Rätselhafter Steinkreis Wissenschaftler streiten über den Sinn von Stonehenge
Über den Sinn des Megalithen-Monuments von Stonehenge diskutieren Forscher aller Disziplinen. Jetzt widerlegte ein Mathematiker eine Theorie.
Ist er jetzt ein Sonnenkalender oder nicht? Der Steinkreis von Stonehenge ist 5.000 Jahre alt, sorgt aber auch heute noch für Streit – einen Streit unter Forschern. Es geht darum, was der Zweck des prähistorischen Monumentes in der Nähe von Amesbury im Süden Englands gewesen sein könnte. Eine These dazu wurde jetzt widerlegt, nachdem ein Mathematiker und ein Astrophysiker nachgerechnet haben.
So hatte der Archäologe Timothy Darvill von der Bournemouth University vor genau einem Jahr behauptet, dass es sich bei dem Megalith-Kreis um einen komplexen 365-Tages-Kalender handelt. Nach seiner These spiegeln die Positionen der Steine das Sonnenjahr mit 365,25 Tagen wider.
Dabei entsprechen zwölf Durchläufe des Sarsen-Steinkreises (äußere Sandsteinblöcke) 360 Tagen, die fünf Trilith-Steine im Zentrum von Stonehenge sollten die fehlenden fünf Tage markieren. Die vier Stationssteine dienten seiner These nach der Anzeige eines Schaltjahrs alle vier Jahre. Damit sei Stonehenge der älteste Beleg für einen Sonnenkalender in Europa, schrieb Darvill in der Fachzeitschrift "Antiquity".
Sollte es tatsächlich "so einfach" sein? Der Mathematiker Guilio Magli vom Polytechnikum Mailand und Juan Antonio Belmonte vom Astrophysikalischen Institut der Kanaren haben Darvills These jetzt überprüft und fechten sie an. Sie werfen Darvill Nachlässigkeit auf drei Gebieten vor: erstens der Numerologie, zweitens seinen astronomischen Schlüssen und drittens seinem konstruierten Ägypten-Bezug.
"Aus symbolischer Sicht hat Stonehenge natürlich mit Himmelserscheinungen zu tun", erklärte Magli dem Wissenschaftsportal "Livescience" und verwies auf die Ausrichtung der Steine im Hinblick auf die Winter- und Sommersonnenwende. Aber das bedeutet nicht, dass es als riesiger Kalender benutzt wurde", so der Mathematiker.
1. Numerologie: Zahl Zwölf taucht nirgends im Steinkreis auf
Besonders die zugeordnete Bedeutung der Steine zu Zahlen ist laut der beiden Forscher anfällig für Fehlinterpretationen. Denn es besteht die Gefahr, fälschlicherweise eine Bedeutung in Zahlen und Maße hineinzulesen.
Konkret kritisieren Magli und Belmonte, dass die Zahl Zwölf – für die Monate des Sonnenjahres – nirgendwo im Steinkreis auftaucht. Dass die 30 Sarsen-Steine daher die Tage eines Monats repräsentieren, sei aus der Luft gegriffen, so die Forscher. Nicht in sein Schema passende Zahlen wie die der Blausteine oder des aus zwei Steinen bestehenden Portals habe Darvill sogar einfach komplett ignoriert.
"Es wird schon von Beginn an klar, dass diese Interpretation von zwei klassischen Problemen der Numerologie betroffen ist: der Zufälligkeit und dem Selektionseffekt", schreiben Magli und Belmonte in "Livescience".
2. Astronomie: Steinkreis zeigt keine exakten Sonnenwenden an
Auch an den astronomischen Folgerungen Darvills hat das Kritikerpaar etwas auszusetzen. So zeige der Steinkreis zwar die ungefähre Zeit der Sonnenwenden an, nicht aber den exakten Tag.
Den Grund beschreibt Wissenschaftsjournalistin Nadja Podbregar von "Scinexx.de" so: "In den Tagen um die Sonnenwenden verschieben sich die Auf- und Untergangspunkte der Sonne am Horizont nur sehr wenig. Weil es in Stonehenge keinen markanten Referenzpunkt am Horizont wie einen Berggipfel gab, hätte der Sonnenkalender demnach niemals bis auf den Tag genau sein können."
3. Ägypten-Bezug: Schaltjahr war im Nil-Reich unbekannt
Als dritten Punkt kritisieren Magli und Belmonte Darvills These, dass die Erbauer von Stonehenge sich überhaupt schon eines 365,25 Tage dauernden Sonnenjahres bewusst waren. Der Brite hatte argumentiert, dass Fernbeziehungen zu Ägypten das Wissen um den Sonnenkalender auf die Britischen Inseln gebracht haben könnte. Doch ob die Ägypter schon damals den Sonnenkalender besaßen, ist laut "Scinexx.de" umstritten. Außerdem kannten die Nordafrikaner noch keine Schaltjahre.
Darvill selbst verteidigte seine Theorie gegenüber "Livescience": "Was sie sagen, untergräbt ja nicht das grundlegende Modell der Sarsen-Strukturen in Stonehenge, die als Manifestation eines ewigen Sonnenkalenders gebaut wurden."
Wer recht hat? Vielleicht werden wir es nie herausfinden. Aber bestimmt steht uns die nächste Theorie schon bald bevor. Denn für Fans und Wissenschaftler wird Stonehenge seine Faszination nie verlieren.
- Livesience.com: "Was Stonehenge an ancient calendar? A new study says no" (englisch)
- Scinexx.de: "Stonehenge doch kein Sonnenkalender?"
- Studie in Antiquity: "Archaeoastronomy and the alleged ‘Stonehenge calendar’" (englisch)