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ADHS bei Erwachsenen – Modekrankheit oder unterschätztes Problem?


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Trend in den sozialen Netzwerken
ADHS bei Erwachsenen – nur Mode oder echtes Problem?


Aktualisiert am 12.09.2023Lesedauer: 5 Min.
Bei Erwachsenen wird eine Erkrankung mit ADHS häufig erst spät erkannt.Vergrößern des Bildes
Bei Erwachsenen wird eine Erkrankung mit ADHS häufig erst spät erkannt. (Quelle: PeopleImages/getty-images-bilder)

Aufmerksamkeitsstörungen, Unruhe, Impulsivität sind typische Merkmale von ADHS. Immer mehr Erwachsene bekennen sich zu der Erkrankung. Woran liegt das?

Auch bei immer mehr Prominenten sind ADHS-Diagnosen bekannt: Entertainer Stefan Raab, Musiker Justin Timberlake, Schauspielerin Emma Watson, Stand-up Comedian Felix Lobrecht, Kabarettist Ludwig Müller – die Liste ist lang. In den sozialen Netzwerken wie Facebook, TikTok, YouTube und Co. mehren sich ADHS-Outings Erwachsener.

Nehmen ADHS-Erkrankungen tatsächlich zu? Oder ist ADHS zu einer Modekrankheit geworden? t-online hat mit einer ADHS-Expertin über die aktuelle Situation gesprochen.

Was ist ADHS?

ADHS ist die Abkürzung für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Die Entwicklungsstörung beginnt in der Kindheit und ist durch die Kernsymptome Unaufmerksamkeit, Impulsivität und/oder motorische Unruhe gekennzeichnet.

ADHS ist keine Kinderkrankheit: Etwa 50 bis 80 Prozent der im Kindesalter Betroffenen zeigt im Erwachsenenalter Symptome – ein Drittel der Betroffenen sogar das Vollbild der Störung. "Untersuchungen gehen davon aus, dass in Deutschland etwa fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen von ADHS betroffen sind und etwa 2,5 Prozent der Erwachsenen", sagt Dr. med. Kirsten Stollhoff, Vorsitzende der AG ADHS, einer Arbeitsgemeinschaft von Ärztinnen und Ärzten, die ADHS-Patienten begleiten.

Unaufmerksam, impulsiv, unruhig: das "Zappelphilipp-Syndrom"

Menschen mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zeigen die drei Hauptsymptome Unaufmerksamkeit, Impulsivität und motorische Unruhe/Hyperaktivität. Sie lassen sich leicht ablenken, können sich schwer konzentrieren, sind unruhiger, ungeduldiger und unachtsamer als andere, vergessen häufig Termine, tun sich schwer mit der Tagesplanung und beschreiben ihr Leben selbst oft als chaotisch, rastlos, getrieben und unorganisiert.

Eine umgangssprachliche Bezeichnung von ADHS ist daher "Zappelphilipp-Syndrom". Doch: Nicht immer sind von ADHS Betroffene auffällig hyperaktiv.

ADHS-Symptome im Erwachsenenalter

Besonders bei Erwachsenen fehlt das Symptom Hyperaktivität manchmal oder ist nur schwach ausgeprägt. Viele Betroffene können sich zudem gut auf Dinge konzentrieren, die sie interessieren (Hyperfokus). Deshalb wird der Verdacht ADHS oft verworfen.

Zugleich bringen ADHS-Betroffene viele Stärken mit: Sie sind oft belastbar, haben viel Energie, sind sehr kreativ, begeisterungsfähig, voller Ideen und sprudeln geradezu vor Einfällen und Visionen. Sie lieben Abwechslung, Herausforderungen und Spannung.

"Die klassischen ADHS-Symptome lassen im Erwachsenenalter oft nach, da die Betroffenen lernen, sich zu kontrollieren. Daher zeigt sich die Hyperaktivität oftmals nicht in Form von körperlicher Aktivität, sondern verlagert sich nach innen. Betroffene verspüren oft eine starke innere Unruhe, Anspannung und Gereiztheit und tun sich häufig schwer mit der Impulskontrolle", erklärt Stollhoff.

