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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Reformstreit in der Ampel Der Mann auf der Bremse
Immer wieder streitet die Ampel über die richtige Klimapolitik. Jetzt muss sie liefern – und kann sich nur auf das Nötigste einigen.
Manchmal lässt sich in der Politik schon am Terminkalender ablesen, dass es irgendwie nicht rundläuft. So ist es an diesem Mittwoch in Berlin. Es ist der Tag, an dem die Bundesregierung eigentlich das große Klimaschutz-Sofortprogramm 2022 hätte beschließen können. Es sollte unter anderem die neuen Ziele bis 2030 für alle Sektoren enthalten und war vollmundig im Koalitionsvertrag angekündigt worden. Vor der Sommerpause sollte es stehen, das war das Ziel.
Doch daraus wird nun nichts. Die Ampelregierung ringt beim Klimaschutz, so ist zu hören, einmal mehr um jedes Komma. Ein Entwurf, der in Berlin herumgereicht wird, trägt noch das Datum vom 20. Juni – und ist von innerkoalitionärer Einigkeit weit entfernt. Immer dann, wenn es ums Ordnungsrecht geht, also um Regeln und Verbote, ist die FDP skeptisch, heißt es aus Regierungskreisen.
Nichts könnte den Zwist in der Ampelregierung deshalb besser symbolisieren als der ironische Umstand, dass es an diesem Mittwoch nun trotzdem nicht nur eine, sondern gleich zwei Pressekonferenzen zum Klimaschutz geben wird. Die eine mit Klimaminister Robert Habeck (Grüne) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD). Und die andere mit Verkehrsminister Volker Wissing (FDP). Fein säuberlich getrennt. Ihr macht eures, wir machen unseres.
Der Konflikt um die richtige Klimaschutzpolitik in der Ampel – er bleibt bis auf Weiteres ungelöst.
Wissing und Geywitz müssen nachsitzen
Dass Wissing und Geywitz vor die Presse treten, liegt ohnehin nur daran, dass sie es müssen. Das Klimaschutzgesetz zwingt sie, schon jetzt neue Vorschläge zu präsentieren, obwohl sich die Regierung uneinig ist. Denn beide Ministerien haben vergangenes Jahr ihre Klimaschutzziele gerissen.
Für solche Fälle sind Sofortmaßnahmen vorgeschrieben; Wissing und Geywitz müssen gewissermaßen klimapolitisch nachsitzen. Eigentlich sollten ihre Maßnahmen im großen Klimaschutz-Sofortprogramm 2022 enthalten sein. Doch weil sich die Regierung darauf bislang nicht einigen konnte, die Ressorts aber bis zum gesetzlich festgelegten Stichtag, dem 13. Juli, liefern müssen, gibt es nun zwei Konzepte und zwei Pressekonferenzen.
Die Sofortmaßnahmen sind dazu gedacht, mit gezielten Schritten kurzfristig nachzubessern. So soll verhindert werden, dass die Lücke zwischen avisierten CO2-Reduktionen und dem Status quo nicht von Jahr zu Jahr größer wird. Doch der erste Testlauf des Systems war bereits ernüchternd.
Schon 2020 rasselte die Treibhausgasbilanz des Gebäudesektors an den Zielen des Bauministeriums vorbei. Das innerhalb von drei Monaten gestrickte Maßnahmenpaket aus dem Frühjahr 2021, mit dem das Emissionsloch gestopft werden sollte, fiel durch: Der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung wies es als ungenügend zurück.
Nun hinkt das Bauressort zum zweiten Mal in Folge seinen eigenen Zielen hinterher, 2 Millionen Tonnen CO2 trennen dort Wunsch und Wirklichkeit bei den Emissionseinsparungen. Zum ersten Mal nachsitzen muss das Verkehrsministerium; der Verkehrssektor stieß vergangenes Jahr sogar 3 Millionen Tonnen mehr klimaschädliche Gase aus als erlaubt. Wieder gab es 12 Wochen, um nachzubessern.
