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AKW | Scholz' Machtwort: Wirklich mehr Strom dank Atomkaft?


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Drei Meiler bleiben
Wirklich mehr Strom dank Atom?

  • Theresa Crysmann
Von Theresa Crysmann

Aktualisiert am 18.10.2022Lesedauer: 5 Min.
Das Kernkraftwerk Emsland in der Nähe von Lingen: RWE betreibt hier einen Druckwasserreaktor, der trotz absehbarer Schwierigkeiten nun über das Jahresende hinaus weiterlaufen soll.Vergrößern des Bildes
Das Kernkraftwerk Emsland in der Nähe von Lingen: RWE betreibt hier einen Druckwasserreaktor, der trotz absehbarer Schwierigkeiten nun über das Jahresende hinaus weiterlaufen soll. (Quelle: IMAGO/Malte Ossowski/ Sven Simon)
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Aller guten Dinge sind drei, beweist das Kernkraft-Machtwort des Bundeskanzlers. Doch welchen Mehrwert hat der Streckbetrieb des AKW Emsland tatsächlich?

Jahrzehnte der Kernkraftdebatte verdichtet auf zehn Monate: Ein Dreivierteljahr hat die Bundesregierung um einen Aufschub des Atomausstiegs gerungen. Ja, nein, vielleicht. Nun gilt das Machtwort des Bundeskanzlers:

Alle drei aktiven Meiler sollen bis April 2023 im Streckbetrieb weiterlaufen, um die Stromversorgung in Deutschland zu stützen, falls es im Winter eng werden sollte. Es ist eine Gnadenfrist für die Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und nun auch für das AKW Emsland, das dank des Scholz'schen Durchgreifens ebenfalls das Jahresende überleben wird.

Doch wie sinnvoll ist der Streckbetrieb der Kernkraftwerke und insbesondere des Reaktors Emsland? Und ist das technisch überhaupt möglich? Die Antworten auf die wichtigsten Fragen im Überblick bei t-online.

Wie wichtig ist Scholz' Entscheidung für die Energiesicherheit?

Kaum. Zu diesem Schluss kam die Bundesregierung nach einer Prüfung schon im März 2022. Demnach produzieren die Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland insgesamt nur sechs Prozent des Stroms in Deutschland.

Diese Menge wiederum entspricht zwar immerhin rund der Hälfte des Stroms, den deutsche Gaskraftwerke 2021 erzeugt haben, ist aber im Gesamtbild "ein sehr geringer Beitrag zur Energieversorgung", wie es unter anderem vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung heißt.

Die Sorge, dass die Stromversorgung in Deutschland ohne die Leistung der AKW bedroht sei, im Winter gar ein Blackout drohen könnte, ist deshalb laut Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) völlig unbegründet: "Wir haben keine Stromknappheiten und ausreichende Stromerzeugungskapazitäten. Derzeit produzieren wir nur deshalb viel mehr Strom, als wir selbst brauchen, um damit Frankreich zu helfen."

Das Nachbarland, das für seine Stromversorgung hauptsächlich auf Atomkraft gesetzt hat, hat seit Monaten mit ausgefallenen und zwangsabgeschalteten Kernkraftwerken zu kämpfen. Aktuell laufen nur 27 der landesweit 56 Anlagen, die Regierung muss große Strommengen aus Anrainerstaaten zukaufen – größter Lieferant ist Deutschland.

Das nimmt hierzulande Kapazitäten für die Stromerzeugung in Anspruch. Statt die Mehrbelastung durch einen Streckbetrieb deutscher Atomkraftwerke aufzufangen, "sollten wir lieber die ungenutzten erneuerbaren Kapazitäten nutzen", so Kemfert.

Alle drei AKW haben im Vollbetrieb eine vergleichbare elektrische Bruttoleistung von rund 1.400 Megawatt, mit denen jeweils rund 3,5 Millionen Haushalte versorgt werden können. Diese Leistung wird im Streckbetrieb aber wohl nirgends ausgeschöpft werden können. Der Grund: Die Brennstäbe sind alt und liefern nicht mehr genug Energie (siehe nächster Abschnitt).

Wie machbar ist der Streckbetrieb?

Der kritischste Knackpunkt des geplanten Weiterbetriebs ist bei allen verbleibenden Reaktoren gleich: Die Brennstäbe schwächeln.

So gab das baden-württembergische Umweltministerium bereits im Juni bekannt, die Brennstäbe des Meilers Neckarwestheim 2 gäben nur zwei zusätzliche Betriebsmonate über das Jahresende hinaus her – und ausschließlich dann, wenn die Leistung um 50 Prozent gedrosselt werde.

Auch in Bayern deutet vieles bereits auf stark geschwächte Brennelemente hin: Bevor das Kernkraftwerk Isar 2 in den Streckbetrieb übergehen kann, stehen dort größere Reparaturen an.

Rund eine Woche will der Betreiber PreussenElektra das AKW stilllegen, um eine Leckage am Ventil des Reaktors zu reparieren. Ein Sicherheitsrisiko bestehe durch diese typische Verschleißerscheinung zwar nicht – ein Weiterbetrieb sei allerdings nur nach der Instandsetzung möglich.

