen nicht alleine bestehen."