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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gewagte These Bekommt eine Schwangere mit Sodbrennen ein Baby mit üppiger Haarpracht?
Im Laufe einer Schwangerschaft bekommt wohl jede Frau etliche goldene Weisheiten zu hören, für die es oft keine wissenschaftlichen Belege gibt. In diese Rubrik gehört auch die These, dass zwischen Schwangerschaftssodbrennen und üppiger Haarpracht eines Neugeborenen ein direkter Zusammenhang besteht. Kann das sein?
Stöbert man in den Online-Foren, in denen sich werdende und frischgebackene Mütter über Schwangerschaft und Geburt austauschen, wird auch immer wieder über den vermeintlichen Zusammenhang zwischen der Haarmenge eines Säuglings und unangenehmem Schwangerschaftssodbrennen diskutiert. Die meisten Frauen äußern sich eher skeptisch zu dem Thema.
Erfahrungsberichte in Online-Foren widerlegen den Mythos
"Ich hatte bisher überhaupt kein Sodbrennen und bin in der 35. Schwangerschaftswoche. Aber meine Kleine hat nun erstaunlicherweise total viele Haare. Auf dem Ultraschallbild ist das schon ziemlich gut zu erkennen", berichtet "Filli".
"Dass Sodbrennen ein Anzeichen für Babys mit vielen Haaren sein soll, ist doch völliger Unsinn", schreibt "Biene". "Ich hatte während meiner beiden Schwangerschaften Sodbrennen zum Wändehochgehen und dann bekomme ich zwei Kinder mit Glatze. Das wäre ja auch zu schön gewesen. Ich glaube nicht, dass ich mit meinen süßen Kahlköpfen nur die Ausnahme von der Regel war."
Und "Dina" kommentiert: "Gerade in den letzten Schwangerschaftswochen wurde ich oft von aufsteigender Magensäure gequält und dann kommt meine Tochter tatsächlich mit einer Wahnsinns-Mähne auf die Welt. Ich hätte sie gleich zum Friseur schicken können. Trotzdem halte ich das alles für Humbug - genauso wie den Spruch, starke Kopfbehaarung bei Babys würde den Magen der Mutter kitzeln und deshalb Sodbrennen auslösen."
US-Erhebung sollte Klarheit bringen
Laut einer Studie von 2006 aus den USA hingegen besteht ein Zusammenhang zwischen Schwangerschaftssodbrennen und dem schon im Mutterleib prächtig entwickelten Haarwuchs eines Kindes. Das jedenfalls behaupten die Autoren, die ihre Ergebnisse seinerzeit im Fachmagazin "Birth" veröffentlichten und die auf der Webseite der US-Behörde "Nationales Zentrum für Biotechnologieinformation" nachzulesen sind.
Die Methode der Forscher war sehr einfach: Die US-Autoren arbeiteten mit 64 schwangeren Teilnehmerinnen aus einer anderen medizinischen Studie zusammen, die bereit waren, ihnen nach der Geburt ein Foto ihres Babys zu schicken. In der 36. Schwangerschaftswoche sollten die Frauen dann anhand einer vierstufigen Skala dokumentieren, ob beziehungsweise wie stark ihnen Sodbrennen zu schaffen macht.
Nach der Geburt wurden die Bilder der Kinder einer unabhängigen Jury zwecks Beurteilung der Haarpracht auf einer Skala zwischen eins und fünf vorgelegt. Die Ergebnisse der vorangegangenen Befragung kannte die Jury nicht.
Und siehe da: 82 Prozent der Mütter, die über starkes Sodbrennen klagten, hatten Babys mit überdurchschnittlichem Haarwuchs. Die Babys derjenigen Frauen, die nicht oder kaum unter Sodbrennen litten, hatte dagegen zu etwa 80 Prozent keine oder nur sehr wenige Haare.
Wissenschaftlich gesehen liefert eine solche Erhebung keine seriösen, belastbaren Daten: Zu wenige Frauen standen zur Verfügung, um zu einer repräsentativen Auswertung gelangen zu können. Außerdem unternahmen die Studienautoren keinen Versuch, der Kopplung von Sodbrennen und dem Haarwuchs des Kindes biologisch auf den Grund zu gehen und damit die statistischen Ergebnisse zu untermauern.
Hebamme: "Ein Zusammenhang ist unlogisch"
Für die Hebamme Ursula Jahn-Zöhrens, die seit drei Jahrzehnten als Geburtshelferin arbeitet, gehört die These auf jeden Fall in die Kategorie "Mythos". "Sodbrennen während der Schwangerschaft und die Haarmenge eines Neugeborenen haben rein gar nichts miteinander zu tun. Das ist ja auch völlig unlogisch. Der Magen und die Gebärmutter sind ja nicht miteinander verbunden. Der Haarwuchs eines Kindes wird allein durch die Gene bestimmt, und das typische Sodbrennen bei Schwangeren rührt von der Hormonumstellung her."
Die Hebamme erklärt: Diese Veränderungen führten wiederum dazu, dass auch der Magenpförtner weniger fest schließe und so Magensäure leichter nach oben in die Speiseröhre entweichen könne. Dieser Effekt werde noch verstärkt, wenn das Kind wenige Wochen vor der Entbindung viel Platz beanspruche und so der Magen-Darm-Trakt zusätzlich zusammengedrückt werde.
"Obwohl es Eltern heute eigentlich besser wissen sollten, dass an solchen ‘Weisheiten‘ meist nichts dran ist, halten sich Ammenmärchen wie dieses auch im 21. Jahrhundert noch ausgesprochen hartnäckig", stellt Jahn-Zöhrens fest. "Daran wird sich wahrscheinlich auch so schnell nichts ändern. Das ist meine Erfahrung in 30 Berufsjahren."
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.