Klimaschützer sind skeptisch
Doch Klimaschützer und Experten befürchten, dass die neuen Sofortprogramme von Wissing und Geywitz nicht weit genug gehen. "Ich bin im Moment nicht besonders hoffnungsvoll", sagt Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe (DUH), t-online.
Während der vergangenen Wochen sei es in Regierungskreisen vor allem darum gegangen, welche sinnvollen Maßnahmen alle nicht kommen werden. Gerade im Gebäudesektor und im Verkehrssektor sei das verheerend. "Die Versäumnisse summieren sich – die Lücke wird immer größer", sagt Metz.
Für sie gleicht das Ergebnis der Nachbesserungen im Bau- und im Verkehrsministerium einem Offenbarungseid. "Wenn eine Klimaregierung es nicht einmal schaffen sollte, die minimalsten Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um zumindest die Lücke zu schließen, dann ist sie gescheitert." Aus Sicht der DUH gehören zu diesen Mindestanforderungen für den Gebäudesektor zwingend Effizienzstandards für Neubau- und Bestandsgebäude. "Ohne die wird weder klimazielkompatibel gebaut noch saniert", sagt Metz.
Gerade bei den Gebäuden, die am ineffizientesten sind und besonders viel Energie verbrauchen, gebe es die größten Möglichkeiten CO2-Emissionen einzusparen. Die öffentliche Hand müsse dabei mit gutem Beispiel vorangehen. "Schulen und Kindergärten sind in Deutschland besonders marode, weil dort in den vergangenen Jahrzehnten fast nichts getan wurde", sagt Barbara Metz. Dort könne die dringend nötige Sanierungsoffensive als Erstes ansetzen.
Außerdem fordert die DUH verpflichtende Heizungsüberprüfungen für Vermieter, durch die sich sofort Energie einsparen lasse und Mieter schon im kommenden Winter entlastet würden. Sollten die Sofortmaßnahmen des Bauministeriums sich jedoch darauf konzentrieren, die Verbraucher zum Energiesparen aufzurufen, sei der nächste Misserfolg des Hauses programmiert. "Dann wird der Gebäudesektor im kommenden Jahr das dritte Mal in Folge sein Klimaziel reißen", fürchtet Metz.
Für die Verkehrswende wird es eng
Noch dringender scheint die Korrektur im Verkehrssektor; der CO2-Überschuss ist hier größer, die Geschwindigkeit der Transformation noch langsamer als bei Wohn- und Bürogebäuden. "Mit dem abgespeckten Klimaschutz-Sofortprogramm, das jetzt kommen soll, will die Regierung wohl erst einmal nur die CO2-Reduktionslücken stopfen", sagt Wiebke Zimmer, stellvertretende Direktorin des Think-Tanks Agora Verkehrswende, t-online.
Sie geht davon aus, dass sich darin vor allem Fördermaßnahmen für den Radverkehr, Bus, Bahn und die E-Mobilität finden werden. Das reiche aber längst nicht aus.
"Wir können nicht nur alles günstiger machen. Im Sinne des Klimaschutzes, der sozialen Gerechtigkeit und für einen ausgeglichenen Staatshaushalt müssen wir klimaschädliche Aktivitäten auch teurer machen, zum Beispiel Verbrennerfahrzeuge", sagt Zimmer. Das könne funktionieren, indem man Dienstwagen genauso stark besteuere wie Privatautos und die KfZ-Steuer bei Benzin- und Dieselfahrzeugen im ersten Jahr ab Kauf deutlich anhebe – je höher der CO2-Ausstoß, desto stärker die Besteuerung.
Solche Schritte dürfte man wohl aber eher im umfassenden Klimaschutzpaket vermuten, das nun auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben wurde. Bei Agora Verkehrswende hält man das für riskant. "Die Verzögerung des Gesamtpakets ist vor allem für den Verkehrssektor nicht ideal, weil dessen Transformation viel Zeit braucht. Die haben wir aber nicht mehr, die Klimaziele stehen fest und die Klimakrise drängt", sagt Zimmer.
