Schwangerschaft Schulprojekt: Fünf Tage ein Baby auf Probe
Sie schreien, haben Hunger, die Windel ist voll, sie machen Bäuerchen: 24 Stunden Babystress statt Party und Chillen. Wollen Teenager das wirklich? Das Schulprojekt "Elternpraktikum - Babybedenkzeit" will Jugendlichen aufzeigen, was es heißt, Verantwortung für ein Baby zu übernehmen - rund um die Uhr, aber für begrenzte Zeit. So funktioniert das sexualpädagogische Projekt "Eltern auf Probe" mit dem Babysimulator.
"Am Wochenende haben wir das aber nicht mehr - da will ich nämlich feiern gehen", "Können wir nicht ein Mädchen herholen, das wirklich schwanger ist?", "Ich frage mich, ob es an der Schule eine gibt, die schwanger ist?", "Manche können einfach nicht verhüten!" - das schießt 17-Jährigen durch den Kopf, wenn sie sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, ein "Baby" zu bekommen. Allerdings nur für fünf Tage, dann kommt der Babysimulator wieder in die Kiste und an die nächste Schule. "Elternpraktikum - Babybedenkzeit" heißt das Projekt, das Sozialpädagogen an Schulen durchführen. Das Elternportal von t-online.de konnte Marijke Eppendorfer van Rijn und Catherine Sunder von der Diakonie Darmstadt-Dieburg an eine Schule begleiten.
Mulmige Gedanken
Die zwölf zukünftigen Eltern auf Zeit, elf Mädchen und ein Junge können es kaum erwarten, bis sie ihre "Babys" im Arm halten können. Doch es ist ihnen auch mulmig. Ein Mädchen springt in letzter Minute ab. Sie traut sich die Aufgabe nicht zu. "Du hast abgetrieben", schleudert ihr eine Mitschülerin noch an den Kopf. Ein anderes sucht das Vier-Augen-Gespräch mit der Betreuerin. Ihre Sorge: "Ich bin ja etwas dicker, da tuscheln doch die Nachbarn: 'wir wussten doch gleich, dass die schwanger ist' oder so etwas." Marijke Eppendorfer van Rijn kann ihre Sorgen verstehen. Das Mädchen entscheidet sich trotzdem für das Baby.
Die Geburtsstunde: "Oh wie süüüüß"
Dann endlich werden die Kartons mit der Aufschrift "Realityworks - live it - learn it" geöffnet: "Oh wie süüüüß! " Eindeutig fällt die Reaktion in der Geburtsstunde aus. Endlich halten die Probe-Eltern ihre Babys im Arm. Und schon müssen sie diese wieder abgeben. Wie bei einer echten Geburt, wird das Baby gewogen, vermessen und erhält eine Geburtsurkunde. Jetzt dürfen die Mamis auf Zeit ihrem Baby einen Namen geben. Ob es ein Mädchen oder Junge wird, das können sie allerdings nicht beeinflussen.
Das "Baby" ist ein Babysimulator, eine Art Babypuppe mit dem Gewicht und den Maßen eines Neugeborenen. Doch eigentlich ist es ein kleiner Computer: An seinem Rücken ist ein Sensor, der auf einen Chip anspricht, den die "Eltern" an einem Armband ständig bei sich tragen. Jedes Baby hat ein anderes Programm, nach dem es versorgt werden muss: Füttern, Wickeln, Beruhigen, Bäuerchen machen. Schreit es, heißt das: ich habe ein Bedürfnis. Also: Innerhalb von zwei Minuten Chip an den Sensor und sich um das Baby kümmern, rund drei Minuten. Das Baby kann nämlich ziemlich durchdringend schreien, es kann hüsteln, glucksen, nörgeln - und das 24 Stunden am Tag.
Mit dem Babysimulator durch die Stadt
Das bedeutet für die Schüler, nachts aufstehen, mit einer schreienden Babypuppe im Bus fahren, im Wartezimmer ein unechtes Baby füttern, in der Straßenbahn den Simulator wickeln. Nicht ganz der normale Schulalltag. Der Computer zeichnet auf, wie gut oder schlecht die Babys versorgt werden. Am Ende des Projekts werden diese Aufzeichnungen ausgewertet.
