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EU-Klimaschutz vor dem Aus? "Es ist ein schlimmer Tag für das Parlament"


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Stockender EU-Klimaschutz
"Es ist ein schlimmer Tag für das Parlament"


09.06.2022Lesedauer: 4 Min.
Wasserdampf steigt aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde: Wer Dreck macht, muss bezahlen. Das gilt für die klimaschädlichsten Industrien in der EU seit Jahren. Eine geplante Ausweitung des Emissionshandels sorgt nun im EU-Parlament für Ärger.Vergrößern des Bildes
Wasserdampf steigt aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde: Wer Dreck macht, muss bezahlen. Das gilt für die klimaschädlichsten Industrien in der EU seit Jahren. Eine geplante Ausweitung des Emissionshandels sorgt nun im EU-Parlament für Ärger. (Quelle: Patrick Pleul/dpa)

Die Überraschung ist groß: Statt die Klimapläne der EU-Kommission zu unterstützen, hat das Europaparlament eine Vollbremsung erzwungen. Einige der wichtigsten Vorhaben hängen in der Schwebe. Was jetzt?

Gegröle, Fingerzeige und Ordnungsrufe: Am Mittwochnachmittag ging es im Europaparlament in Straßburg zeitweise zu wie bei einer Schulhofschlägerei. Der Grund: Grüne, sozialdemokratische und rechtsnationale Abgeordnete brachten dort gemeinsam ein Kernstück der EU-Klimapolitik zu Fall. Der ungewöhnliche Schulterschluss macht die geplante Verschärfung des Emissionshandels in Europa zur Wackelpartie.

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Worum geht es genau?

Den Abgeordneten lag ein ganzer Batzen an Gesetzesentwürfen für den Klimaschutz vor – alle bereits im Umweltausschuss des Parlaments diskutiert und zurechtgefeilt. Doch während sowohl das Aus für Neuwagen mit Verbrennermotor ab 2035 als auch neue Kosten für Flüge ins außereuropäische Ausland Unterstützung erhielten, eskalierte die Situation im Plenum beim Thema Emissionshandel.

Der Handel mit sogenannten Verschmutzungsrechten gilt als Herzstück der europäischen Klimapolitik und soll noch effektiver werden, um die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Für die Ölindustrie sowie die Chemie-, Metall- und Papierbranchen und andere energieintensive Wirtschaftszweige gilt ein solches System bereits europaweit.

So funktioniert der EU-Emissionshandel: Der Emissionshandel ist ein etabliertes System, das besonders energieintensiven Branchen einen Preis für ihre Treibhausgasemissionen abverlangt. Unternehmen müssen für ihre CO2-Emissionen sogenannte Verschmutzungszertifikate kaufen und können diese auch untereinander handeln. Da die Menge erlaubter CO2-Emissionen nach und nach gesenkt wird, sinkt auch die Zahl der verfügbaren Zertifikate. Je weiter Angebot und Nachfrage auseinanderklaffen, desto teurer werden die Verschmutzungsrechte. Wer auf klimafreundliche Technologien umsteigt, spart also Geld, so die Anreizlogik. Das System gilt als wirksamste Maßnahme, um den Ausstoß von Treibhausgas in der EU schrittweise zu senken.

Nun sollte ein separater Emissionshandel für den Straßenverkehr und den Gebäudesektor her. Anders als in Deutschland, wo ein CO2-Preis für Mobilität und Heizen bereits seit 2021 erhoben wird, existiert noch keine entsprechende EU-weite Regel. Doch die Reform ist im Europaparlament zunächst gescheitert: Eine Mehrheit der Abgeordneten lehnte die geplante Ausweitung des Systems am Mittwoch ab.

Weshalb der Eklat?

Monatelang hatten die Fraktionen im Umweltausschuss des Europaparlaments an einem mehrheitsfähigen Kompromissvorschlag gearbeitet. Dabei wurde sogar auf Eis gelegt, was in Deutschland mit dem CO2-Preis bereits Alltag ist: Für private Häuser und Wohnungen sowie private Mobilität hätte es bei den Zusatzkosten eine Schonfrist bis 2029 gegeben. Doch obwohl es für den finalen Entwurf große Zustimmung im Umweltausschuss gab, kam im Plenum die Schlappe.