Mit jedem Monat, in dem umfassende Maßnahmen für den Verkehrssektor weiter verschleppt werden, steige das Risiko, die Klimaschutzziele zu reißen – als Nächstes für 2022 bis hin zu den großen Zielen für 2030. "Je länger es dauert, desto dramatischer wird die Situation", so Wiebke Zimmer. Doch der anhaltende Streit in der Koalition deutet an, dass ein Gesamtpaket tatsächlich noch länger auf sich warten lassen dürfte. Die Finger zeigen dabei vor allem auf die FDP.
Klimafrust in der Koalition
Bei den Grünen ist man genervt: Die FDP würde bremsen, die entscheidenden Reformen verhindern. Bei den Liberalen wiederum heißt es, die Politik der Grünen sei zu dogmatisch. Der zähe Kampf ums Klima, er wird auch durch die unterschiedlichen Vorstellungen von Politik ausgebremst.
Bei den Grünen ist der Unmut über Volker Wissing traditionell groß. Und auch jetzt regt sich wieder Kritik. "Es ist nicht akzeptabel, dass diese Woche kein Klimaschutz-Sofortprogram 2022 vorgelegt werden kann, weil insbesondere das Verkehrsressort nicht geliefert hat", sagt Lisa Badum t-online, die klimapolitische Sprecherin der Grünen. "Klimaschutz ist Gesetz und damit Aufgabe der gesamten Regierung."
Nur wie? "Ich bin mir sicher, dass auch Volker Wissing endlich moderne Mobilität in Deutschland will", sagt Grünen-Politikerin Badum. "Möglichkeiten haben wir viele, besonders bei den klimaschädlichen Subventionen, bei der Reform des Dienstwagenprivilegs sowie der Kfz-Steuer. Die Chance, den Nahverkehr jetzt weiter zu beleben und zu fördern, ist außerdem so gut wie nie."
FDP verteidigt ihren Minister
Aus dem Verkehrsministerium heißt es dazu: "Selbstverständlich wird auch das Verkehrsministerium heute fristgerecht ein Maßnahmenpaket vorlegen, wie es im Bundesklimaschutzgesetz vorgesehen ist", sagt ein Sprecher t-online.
Hört man sich dazu in der Bundestagsfraktion um, wird der eigene Verkehrsminister verteidigt. Man sei eben jetzt in der Lage, das zu richten, was die vorherigen CSU-Verkehrsminister nicht hinbekommen hätten. Schuld sieht man bei den Liberalen also eher bei den Vorgängerregierungen. Zudem könne Wissing nicht allein alle Maßnahmen sofort umsetzen, die Abstimmung mit Habeck sei nicht einfach, heißt es intern bei der FDP.
Im Verkehrsministerium beteuert man unterdessen, auch das große Ganze im Blick zu haben. "Die Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung zum Klimaschutzsofortprogramm" liefen, sagt ein Sprecher, "wie im Koalitionsvertrag vereinbart." Doch gerade dort könnte es erneut zwischen den Ampelpartnern knirschen.
Gelber Bremsblock
Dass der klimapolitische Bremsblock in der Regierung offenbar gelb ist, sorgt auch außerhalb des Kabinetts für zunehmendes Unverständnis. "Die FDP versucht alles zurückzudrehen, was Richtung Klimaschutz geht", sagt Barbara Metz von der Deutschen Umwelthilfe.
Als Beispiele nennt sie das absolute Veto der Partei gegen ein Tempolimit, die Absage an dauerhaft vergünstigten öffentlichen Nahverkehr, die Forderung eines verlängerten Tankrabatts und den Wunsch, die Laufzeit der Atomkraftwerke trotz zahlreicher Bedenken zu verlängern. Für Metz sind das erschreckende Signale, die allerdings nur vom kleinsten Koalitionspartner ausgehen: "Was machen eigentlich SPD und Grüne, wenn sie sich da nicht durchsetzen?"
- Eigene Recherchen