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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Pflanzen für eine bessere Welt "Genau diese Pflanzen brauchen wir für die Zukunft"
Bei der Gartenarbeit die Welt retten? Das ist möglich – zumindest, wenn es nach der erfahrenen Ökologin Sigrid Drage geht. Wie auch Sie mit ein paar Pflanzen die Welt verbessern können, erzählt die Expertin im Interview.
Formlos und langweilig? Für den Garten von Sigrid Drage, promovierte Ökologin und Autorin, gilt das nicht. Er ist bunt und vielfältig – genau wie die Natur. Hybridsorten sind hier fehl am Platz. Mit selbst gezogenen Pflanzen betreibt die leidenschaftliche Permakulturistin Drage seit mehreren Jahren erfolgreich den Sonnentor Frei-Hof im österreichischen Sprögnitz. Ihre Mission: Die Vielfalt erhalten, nachhaltige Lebensräume schaffen, das Klima schützen und dadurch einen kleinen Beitrag für eine lebenswerte Zukunft leisten. Das klingt schwer. Ist es jedoch nicht. Wie jeder das leicht schaffen kann, beschreibt Sigrid Drage in ihrem aktuellen Buch "Wie du dein eigenes Saatgut gewinnst – und so ein kleines Stück Welt rettest".
t-online: Frau Drage, Sie sind leidenschaftliche Permakulturistin. Was bedeutet das?
Sigrid Drage: Ich bin beim Gärtnern und im Zuge meines Ökologiestudiums auf die Methoden und das Gestaltungskonzept der Permakultur gestoßen. Dabei hab ich sofort für mich erkannt, wie viel Sinn es macht, mit den Prozessen der Natur zu arbeiten, die Vielfalt zu fördern und dabei auch noch tolle Ernten zu haben. Die Permakultur kann so viel. Ich hab dann mit einem Permakultur-Grundkurs gestartet und lerne und experimentiere seither immer weiter.
Der Titel Ihres neuen Buches ist sehr einprägsam. Aber warum kann man mit dem eigenen Saatgut ein kleines Stück Welt retten?
Alle samenfesten Pflanzensorten – also Gewächse, die man über eigenes Saatgut weiter vermehren kann – sind unglaublich wertvoll. Sie ermöglichen es Gärtnern und Bauern, eigenständig und in Kooperationen an der Erhaltung und auch Züchtung teilzuhaben. Genau diese Menschen sind auch für das Fortbestehen von Sorten ausschlaggebend, weil diese sonst verschwinden würden. Jede Sorte hat eine Geschichte, kann etwas Spezielles. In vielen stecken Eigenschaften, die sie klimawandeltauglich machen – also brauchen wir sie für die Zukunft.
In Ihrem Buch empfehlen Sie, auf altes Saatgut zu setzen. Warum ist Ihnen Saatgut von alten, ursprünglichen Pflanzen so wichtig?
Es gibt einfach eine sehr große Fülle an alten Sorten, wo richtig viel ausprobiert werden kann. Und vor allem haben die Sorten alle ihre eigenen Geschichten: Sie sind gezüchtet worden für bestimmte Bedingungen, zum Beispiel ertragen manche Trockenheit besser, andere wiederum sind sehr schnell im Ausreifen und eigenen sich für Gebiete mit frühen Frösten im Herbst. Wieder andere haben Früchte, die sich besser verarbeiten lassen – zum Beispiel Tomatensorten, die innen hohl sind und sich zum Füllen eignen. Die Vielfalt an Sorten ist bei den alten Sorten besonders groß. Aber natürlich sind auch neue Sorten, solange sie samenfest sind, interessant. Es geht einfach darum, dass die Geschichte der Saatgutvermehrung in den Hausgärten weitergeht und nicht alles der Industrie überlassen wird.
Altes Saatgut wird im Baumarkt oder Gartencenter eher selten oder gar nicht angeboten. Haben Sie einen Tipp für unsere Leser, wie sie an altes Saatgut kommen?