"Auch Organisatorisches und zeitliches Planen fallen schwer, etwa an Termine zu denken und diese einzuhalten. Im Kopf ist oft so viel los und die Gedanken springen bei Betroffenen so stark, dass es schwerfällt, sich zu konzentrieren und zu fokussieren. Oft werden Aufgaben aufgeschoben."

Woher kommt ADHS?

Die Ursachen für ADHS sind nicht vollständig erforscht. Man geht davon aus, dass genetische Veranlagung und neurochemische Ursachen zusammenspielen und zu Veränderungen im Gehirn führen. So zeigen sich unter anderem Veränderungen beim Transport des Botenstoffs Dopamin in den Bereichen, die für Gedächtnis und Lernen zuständig sind.

Einflussgrößen wie Rauchen, Alkohol- oder Drogenkonsum während der Schwangerschaft beispielsweise erhöhen das ADHS-Risiko. Als weitere ADHS-Ursache wird zudem das schnelle, leistungsorientierte und reizüberflutete Leben diskutiert. Stimmt das?

"Ein stressiges, reizüberflutetes und schnelles Leben ist nicht die Ursache einer ADHS, kann die Symptomatik beziehungsweise die Probleme der Betroffenen aber verstärken", sagt Stollhoff. "Ebenso kann ein auf die Bedürfnisse angepasstes Umfeld die Symptomatik verbessern. So ist eine Tätigkeit im Büro für ADHS-Betroffene eher ungünstig. Spannende Berufe, in denen viel Neues passiert und die abwechslungsreich sind, fördern hingegen die Stärken."

Ist ADHS eine Modekrankheit?

Schaut man in die sozialen Netzwerke, entsteht der Eindruck, dass die Häufigkeit von ADHS zunimmt. Immer mehr Erwachsene bekennen sich zu ADHS. Selbsttests werden angeboten, und viele sind aufgrund der Ergebnisse von einer Betroffenheit überzeugt.

Doch schnellen die Zahlen tatsächlich in die Höhe? "Die tatsächlichen Zahlen haben in den letzten zehn Jahren kaum zugenommen. Dass ADHS aktuell immer mehr in den Fokus rückt, liegt unter anderem an der stärkeren Aufklärung zu dem Thema, was dazu führt, dass sich Erwachsene oftmals in der Symptomatik wiedererkennen und einen Arzt aufsuchen – und ADHS in Folge häufiger diagnostiziert wird", erklärt die Expertin.

"Wer den Verdacht auf ADHS hat, sollte diesen ärztlich überprüfen lassen. Auch, weil fast jeder Mensch bestimmte ADHS-Symptome bei sich findet. Doch das heißt nicht, dass ADHS vorliegt. Selbsttests sind nicht aussagekräftig, und die Ergebnisse sollten immer mit Vorsicht betrachtet werden. Sie dienen lediglich als erste Orientierung."

Wohin wende ich mich beim Verdacht auf ADHS?

Der erste Kontakt bei Verdacht auf ADHS bei Erwachsenen ist der Hausarzt. Dieser kann an entsprechende Fachärzte überweisen. Diagnostiziert wird ADHS bei Erwachsenen von Fachärztinnen und -ärzten für Psychiatrie, psychosomatische Medizin und Neurologie sowie ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten mit speziellen Tests und Fragebögen. Auch können neuropsychologische Testungen hinzugezogen werden.

Die Suche nach ärztlicher Hilfe braucht etwas Geduld: Bis zu einem Jahr kann es dauern, bis man einen Termin bei einem Arzt bekommt. Wer nicht weiterkommt, kann sich bei der Suche nach Anlaufstellen unter anderem auch an die AG ADHS oder die Selbsthilfe ADHS wenden.

Kinder- und Jugendärztin Dr. med. Kirsten Stollhoff ist Vorsitzende der AG ADHS. Die Ärztinnen und Ärzte der Arbeitsgemeinschaft begleiten ADHS-Patienten und möchten zur Verbesserung der Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die bestmögliche gesundheitliche Versorgung von Menschen jeden Alters mit ADHS im deutschsprachigen Raum beitragen.

