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Andy Cools: "Unser Chemobaby"


"Unser Chemobaby"
Lesley bekam Brustkrebs während ihrer Schwangerschaft - und überlebte

t-online, Simone Blaß

04.03.2015Lesedauer: 5 Min.
Lesley erhielt während ihrer Schwangerschaft die Diagnose Brustkrebs, eine Operation und Chemotherapie folgten.Vergrößern des Bildes
Lesley erhielt während ihrer Schwangerschaft die Diagnose Brustkrebs, eine Operation und Chemotherapie folgten. (Quelle: Ann de Wulf / Knaur)
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Der Start ins Leben von Marnix war alles andere als leicht. Seine Mutter erkrankte während der Schwangerschaft an einer aggressiven Form von Brustkrebs. Aber Marnix hat die Chemotherapie überlebt, und all die dazugehörigen Ängste und Gefühle seiner Eltern gut überstanden. Heute ist der Junge vier Jahre alt und ein fröhliches, ganz normal entwickeltes Kind.

In Europa werden pro Jahr etwa viertausend Schwangere mit der Diagnose Krebs konfrontiert - und weil Frauen ihre Kinder immer später bekommen, werden es immer mehr. Doch selbst eine Chemotherapie ist heute kein Grund, eine Schwangerschaft abzubrechen. Dank des wissenschaftlichen Fortschritts und genauester Überwachung ist es möglich, beide Menschenleben zu retten, das der Mutter und das des ungeborenen Kindes. Die Belgierin Lesley Verley hatte Brustkrebs und trotzdem ein gesundes Baby geboren. Ihr Mann Andy hat sich den Leidensweg in seinem Buch "Unser Chemobaby" von der Seele geschrieben.

Angst um das "Chemobaby" und die Mutter

Lesley war in der zehnten Woche schwanger, und ihre Schwangerschaft noch ein wohlgehütetes Geheimnis, als bei ihr ein Knoten in der Brust entdeckt und Krebs diagnostiziert wurde. Es musste schnell gehandelt werden, denn die Krankheit duldete keinen Aufschub.

"Der Unterschied zwischen 'über Krebs reden' und 'Krebs haben' eröffnet sich einem erst nach der Konfrontation mit dem medizinischen Urteil", erzählt Andy. Vor allem, wenn es nicht nur die Frau, sondern auch das gemeinsame Kind betrifft. Die Frage nach dem Sinn quälte den werdenden Vater: "Im Augenblick hasse ich die Welt und frage mich, warum ich mich bisher immer so im Hamsterrad abgestrampelt habe. Das alles kommt mir jetzt völlig unbedeutend vor; für die Gesundheit meiner Frau und meines Kindes würde ich allem entsagen."

Ein Team aus Spezialisten steht dem Paar zur Seite

Die Ärzte rieten zum Schwangerschaftsabbruch, obwohl es zu diesem Zeitpunkt bereits internationale Studien gab, die darauf hoffen ließen, dass sich die Gefahr durch eine Chemotherapie für Babys nach dem vierten Schwangerschaftsmonat in Grenzen hält. Die Studien besagten, dass auch die Prognosen für die Mütter, die die für das Ungeborene viel zu gefährliche Bestrahlung bis nach der Geburt aufschieben müssen, denen von nicht schwangeren Patientinnen zu entsprechen schienen.

Trotzdem: Die Forschung steckte noch in den Kinderschuhen. Viel zu wenig wusste man darüber, wie sich eine Chemotherapie auf ein Ungeborenes tatsächlich auswirkte, mit welchen Spätfolgen man eventuell zu rechnen habe.

Doch diese Unwissenheit war letztendlich ein Glück für die Familie. Denn die 33-Jährige und ihr Mann wollten nicht aufgeben. Bei ihrer Suche stießen sie auf den Spezialisten für gynäkologische Onkologie an der Katholischen Universität Leuven, Frédéric Amant. Sein Forschungsschwerpunkt: Krebs und Schwangerschaft. Lesley und ihr Sohn wurden von da an engmaschig betreut.

Wird das "Chemobaby" ein Monster sein?

"Der Krebs ist heilbar und das Kind hat gute Überlebenschancen." Die Worte des Professors hinterließen ihre Wirkung. "Lesley und ich wissen, dass wir Risiken eingehen. Jedoch halten wir uns nicht für tollkühn. Den vorgeschlagenen therapeutischen Weg zu beschreiten und zugleich das Kind zu behalten, das haben uns bisher nur wenige Frauen oder Paare vorgemacht. Uns ist klar, dass noch nicht alle Nebenwirkungen bekannt sind. Aber viele Wahlmöglichkeiten haben wir nicht. Wenn wir unser Kind behalten wollen, müssen wir zustimmen", so beschreibt Andy den Prozess, den beide durchgemacht haben.