Am spannendsten sind immer Saatgut-Tauschfeste oder Märkte. Hier kommen viele Leute zusammen, die sich mit der Erhaltung samenfester Pflanzensorten beschäftigen und auch gern ihr Wissen und ihre Erfahrungen weitergeben. Wenn es eine solche Veranstaltung in der Nähe gibt – nichts wie hin. Aber auch bei vielen kleineren Betrieben, die sich auf Samengärtnerei spezialisiert haben, kann man tolles Saatgut bekommen. Ich hab im Anhang meines Buches eine kleine Liste an Kontakten zusammengestellt.
Worauf sollte man bei Saatgut von alten, ursprünglichen Pflanzen achten?
Dass man im Idealfall eine ausführliche Sortenbeschreibung dazubekommt und auch auf die Standortwünsche eingeht, die beschrieben werden. Auch auf Nährstoff- und Wasserbedarf der Sorte sollte man Rücksicht nehmen.
Dass das Erntedatum des Saatguts nicht zu lange zurückliegt, denn die Keimfähigkeit sollte noch gut sein – das ist aber bei allen Pflanzen so.
Können Hobbygärtner in ihrem Garten nach und nach altes Saatgut aussäen oder sollten lieber erst die teilweise stark überzüchteten Pflanzen komplett aus dem Garten entfernt werden, ehe die Gartenumgestaltung erfolgt?
Jede oder jeder wie sie oder er möchte. Da gibt's keine Regeln. Es geht einfach ums Anfangen und da ist es vielleicht einfacher, mal mit Sorten zu beginnen, die einem über den Weg laufen. Einfach ausprobieren und dann Schritt für Schritt weitermachen. Das ist für viele ein Zugang, der Freude macht. Ob für andere der ganz konsequente Weg – also alles gleich umstellen – mehr Sinn macht, ist wohl eine Typfrage.
Zwar gibt es in Ihrem Buch auch 40 ausführliche Porträts zu Blumen sowie Gemüse- und Kräuterpflanzen, die sich leicht vermehren lassen. Doch vielen fehlt der Platz, derart viele Gewächse im eigenen Garten anzupflanzen. Mit welchen Pflanzen sollten Hobbygärtner Ihrer Meinung nach anfangen?
Mit dem, was ihnen am besten schmeckt, wo die Neugier am größten ist, es mal auszuprobieren. Die 40 vorgestellten Pflanzen sind alle mit geringerem bis mittlerem Schwierigkeitsgrad und geeignet für Anfänger und Anfängerinnen, sie sollen zur Auswahl dienen.
Stellen die alten, ursprünglichen Pflanzen besondere Anforderungen an Standort oder Pflege?
Es ist besonders toll, dass es so viele Sorten gibt – und ich spreche hier immer von den samenfesten Sorten. Oft sind es alte, weil sie in großer Vielfalt vorhanden sind. Aber auch neuere Sorten sind spannend. Ob alt oder auch neu: Alle haben bestimmte Ansprüche. Und zwar jede Sorte etwas anderes – zum Beispiel an den Standort, die Bodenqualität, die Nährstoffversorgung, die Wärme- und Lichtansprüche. Durch die Sortenvielfalt kann man sich die Sorten heraussuchen, die für die Bedingungen auf dem eigenen Balkon oder im Garten am besten passen.
Wie kommen diese mit neuartigen Schädlingen oder mit den Folgen der Klimakrise wie Trockenheit und Starkregen klar?
Eben deshalb gut, weil es eine so große Sortenvielfalt gibt. Es ist immer etwas dabei, das besonders robust ist. Zumindest ein Teil dieser Sorten hat Eigenschaften, die wir jetzt genau brauchen können. Diese dürfen wir jetzt wieder entdecken und weiter vermehren und geben ihnen so auch die Chance, sich Schritt für Schritt anzupassen.
Vielen Dank für das Interview, Frau Drage.