Warum ADHS oft erst spät diagnostiziert wird

Viele Erwachsene bemerken bereits ihr gesamtes Leben Symptome einer ADHS – von der Schule bis hin zum Beruf und Privaten. Der Leidensdruck ist bei vielen groß. Manche denken gar, mit ihnen stimme etwas nicht.

ADHS im Erwachsenenalter wird oft erst spät erkannt, weil die Betroffenen ihre Symptome nicht einordnen können und aufgrund dessen keine ärztliche Hilfe anfragen. Ein weiterer Grund ist, dass viele Ärzte bislang kaum Berührungspunkte mit ADHS haben und diese nicht als mögliche Ursache des Beschwerdebildes in Betracht ziehen. "Es ist wichtig und wertvoll, dass Aufklärung stattfindet und dass Experten verschiedener Fachbereiche zusammenarbeiten, um Betroffenen bei der Diagnose und Behandlung zu helfen", sagt Stollhoff.

Vor allem bei Frauen wird die Krankheit häufig übersehen. Sie haben nicht selten einen langen Weg an Fehldiagnosen hinter sich, bis der Verdacht auf ADHS fällt – von Bipolarer Störung, Angststörung, Burn-out bis hin zu Depressionen.

Dass Ärzte bei Frauen häufig nicht an ADHS denken, hängt vermutlich damit zusammen, dass in der öffentlichen Meinung vor allem das männliche Geschlecht von ADHS betroffen ist und Frauen übersehen werden. "ADHS bei Frauen ist erst in den letzten Jahren ins Bewusstsein gerückt", sagt Stollhoff. "Auch hier hat die verbesserte Aufklärung geholfen."

ADHS bei Erwachsenen: Medikamente nicht immer zwingend erforderlich

Wird dann die Diagnose ADHS gestellt, sind die meisten erleichtert und dankbar – auch, weil sie im Rahmen einer Therapie Unterstützung erfahren. Oftmals werden verhaltenstherapeutische Maßnahmen und die Gabe von Medikamenten kombiniert. Eine medikamentöse Dauertherapie ist nicht zwingend notwendig.

"Oftmals reicht es bei Erwachsenen aus, Medikamente nach Bedarf zu nehmen. Abhängig ist das auch vom individuellen Leidensdruck. Ebenso geht es darum, Stärken zu fördern und den Umgang mit der ADHS zu lernen", sagt Stollhoff.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • ag-adhs.de: "Infos zum Spektrum der ADHS". Online-Information der AG ADHS, Ärztliche Arbeitsgemeinschaft ADHS für den deutschsprachigen Raum. (Stand: Aufgerufen am 4. September 2023)
  • ag-adhs.de: "Patientenleitlinie Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter". Online-Information (PDF) der ADHS Deutschland e. V. (Stand: März 2022)
  • bundesgesundheitsministerium.de: "Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom". Online-Information des Bundesministerium für Gesundheit. (Stand: 25. Mai 2023)
  • adhs.info: "Für Erwachsene". Online-Information des Infoportals ADHS des Universitätsklinikums Köln. (Stand: Aufgerufen am 4. September 2023)
  • adhs.info: "ADHS: was ist das?". Online-Information des Infoportals ADHS des Universitätsklinikums Köln. (Stand: Aufgerufen am 4. September 2023)
  • zentrales-adhs-netz.de: "Allgemeine Infos zu ADHS". Online-Information des zentralen ADHS-Netzes des Universitätsklinikums Köln. (Stand: Aufgerufen am 4. September 2023)
  • awmf.org: "Kurzfassung der interdisziplinären evidenz- und konsensbasierten (S3) Leitlinie „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter". AWMF-Register-Nr. 028-045. (Stand: 2022)
  • gesundheitsinformation.de: "Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS)". Online-Information des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). (Stand: 4. Mai 2022)
  • gesundheitsinformation.de: "ADHS bei Erwachsenen". Online-Information des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). (Stand: 4. Mai 2022)
  • gesund.bund.de: "ADHS". Online-Information des Bundesministeriums für Gesundheit. (Stand: 21. Oktober 2022)
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