Eindringlich warnt Marijke Eppendorfer van Rijn die Schüler: "Geht sorgsam und verantwortungsvoll mit den Babys um! Passt auf sie auf, gebt sie nicht in fremde Hände!" Die Jugendlichen wissen, wie teuer die Simulatoren sind, nämlich rund 1000 Euro das Stück. Sie wissen auch, dass für Nachbarn, Passanten und Polizei das Schreien der Baby-Puppen absolut echt klingt. Wird eine Puppe nicht versorgt, dann schreit sie - eventuell so lange, bis ein Nachbar die Polizei ruft.
Das will das sexualpädagogische Präventions-Projekt
Aufsichtspflicht ist ein Thema in den fünf Tagen, ebenso die Gefahren durch heftiges Schütteln und Vernachlässigung, Rauchen und Alkohol wird angesprochen. Aber vor allem Prävention, Verhüten von frühen Schwangerschaften, Verantwortung für das eigene Leben und das eines Babys.
Teenagerschwangerschaft als Lebensperspektive?
Teenagerschwangerschaften - trotz Aufklärung und vielfältiger Verhütungsmöglichkeiten gibt es viel zu viele. Meist verbauen sie jungen Menschen eine sinnvolle Berufsausbildung und erschweren den Lebensweg. Manchen Jugendlichen ohne Perspektive allerdings erscheint eine Elternschaft als sinnvoller Lebensentwurf, als Alternative zu Arbeitslosigkeit oder mühsamer Ausbildung.
"Es ist ein großer Unterschied, ob wir dieses Projekt in einem Gymnasium oder einer Hauptschule durchführen", weiß Eppendorfer. "Mädchen ohne guten Schulabschluss streben keine berufliche Karriere an. Baby statt Lehre, das erscheint ihnen tatsächlich oft als Alternative, zumindest ist es ein Gedankenspiel."
Augenringe und Schlafmangel: die ersten Erfahrungen
"Kein Wunder, dass mein Vater von uns so genervt war", meint ein Mädchen am nächsten Tag. Weniger sorgfältig geschminkt als am Tag zuvor, verschlafen oder verspätet versammeln sich die Probe-Eltern zum gemeinsamen Frühstück mit Erfahrungsaustausch in der Schule. "Anstrengend", dieses Wort fällt immer wieder. Manche wurden von Passanten angesprochen, manche ließen sich von den Eltern zur Schule fahren, um neugierigen Blicken auszuweichen, die meisten haben "ihre" Babys liebevoll in eigene Strampler und Jäckchen gekleidet. Noch aus der eigenen Kindheit, von Geschwistern, geliehen oder sogar neu gekauft. "Ich sehe gar nicht gut aus, ich habe richtige Augenringe", jammert eine Probe-Mami, "Das wird noch schlimmer", prophezeit ihr Projektleiterin Eppendorfer van Rijn. "Nein, dann habe ich einen Mann, der sich mit kümmert" - "Und wenn der Kerl abhaut?" Es entspinnen sich schnell Diskussionen. Die Mädchen tauchen tief ein in die neue Rolle und die Thematik.
Sie lernen viel: Fakten rund um die Themen Sexualität, Familienplanung, Schwangerschaft, Elternschaft, Babypflege, Kindesmisshandlung. Aber vor allem erleben sie diese Verantwortung. Das Projekt ist extrem realitätsnah.
Lernerfolge durch Erleben
Eine Schülerin wurde von einer fremden Frau in der Bahn angesprochen. "Eigentlich ist es doch schön, dass man durch Kinder mit Menschen ins Gespräch kommt", meint ein Mädchen. "Ja, ich will später Kinder haben", bestätigt Sarah, während sie ihr Baby im Arm wiegt, "aber noch nicht jetzt, ich will erst etwas erreichen, dann ein Baby."
Nach fünf Tagen ist das sexualpädagogische Projekt "Babybedenkzeit" abgeschlossen. Freitag später Nachmittag, die Babysimulatoren sind abgegeben. Entspannt schlendert Valentina durch das Einkaufszentrum, eingehakt bei ihrer Freundin: Mit Baby wäre das nicht so entspannt.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.