Dass es Gegenwind geben würde, war zwar vor der Abstimmung zu erwarten gewesen: Die rechtsnationalistische Fraktion "Identität und Demokratie", zu der auch die AfD-Abgeordneten im Europaparlament zählen, stellt sich grundlegend gegen Klimaschutzmaßnahmen, ähnlich die euroskeptische Fraktion der "Europäischen Konservativen und Reformer".

Dass letztlich allerdings eine Mehrheit der Grünen im Europaparlament und zahlreiche Sozialdemokraten (S&D) gegen die Ausweitung des Emissionshandels stimmten, sorgte für Überraschung und Zorn. Im Gegensatz zum rechten Flügel im Plenum waren ihnen die Vorschläge für einen verschärften Emissionshandel nicht scharf genug.

"Es ist ein schlimmer Tag für das Europaparlament", sagte der EU-Abgeordnete Peter Liese (CDU) mit Blick auf den Schulterschluss zwischen rechts und links. Liese ist für die Verhandlung des Dossiers im EU-Parlament zuständig und kritisierte, dass bereits zum wiederholten Mal ein gemeinsames Votum von Klimaschutzgegnern und Idealisten wichtige Maßnahmenpakete gegen die Wand gefahren habe.

In den Reihen von Sozialdemokraten und Grünen wollte man das nicht gelten lassen - der Entwurf sei schlicht nicht ehrgeizig genug gewesen. "Das Europäische Parlament lehnt den von der fossilen Lobby und Allianz aufgeweichten Emissionshandel ab", sagte der EU-Abgeordnete Michael Bloss von den Grünen. Sein Kollege Tiemo Wölken (SPD) verwies bei der Suche nach Schuldigen auf die Christdemokraten: "Die christdemokratische EVP hat mit der rechten Seite des Hauses versucht, den Kommissionsvorschlag zu verwässern, wo es nur möglich war".

Dass die Verhandlungen nun von von beginnen müssen, bringe neue Hoffnung, so Grünen-Politiker Bloss. Nun gebe es wieder eine Chance, mit der Reform des Emissionshandels tatsächlich auf das 1,5-Grad-Ziel .

Auch die Umweltorganisation WWF betonte, kein Deal sei besser als ein schlechter Deal. "Eigentlich können wir es uns nicht leisten, durch ein Verschieben des Gesetzgebungsprozesses noch mehr Zeit zu verlieren", sagte Juliette de Grandpré, Senior Adviser für Klimaschutz des WWF. "Aber angesichts des Risikos, bei der Schlussabstimmung ein verheerendes Ergebnis zu erzielen, wurde heute das Schlimmste verhindert."

Wie geht es weiter?

Angesichts der Pleite für die Ausweitung des Emissionshandels auf Straßenverkehr und Gebäude wurden einige weitere Abstimmungen vertagt, die eng mit dem System zusammenhängen. Dazu gehört ein geplanter CO2-Zoll an den EU-Außengrenzen, der verhindern soll, dass importierte Waren aus Ländern ohne Emissionshandel durch niedrigere Preise den europäischen Markt untergraben.

Auch die Entscheidung über einen Klimasozialfonds, der die steigenden Kosten in der Energiewende für einkommensschwache Haushalte abfedern soll, wurde verschoben.

Alle Entwürfe rund um den Emissionshandel, die im Plenum gescheitert sind, gehen nun zurück in den Umweltausschuss. Die Abgeordneten werden dort versuchen, neue Kompromisse zu finden, die es dann auch durch die Abstimmung des gesamten Europaparlaments schaffen.

Wann das Parlament über einen neuen Kompromiss abstimmen kann, ist jedoch offen. Schon die vorangegangenen Diskussionen waren mühsam. "Dieser neue Deal könnte heute Nachmittag, in zwei Wochen oder im Juli gemacht werden. Ich weiß es noch nicht", sagte der Vorsitzende des Umweltausschusses, Pascal Canfin.

Dadurch verzögert sich die Umsetzung wichtiger Teile des EU-Klimapakets "Fit for 55", das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen voriges Jahr präsentiert hatte. Das wichtigste Ziel des Gesetzespakets ist es, die Europäische Union bis 2050 klimaneutral zu machen. Bevor die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Gesetze in Kraft treten können, müssen sowohl das Parlament als auch die EU-Länder zustimmen.

Verwendete Quellen
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