Dies muss nach Informationen des Bundesumweltministeriums baldmöglichst geschehen, "da die Brennelemente des Reaktorkerns bereits im November eine zu geringe Reaktivität hätten, um die Anlage aus dem Stillstand heraus dann wieder hochzufahren". Als Datum für die geplante Abschaltung nannte PreussenElektra zuletzt den 21. Oktober. Immerhin: Mit der Reparatur scheint der Streckbetrieb möglich, nachdem das Unternehmen noch Anfang September mitgeteilt hatte, dass ein Weiterlaufen der Anlage technisch gar nicht machbar sei.

Noch ärger scheint die Situation im AKW Emsland: "Die Brennelemente sind bereits jetzt derart abgebrannt, dass sie nicht mehr genügend Energie haben, um bis zum Jahresende im Vollbetrieb zu laufen", ließ Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) Anfang August verlauten.

Schon im November müsse das Kernkraftwerk deshalb in den "Stauchungsbetrieb" gehen, wie Lies den Streckbetrieb bezeichnete. Die Anordnung des Kanzlers, die Anlage fünf weitere Monate parat zu halten, dürfte an der Brennstab-Problematik wenig ändern.

Zumal die Fraktionschefinnen der Grünen im Bundestag, Katharina Dröge und Britta Hasselmann, Olaf Scholz' Worte als klares Dekret gegen den Kauf neuer Brennstäbe interpretierten. Nicht zuletzt, da diese bisher vor allem in Russland gekauft wurden und, beispielsweise nach Aussage des niedersächsischen Umweltministeriums, mindestens vier Jahre genutzt werden müssten, bevor sie sich überhaupt einlagern lassen.

So oder so: Der Verzicht auf neue Brennelemente und der Streckbetrieb des Meilers bei Lingen scheinen sich gegenseitig auszuschließen. Die Diskussion sei ohnehin unnötig, findet Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung: "Der Beitrag des AKW Emsland ist verschwindend gering. Das Kraftwerk sollte wie vereinbart Ende des Jahres vom Netz gehen."

Wie stark können die Strompreise durch den Streckbetrieb sinken?

Geringfügig. FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner begrüßte den geplanten Streckbetrieb des AKW Emsland auf Twitter umgehend als "wichtigen Beitrag für Stromkosten" und könnte damit zumindest teilweise richtig liegen.

So gibt es zwar keine Auswertungen dazu, inwiefern der Weiterbetrieb des niedersächsischen Meilers Emsland bei Lingen zu deutschlandweiten Entlastungen auf der Stromrechnung führen könnte. Allerdings zeigen zwei neue Studien des Münchner Ifo-Instituts sowie der Universität Erlangen-Nürnberg: Sinkende Kosten für Endverbraucher sind möglich.

Allerdings gehen die Forscher bei den Berechnungen von Laufzeiten aus, die deutlich über die vorgesehene Frist für den Streckbetrieb (15. April 2023) hinausgehen. Einig darüber, wie sehr die Strompreise tatsächlich zurückgehen könnten, sind sich die Ökonominnen und Ökonomen jedoch nicht.

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Während die Uniforscher recht optimistisch eine Preissenkung für Endverbraucher von bis zu 13 Prozent vorhersagen, dabei aber die tatsächlichen Kosten des Weiterbetriebs außen vor lassen, beschränkt sich das Expertenteam des Ifo-Instituts auf mögliche Ersparnisse von 4 Prozent im Jahr 2023 und nur noch 1,2 Prozent im Jahr darauf.

Auch Energieökonomin Claudia Kemfert geht auf Anfrage von t-online von einem "verschwindend geringen Effekt" auf den Strompreis aus. "Weder das Argument der Energiesicherheit noch des Strompreises sind energiewirtschaftlich zu belegen", so Kemfert.

Gerade ein Weiterbetrieb des AKW Emsland sei unsinnig. "In Norddeutschland gibt es ausreichend Strom, sodass ein Weiterbetrieb des AKW Emsland aus energiewirtschaftlicher Sicht unnötig und für die Energiewende kontraproduktiv ist", argumentiert sie.

Wie auch der Leitautor der Ifo-Studie, Mathias Mier, fürchtet Kemfert, dass der Streckbetrieb der verbleibenden Reaktoren den Umstieg auf erneuerbare Energien behindern werde.

Gleichzeitig gilt auch: Der Strompreis gibt nicht die wahren Kosten der Kernkraft wieder. Die tatsächliche gesamtgesellschaftliche Last der Atomenergie übersteigt das, was pro Kilowattstunde (kWh) auf der Stromrechnung steht, um ein Vielfaches.

Eine Berechnung des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft im Auftrag von Greenpeace Energy zeigt: Rechnet man die Ausgaben des Bundes für die kerntechnische Sicherheit und Entsorgung, den Abbau veralteter Kernkraftwerke und die Fusionsforschung mit ein, kostet eine kWh Atomstrom bis zu 42,2 Cent. Im Gegensatz dazu schlägt beispielsweise Windenergie nur mit 8,1 Cent pro kWh zu Buche.

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