Familie & Beruf Die Doppelverdienerfamilie ist das neue Ideal - mit Folgen
Während die Politiker noch über Betreuungsgeld und Kita-Ausbau streiten, haben sich die deutschen Familien schon längst gewandelt. Aus dem Alleinverdiener-Leitbild wird das Doppelverdiener-Ideal: Über zwei Drittel der Bevölkerung finden es geradezu "ideal", wenn in einer Familie "beide Partner berufstätig" sind, wie Zukunftsforscher Horst Opaschowski ermittelte. Das alles wird in der Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft des langen Lebens in Zukunft möglich sein.
Doppelverdiener heißt das neue Familien-Ideal
Papa fährt morgens zur Arbeit, Mama kümmert sich um Haus und Kinder - dieses Familienmodell ist passé. In Deutschland zeichnet sich ein grundlegender Wechsel in der Einstellung zum Berufsleben ab, das hat "Mr. Zukunft", Zukunftsforscher Horst Opaschowski, in Zusammenarbeit mit dem Markt- und Sozialforschungsinstitut Ipsos auf repräsentativer Basis ermittelt. Für 67 Prozent der Bevölkerung ist das Idealbild einer Partnerschaft, wenn beide einen Job haben. Befragt wurden 1000 Personen ab 14 Jahren.
Geld für das Wagnis Familiengründung
Fünf Jahre zuvor lag nach den damaligen Erhebungen der Stiftung für Zukunftsfragen der Anteil der Befürworter von Doppelverdienern lediglich bei 56 Prozent. "Wenn dieser Trend so anhält, wollen oder müssen im Jahr 2030 etwa 80 Prozent der Berufstätigen Doppelverdiener sein", prognostiziert Professor Opaschowski. "In unsicheren Zeiten sind beide Partner auf das Geld angewiesen, um eine Familiengründung zu wagen und eine Familie finanzieren zu können."
Allein mit Kindern zu Hause? Nein, danke!
Im gleichen Maße, wie der Anteil der Befürworter einer Doppelerwerbstätigkeit von Mann und Frau wächst, sinkt die Bereitschaft der Bevölkerung, wegen der Kinder auf die eigene Berufstätigkeit zu verzichten. Noch 2008 vertrat die Mehrheit der Bundesbürger (70 Prozent) die Auffassung, dass es besser sei, wenn nur ein Elternteil arbeitet und der andere die Erziehung der Kinder übernimmt. Inzwischen ist der Anteil erdrutschartig auf 52 Prozent gesunken (Frauen: 50 Prozent - Männer: 54 Prozent). Jeder zweite Bundesbürger kann und will nicht mehr ohne eigene Erwerbstätigkeit allein mit den Kindern zu Hause bleiben.
Herausforderungen für Familie und Politik
Diese Entwicklung wird in den nächsten Jahren zur großen Herausforderung für das Berufs- und Familienleben auf der einen und die Politik auf der anderen Seite. "Beide Elternteile müssen und wollen gleichermaßen familiär verantwortlich und beruflich erfolgreich sein. Eine Bereicherung des Lebens sicherlich, aber auch eine mögliche Konfliktquelle für die Partnerschaft“, so Opaschowski.
Familienpolitik unter Druck
Die Politik ist darüber hinaus mehr denn je gefordert. 90 Prozent der Deutschen sind heute schon der Meinung: "Die von der Politik geforderte Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss für Frauen und Männer gleichermaßen gelten". Insbesondere Singles (96 Prozent) wollen die Vereinbarkeit verwirklicht sehen, bevor sie sich zu festen Bindungen oder Familiengründungen entschließen.
Anspruch auf Kita- oder Kindergartenplatz wird sich verdoppeln
So gehen die Kommunen davon aus, dass rund 40 Prozent der Eltern sich auf den ab 1. August diesen Jahres bestehenden Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für ein- bis dreijährige Kinder berufen werden und einen Kita- oder Kindergartenplatz beanspruchen. "Dieser Betreuungsanteil kann sich in den nächsten zwanzig Jahren verdoppeln, wenn aus dem sich abzeichnenden Einstellungswandel ein Lebenswandel wird,“ vermutet Opaschowski.