Es ist nicht einfach, die richtige Dosierung für Schwangere zu finden, da sich im Verlauf der Schwangerschaft die Vorzeichen immer wieder verändern. Bei Lesley entschieden sich die Ärzte für eine Operation und sechs Chemo-Zyklen, verteilt über 15 Wochen.

Auch im Umfeld der werdenden Familie blieben Ängste. "Niemand hat unseren Entschluss uns gegenüber bisher anzuzweifeln gewagt. Aber auch so sprechen ihre Mienen oft Bände. Offenbar fürchten sie, unser Kind könnte aufgrund der Chemotherapie als Monster zur Welt kommen."

Albträume vom schwangeren Zombie

Andy sah seine Aufgabe darin, Lesley zu stützen, der Halt an ihrer Seite zu sein. Einfach war das nicht. Seine Emotionen ließ er nur zu, wenn er einen Moment für sich war. "Allein übermannen mich plötzlich die Gefühle. Ich weine wie ein Kind und verberge mein Gesicht in den Händen. Lesley darf mich so nicht sehen. Ich heule Rotz und Wasser und bin untröstlich. In diesem Moment komme ich mir vor wie der einsamste Mensch der Welt."

Die düstersten Gedanken überfielen den jungen Mann. "Einmal angenommen, Lesley verliert den Kampf gegen die Krankheit, lebt aber noch lange genug, um unser Kind zu bekommen? Dann werde ich nicht nur Witwer, sondern auch ein alleinerziehender Vater sein. Ich sehe mich schon einen Kinderwagen vor mir herschieben, verwirrt und ziellos." Ein Leben ohne seine Frau konnte und wollte er sich nicht vorstellen. Er verbot sich jedes Selbstmitleid und fiel doch immer wieder in düstere Seelenlöcher: "In meinen allerbeängstigstenden Alpträumen hatte ich mir Lesley nach ihrer ersten Chemo-Infusion als schwangeren Zombie vorgestellt. Nur noch Haut und Knochen und dazu ein dicker Bauch."

Ein Sinnbild der Ängste

Auch Lesley quälten Ängste, die sich ihren Weg suchten. Sie fürchtete sich vor den Reaktionen anderer. Vor den Blicken auf ihren Bauch, wenn die Menschen die typische Chemofrisur sehen. "Was, wenn die Leute sie anstarren und nicht verstehen, wie das eine zum anderen passt? Als werdende Mutter möchte sie strahlen und sich der Außenwelt in vollem Glanz präsentieren", so Andy.

"Sämtliche Widersprüche in einem Menschenleben, dieser Mix aus Angst und freudiger Erwartung, treten nie deutlicher zutage als bei einer krebskranken Schwangeren." Hinzu kam die tief steckende Angst, auch das zweite Kind zu verlieren. Denn schon die erste Schwangerschaft von Lesley war problematisch. Das Kind kam mit einem offenen Rücken auf die Welt und starb. Lange ist Lesley nicht in der Lage, das Haus für ein weiteres Kind vorzubereiten. "Eine solche Anhäufung von Angst und Stress ist auf Dauer unerträglich." Doch für die beiden gab es nur einen Weg: vorwärts.

Das Ungeborene wird zum Symbol der Hoffnung

"Manchmal denke ich, dass es für Andy schwieriger war als für mich", meint Lesley heute. "Als Partner steht man oft ohnmächtig daneben, während der geliebte Mensch verschiedene Prüfungen durchstehen muss. Es hat dann keinen Sinn, sich zu verschließen; der einzige Weg ist der nach vorn und zwar für beide. Heute weiß ich, welch große Bedeutung ein verständnisvoller und unterstützender Partner für den Heilungsprozess hat." Für beide wird das Ungeborene immer mehr zum Symbol der Hoffnung auf ein gemeinsames Weiterleben.

Marnix ist gesund und munter

In der 37. Woche duldeten die Bestrahlungen keinen Aufschub mehr. Die Geburt wurde eingeleitet. "Die letzten Monate waren kein Spaziergang. Den einen Tag schwebten wir auf Wolken, am nächsten gingen wir durch ein tiefes Tal." Voller Liebe erinnert sich Andy an die Geburt: "Monatelang habe ich meine Tränen unterdrückt, doch jetzt ist es, als bräche mein persönlicher Staudamm. Ich lasse meinen Tränen freien Lauf und schaue voller Stolz auf die mutigste Frau der Welt, mit einem Neugeborenen auf dem Bauch, für das ein neun Monate langer, unermüdlicher Kampf geführt wurde." Ein Neugeborenes, das der lebendige Beweis dafür ist, dass auch ein Chemo-Baby gesund das Licht der Welt erblicken kann.

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  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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