Schwangerschaftsphobie Die Angst vor dem Alien im Bauch
Phobien sind keine kurzfristigen Spleens, sondern ernst zu nehmende psychische Störungen. Sie können den Alltag auf den Kopf stellen und das Leben belasten. So auch bei der sogenannten Tokophobie - der Angst vor Schwangerschaft und Geburt. Was betroffene Frauen fühlen und was gegen die Ängste hilft, erklärt die Berliner Hebamme Jana Friedrich.
Eigentlich ist es das Natürlichste der Welt: schwanger werden und sich neun Monate auf den Nachwuchs freuen. Nicht so bei Nalesh. Sie hat Angst vor dieser, für die meisten Frauen schönen und aufregenden Lebensphase.
"Ich wollte zwar immer Kinder", beschreibt sie ihre Gefühle, "aber ich hatte wahnsinnige Angst vor der Schwangerschaft. Einerseits, weil ich wusste, dass sich mein Körper und meine Seele verändern würden. Andererseits hatte ich die Befürchtung, dass mich die Kindsbewegungen komplett verstören könnten und ich das Kind dann nur noch 'aus mir raus' haben wollte."
Schwangerschaftsphobie war lange ein Tabuthema
Nalesh ist nur eine von rund 180 Frauen, die sich im Blog der Berliner Hebamme Jana Friedrich zu Wort meldeten, nachdem dort vergangenes Jahr eine andere Betroffene ausführlich über ihre quälenden Ängste berichtete. Damit begann eine Kettenreaktion. "Für mich war bis dahin in meinem Alltag als Hebamme das Phänomen Schwangerschaftsphobie Neuland. Ich war sehr erstaunt, wie viele sich in dem Beschriebenen wieder erkannten und sich trauten darüber zu reden - als hätte man eine bis dahin verschlossene Tür geöffnet."
13 Prozent der Frauen sind betroffen
Bislang haben sich nur britische Wissenschaftler genauer mit Tokophobie beschäftigt. Sie fanden in einer 2003 veröffentlichten Studie heraus, dass immerhin 13 Prozent der Frauen eine Schwangerschaft aus von Angst vermieden oder verschoben hatten. Außerdem ergaben die Untersuchungen, dass die Betroffenen häufig besonders sorgfältig verhüteten, sich öfter sterilisieren ließen oder auch ihre Partner zur Sterilisation drängten. In einzelnen Fällen führten die Ängste sogar zu einem Schwangerschaftsabbruch. Allerdings schien die Furcht vor Schmerzen, etwa bei der Entbindung, bei den meisten Befragten nur vordergründig eine Rolle zu spielen.
Familie und Freunde verstehen es nicht
Dass über dieses Phänomen relativ wenig bekannt ist, liegt wohl auch daran, dass die meisten tokophobischen Frauen ihre Ängste niemandem anvertrauen, weil sie damit ein gesellschaftliches Tabu berühren. "Mutter zu werden und Mutter zu sein ist grundsätzlich positiv besetzt, wird als etwas sehr Natürliches und Großartiges angesehen", erläutert die Hebamme. "Aus diesem Grund stoßen Frauen, die unter Schwangerschaftsphobie leiden, in ihrem sozialen Umfeld meist auf wenig Verständnis."
Ein Fremdkörper im Bauch
Doch wovor fürchten sich die Frauen? "Ich möchte nicht, dass sich mein Körper so verändert", heißt es in dem Erfahrungsbericht im Hebammenblog. "Ich kann mir einfach nicht vorstellen, diese Veränderungen zu genießen, stolz, gespannt und erfreut sein zu können. Dass sich plötzlich etwas Lebendiges in mir bewegt? Was, wenn sich Schwangersein wirklich so erschreckend anfühlt, wie ich es mir vorstelle?"
Friedrich hat mittlerweile viele solcher angstbesetzten Fantasien gehört - auch von Frauen, bei denen gerade eine Schwangerschaft festgestellt wurde. "Nicht selten haben diese werdenden Mütter das Gefühl, dass eine Art Alien, ein parasitärer Fremdkörper, in ihnen heranwächst, zu dem sie keinen Kontakt aufbauen können. Sie fürchten sich davor, dass sie auf die Veränderungen in ihrem Körper, die sie fast als Beschädigung erleben, keinerlei Einfluss haben. Das ist für sie eine befremdende und gruselige Vorstellung."
Angst vor Verlust der Selbstbestimmung
Auch die sozialen Einschnitte, die die Geburt eines Kindes mit sich bringt, beschäftigen Frauen mit Schwangerschaftsphobie. Manche fürchteten, in die Rolle des "Heimchens am Herd gedrängt zu werden, erklärt die Hebamme.
Nach ihrer Erfahrung plagen solche Gedanken überdurchschnittlich oft feministisch orientierte, gebildete Frauen. Oft seien die Betroffenen auch etwas älter und lebten zudem häufig in einer festen Beziehung. "Die größte Angst dieser Frauen ist, ihren Alltag mit einem Kind nicht mehr kontrollieren zu können und ihre bisherige Selbstbestimmung und Unabhängigkeit zu verlieren."
Psychologen können helfen
Da die Schwangerschaftsphobie eine psychische Störung ist, die Betroffene nur schwer selbst in den Griff bekommt, empfiehlt Friedrich, sich professionelle Hilfe bei einem Psychologen zu holen: "Das ist vor allem dann nötig, wenn die Angst wie eine gigantische Mauer vor einem steht und man seinen Gefühlen nicht entkommt."
Doch auch simplere Methoden können einiges bewirken. Das erfuhr Friedrich, nachdem sie auf ihrem Blog das Tabuthema aus seinem Schattendasein geholt hatte. "Bei zahlreichen Frauen, die sich daraufhin mit mir in Verbindung setzen, wirkte allein das Kommunizieren über ihre Ängste befreiend. Viele fanden es beruhigend zu wissen, dass sie mit ihrer Furcht nicht alleine sind. Das machte wiederum anderen Mut, sich zu öffnen."
Schwangerschaftsphobie verschwindet in der Schwangerschaft
Manchmal verliert sich die Furcht von ganz alleine, und zwar ausgerechnet, wenn die gefürchtete Schwangerschaft Realität wird. Dann relativiere sich vieles im Laufe der Monate, weiß die Hebamme. "Nicht wenige machten dann die erleichternde Erfahrung, dass ihre Angstzustände stetig nachließen, je größer ihr Baby im Bauch wurde, je mehr sie es spürten und es nicht mehr als Fremdkörper wahrnahmen."
Weitere Informationen: www.hebammenblog.de
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.