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Todesgefahr in der Wiese
So retten Tierschützer Hunderte Rehkitze vor der Mähmaschine


Aktualisiert am 10.07.2021Lesedauer: 4 Min.
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Hohes Gras als Schutz und Gefahr: So retten Helfer Rehkitze vor dem Mähtod. (Quelle: t-online)
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Im hohen Gras droht vielen Rehkitzen ein qualvoller Tod durch moderne Landmaschinen. Freiwillige Helfer tragen die Jungtiere deshalb in Sicherheit. Dafür müssen sie die Kitze aber erst einmal finden.

Im Dunkeln geht es los. Wenn um zwei Uhr morgens noch alles schläft, stehen die Tierschützer um Marina Stolle und Frank Neumann schon mit Wärmebildkamera und Drohne bereit. Nachts ist die beste Zeit für das, was sie im Frühjahr regelmäßig tun: Rehkitze retten.

"Genau in der Saison, wo die Kitze zur Welt kommen, fängt auch die sogenannte Mahdsaison an. Und da haben wir das Problem", erklärt Neumann am Telefon. Von April bis Ende Juni liegen in vielen Wiesen neugeborene und ganz junge Kitze, gut versteckt vor Fressfeinden wie Fuchs oder Falke. Aber schutzlos gegen die Klingen der großen Mähwerke.

Jedes Jahr fast 100.00 Kitze bedroht

Während der ersten zwei Lebenswochen fehlt den neugeborenen und ganz jungen Tieren nämlich der Fluchtinstinkt. Stattdessen ducken sie sich bei Gefahr und bleiben liegen. "Das gibt ganz unschöne Szenen, um es mal vorsichtig auszudrücken", beschreibt Neumann das, was er und seine Frau auch schon selbst sehen mussten. Die Klingen verstümmeln oder töten die Rehkitze. Ein unpopuläres Thema in der Landwirtschaft, auf das sich das Paar aus Brandenburg gerade deshalb spezialisiert hat.

Nach Schätzungen der Deutschen Wildtier Stiftung sind deutschlandweit jährlich fast 100.000 Rehkitze vom Mähtod bedroht. Denn der technische Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte hilft zwar beim Bewirtschaften der landwirtschaftlichen Flächen. Die immer größeren und schnelleren Maschinen lassen brütenden Wildvögeln und den Kinderstuben vom Feldhase und Reh aber oft keine Chance.

Viele Anfragen zur gleichen Zeit

Wenn bei Neumann und Stolle im Frühjahr das Telefon klingelt, kommen die Anrufe fast immer von Jagdpächtern oder Bauern. "Alle rufen zur gleichen Zeit an, so ein, zwei Tage vor der Mahd. Die Kunst ist, das zu organisieren", erklärt Neumann. "Uns bricht das Herz, wenn wir Landwirten absagen müssen, weil wir schon so viele Termine haben."

Die nächtlichen Rettungseinsätze müssen daher gut koordiniert sein. Per WhatsApp-Gruppe planen die beiden die Schichten und benachrichtigen Freiwillige. Ganz wichtig dabei: Drohnenpiloten. Ohne sie wäre die Suche nach den kleinen Rehen nämlich deutlich schwieriger.

Keine Chance ohne Drohne

"Die Flächen, auf denen wir die Kitze suchen, können in einer Nacht schonmal 60 Hektar sein, größer als 80 Fußballfelder. Bis vor zwei Jahren sind wir frustriert diese riesigen Wiesen abgelaufen und haben gesucht. Keine Chance", erinnert sich Neumann.

Inzwischen orten sie die Kitze mit Wärmebildkameras, die auf Drohnen montiert sind. Da sich die Körpertemperatur der Jungtiere tagsüber nicht deutlich genug von der Bodentemperatur abhebt, rücken Neumann, Stolle und das Team der Brandenburger Rehkitzrettung vor Sonnenaufgang aus.

Die Technik zur Kitzrettung ist kostspielig

Das erste technische Equipment haben sie sich hart erspart: "Wir haben zwei Jahre lang keinen Urlaub gemacht und die Technik dann selbst gekauft." Für die beiden lohnt sich die Aufgabe von Schlaf, Geld und Erholung allemal.

Der "Kitz-Counter" auf der Webseite ihres neugegründeten gemeinnützigen Vereins zeigt eine große rote 119 an. Mehr als doppelt so viele gerettete Kitze im Vergleich zum Vorjahr. Inzwischen ist man auch in Berlin auf ihre Arbeit aufmerksam geworden. Seit März fördert das Bundeslandwirtschaftsministerium die Anschaffung von Rettungsdrohnen. Und es melden sich immer mehr hilfsbereite Drohnenpiloten bei Neumann und Stolle.

Ihre wichtigste Anweisung für neue Unterstützer: "Duftfrei an der Wiese erscheinen! Und das Kitz nicht mit bloßen Händen anfassen, sonst nimmt die Mama es später nicht mehr an."

Gute Kontakte zu den Bauern sind wichtig

Sobald ein Kitz gefunden ist, heben die Helfer es vorsichtig in einen Korb. Frische Handschuhe und Grasbüschel zwischen den Händen sind dabei ein Muss, damit sich kein menschlicher Geruch überträgt. Ist der Einsatz vorbei, wird das Jungtier zurück in die Wiese gesetzt. Etwas Mähgut dient als Sichtschutz gegen Greifvögel.

Als Marina Stolle vor acht Jahren erstmals auf die Bauern ihres Landkreises zuging, sei sie verlacht worden: "Ich habe Schmäh und Schande abbekommen. Ich wurde überhaupt nicht ernst genommen." Zwar wolle kein Landwirt absichtlich Tiere verletzen, aber das Thema sei schwierig. Durch ihre Beharrlichkeit habe sie über die Jahre aber viele gute Kontakte zu den Höfen in der Gegend entwickelt.

Gemeinsam mit ihrem Mann träumt Stolle schon vom nächsten Schritt. "Wir sind quasi auf Expansionskurs." Sie wollen eine zweite Drohne für die Einsätze ihres Vereins finanzieren. Und dann: Ein Netzwerk aus Drohnenpiloten in ganz Brandenburg aufbauen, um noch mehr Kitze zu retten.

Freiwilligenteams in ganz Deutschland

Einen Überblick über Rettungsteams in ganz Deutschland bietet bereits jetzt die Webseite der Deutschen Wildtier Stiftung. Auch wer in der Saison 2022 in der eigenen Region mithelfen möchte, kann sich dort nach örtlichen Freiwilligengruppen umsehen.

Angehenden Rehkitzrettern rät Marina Stolle vor allem zum behutsamen Umgang mit den Jungtieren. Und "ein bisschen Toleranz für wenig Schlaf schadet auch nicht".

Wie Tierretter die Rehkitze mit Drohnen und Wäschekörben vor dem Mähtod retten, sehen Sie im Video direkt hier oder oben im Artikel.

Verwendete Quellen
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