Kinderbetreuung: vom Rechtsanspruch zur Anspruchshaltung
Opaschowski sieht eine Verschiebung der Verantwortung in der Kindererziehung: "Aus dem formalen Rechtsanspruch kann eine mentale Anspruchshaltung werden, wonach der Staat in Zukunft für die Ganztages- und auch Ganzjahresbetreuung von Kindern berufstätiger Eltern Verantwortung tragen soll. Für eine solche Entwicklung spricht insbesondere der Appell der Bevölkerung, die Ausbildung von Erziehern und Kindergärtnern zu verbessern, damit sie 'in Zukunft verstärkt in die Erziehungsverantwortung einbezogen werden' können". Das forderten, so Opaschowski, schon heute 81 Prozent der Bevölkerung in Deutschland. In Deutschland wird heftig kritisiert, dass teilweise auch fachfremdes Personal (wie beispielsweise Hebammen in Baden-Württemberg) für die Kinderbetreuung eingesetzt werde, ein Aspekt, der in Zukunft noch mehr Bedeutung erhalten wird.
Ansprüche werden eingefordert
Die Umsetzung der Anspruchshaltung hat in Deutschland längst begonnen. Vier von zehn Bundesbürgern (40 Prozent) fordern bereits: Kinder aller Altersgruppen sollten zukünftig "das ganze Jahr über ganztags in Kindergärten betreut werden“ (Frauen: 37 Prozent - Männer: 43 Prozent), was an Werktagen genauso der Fall sein kann wie notfalls an Wochenenden oder in den Ferien.
Wirtschaft muss in der Kinderbetreuung zu Hilfe kommen
Wird erfolgreiche Familienpolitik in Zukunft an der Zahl von Kinderbetreuungsplätzen gemessen, am flächendeckenden Ausbau von Kitas, Krippen und Ganztagsschulen? Opaschowski: "Wenn dieser Trend zur 24-Stunden-Betreuung so anhält, wird eines Tages Artikel 6, Absatz 2 des Grundgesetzes neu bewertet werden müssen, weil die Erziehung der Kinder dann nicht mehr als die 'zuvörderst obliegende Pflicht' der Eltern gilt“. In naher Zukunft wird zudem die Kinderbetreuung mehr eine Qualifikations- als eine Platzfrage sein und zu erheblichen Personalengpässen führen. Hier wird die Wirtschaft fördernd zu Hilfe kommen müssen.
Kitaplätze für Fachkräfte: wertvoller als Betriebsaktien
Drei Viertel der Berufstätigen in Deutschland (75 Prozent) erwarten mittlerweile von den Unternehmen zur Betreuung ihrer Kinder Betriebskindergärten (berufstätige Frauen: 79 Prozent - berufstätige Männer: 71 Prozent). Wer als Unternehmen qualifizierte Führungs- und Fachkräfte sucht, wird sich in Zukunft bei potentiellen Mitarbeitern regelrecht bewerben und neue qualitative Anreize bieten müssen, in denen es mehr um die Erhaltung von Lebensqualität und nicht nur um Einkommenserhöhungen geht. Das Unternehmensengagement für Betriebskindergärten oder garantierte Belegplätze in betriebsnahen Kitas zahlt sich aus. Betriebskindergärten zählen unter Umständen auf Dauer mehr als Betriebsaktien.
Arbeits- und Lebenszeiten in ein Gleichgewicht bringen
Über die Vereinbarkeit von Betriebs- und Familienpolitik muss neu nachgedacht und entschieden werden. Arbeits- und Lebenszeiten sind aufeinander abzustimmen und in ein Gleichgewicht zu bringen. Intensiven Arbeitsphasen stehen gleichermaßen und gleichwertig intensive Familienphasen gegenüber, die miteinander koordiniert werden müssen und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Davon profitieren schließlich beide Seiten. Nur so bleibt genügend "Vollzeit" für Phasen außergewöhnlicher beruflicher Leistungsanforderungen, aber auch Gelegenheit für Teil- oder Auszeiten zur Familiengründung und Kindererziehung. In einer Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft des langen Lebens wird in Zukunft beides möglich und akzeptabel sein müssen.