Revolutionäre Technik Automechaniker erfindet Geburtshilfe-Tüte
Es begann mit einem youtube-Video: Jorge Odón hatte gesehen, wie man einen Korken, der in eine leere Weinflasche gedrückt worden war, wieder herausbekommen kann, und zwar mit Hilfe einer simplen Plastiktüte. Der Korken muss mit viel Kraft in die Flasche gedrückt werden, kommt aber mit der Tüte leicht wieder herausgeflutscht. Dem argentinischen Automechaniker kam mitten in der Nacht die Idee, dieselbe Technik bei der Geburtshilfe anzuwenden. Er weckte seine Frau Marcela, um ihr begeistert von seiner bahnbrechenden Idee zu erzählen. Das Ganze sei billiger und einfacher als Saugglocke oder Geburtszange. Odóns Frau reagierte wenig enthusiastisch und sagte, er solle weiterschlafen.
Doch Jorge Odón blieb hartnäckig. Obwohl er keinerlei medizinische Ausbildung hat, entwickelte er eine Art Tüte, mit der man ein Baby, das im Geburtskanal feststeckt, herausziehen kann. Er testete das Ganze an einer Puppe seiner Tochter, die in einem großen Glasgefäß steckte. Odóns Frau half beim Nähen des Tüten-Prototyps.
Die Tüte könnte Saugglocke und Zange ersetzen
Wenn eine (fortgeschrittene) Geburt ins Stocken kommt, etwa weil die Mutter erschöpft ist, weil die Wehen nachlassen oder weil das Baby sehr groß ist, werden Saugglocke oder Zangen eingesetzt oder ein Kaiserschnitt vorgenommen. Doch Odóns Erfindung könnte die Geburtshilfe-Techniken revolutionieren. Denn die Baby-Tüte kommt ohne größere Technik aus und ließe sich auch in armen Ländern oder abgelegenen Regionen einsetzen. Auch nach Naturkatastrophen könnte diese simple Art der Geburtshilfe Leben retten, wenn zum Beispiel ein Kaiserschnitt nicht möglich ist.
So funktioniert die Tüte
Die Geburtshelferin stülpt einen doppelwandigen Plastikschlauch über das Köpfchen des Babys. Dazu setzt sie einen weichen Plastiktrichter auf den Kopf, um die richtige Position zu sichern. Die äußeren Wände der Tüte sind mit einer Art Gleitmittel beschichtet und erleichtern so das Anbringen und die eigentliche Geburt. Dann wird etwas Luft zwischen die Wände der Tüte gepumpt. Der Babykopf wird fest vom Luftpolster umschlossen. Zieht man nun an der Tüte, wird der Kopf des Babys mitgezogen.
Die WHO lässt die Tüte testen
Als der Automechaniker seine revolutionäre Idee einem Ärzteteam vorstellte, glaubte Frauenarzt Javier Schvartzman, er sei in eine Folge der "versteckten Kamera" geraten und ihm werde ein Streich gespielt. Doch Odón machte keine Witze. Es gelang ihm, den Arzt von seiner Baby-Tüte zu überzeugen. Schvartzmann und seine Kollegen halfen bei der Entwicklung eines funktionierenden Prototyps und stellten die Verbindung zur Weltgesundheitsorganisation WHO her.
Genial, weil billig und einfach
Die WHO ließ sich von Odóns Idee begeistern. Mittlerweile wurde die Tüte bereits an 30 Frauen getestet, die eine normale Geburt hatten. Die bisherigen Tests verliefen vielversprechend, sagt Doktor Ana Pilar Bertran von der WHO. 100 weitere Tests sollen folgen, zunächst bei normalen Geburten, später dann auch, wenn tatsächlich die Wehen nicht voran gehen oder das Baby im Geburtskanal feststeckt.
Weltweit sterben laut WHO-Angaben jeden Tag rund 800 Frauen durch vermeidbare Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt, die meisten von ihnen in Entwicklungsländern, wo es wenig oder gar keine medizinische Geburtshilfe gibt.
Die Tüte ist die erste Innovation in der vaginalen Geburtshilfe, seit vor 60 Jahren die Saugglocke erfunden wurde. Sie ist jedoch wesentlich sanfter als Zange oder Saugglocke, da sie den ganzen Kopf des Babys umschließt und nicht nur an einzelnen Punkten des empfindlichen Schädels zieht. Da die Plastikfolie den Kontakt zwischen Geburtskanal und Baby reduziert, könnte sie zudem Infektionen verhindern, die während der Geburt übertragen werden. Und nicht zuletzt ist die Geburtstüte erheblich billiger als eine Saugglocke.
In Deutschland sind sechs von hundert Babys betroffen
Im Jahr 2012 wurden in Deutschland 37.000 Kinder mit der Saugglocke auf die Welt geholt (5,7 Prozent). Mit Hilfe einer Zange wurden 3000 Babys geboren (0,5 Prozent). Es wurden knapp 207.000 Kaiserschnitte durchgeführt, das sind 31,7 Prozent aller Geburten.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.