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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sprunghafter Anstieg Was die aktuellen Corona-Zahlen bedeuten
Über 100.000 bestätigte Corona-Infektionen an einem Tag – so viele gab es zuletzt Ende April in Deutschland. Ist das der Beginn der Sommerwelle?
447,3 Corona-Fälle pro 100.000 Einwohner – diese Zahl meldete das Robert Koch-Institut (RKI) am Dienstagmorgen. Vor einer Woche betrug dieser Wert nur 331,8. An einem Tag wurden somit über 105.000 Corona-Infektionen gemeldet. Was bedeutet das? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen.
Woher kommen die hohen Zahlen?
Klar ist, am Wochenende und auch im Vergleichszeitraum eine Woche zuvor (Pfingsten) wurde nicht nur weniger getestet, auch die Meldungen der Gesundheitsämter verzögerten sich. Fälle vom Wochenende werden so im Lauf der Woche nachgemeldet, was den sprunghaften Anstieg erklären kann. Der Wert könnte also verzerrt sein.
Was bedeutet die Zahlen im Vergleich?
Mehr als 100.000 gemeldete Fälle an einem Tag gab es zuletzt Ende April. "Das ist insofern bemerkenswert, als dass wir damals etwa zweimal Mal so viel und weniger symptombezogen getestet haben", erklärt der Mathematiker Kristan Schneider von der Hochschule Mittweida. "In die Statistik der Neuinfektionen fließen nur positive PCR-Tests ein. Und die werden flächendeckend kaum noch gemacht. Man erkennt somit weniger 'Silent Spreader', also asymptomatische Infektionen, die für die Betroffenen ungefährlich sind, aber für das pandemische Geschehen eine wesentliche Rolle spielen. "
Hinzu kommt, dass viele Menschen nach einem positiven Schnelltest auf den PCR-Check verzichten. Damit wird deutlich: Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein. "Wir verlieren das wahre Infektionsgeschehen aus den Augen, seitdem es keine Querschnitttestungen mehr gibt. Und auch Schnelltests werden in den meisten Fällen ja erst dann gemacht, wenn Symptome auftreten", so Schneider.
Welche Variante steckt dahinter?
In Deutschland weiterhin dominant ist der Omikron-Subtyp BA.2. Allerdings: Der Anteil der Fälle, der auf die noch einmal ansteckendere Variante BA.5 zurückgeht, hat sich innerhalb von zwei Wochen vervierfacht. Aktuell wird BA.5 bei etwa jedem zehnten Infizierten nachgewiesen.
Aber auch hier handelt es sich um Richtwerte, denn nur etwa fünf bis zehn Prozent der positiv getesteten Proben werden überhaupt sequenziert, also darauf untersucht, um welche Variante es sich handelt.
Droht uns eine schwere BA.5-Welle?
Die Schnelligkeit, mit der die BA.5-Variante um sich greift, hat mit der Tatsache zu tun, dass sie noch einmal 13 Prozent ansteckender ist. In Portugal, wo die Variante bereits dominant ist, werden Inzidenzen von knapp 1.400 Fällen pro 100.000 Einwohner gemeldet. Droht dies auch bei uns?
"Nach unseren Modellen erwarten wir keine große Welle in Deutschland", erklärte der Epidemiologe Markus Scholz im Interview mit t-online. "Das hat vor allem einen Grund: Aktuell sehen wir noch die Dominanz von BA.2, die um sich greift und derzeit viele infiziert. Diese Art von Durchseuchung verleiht zunächst eine gewisse, wenn auch vorübergehende Immunität. Eine Infektion mit BA.2 bietet zwar keinen hundertprozentigen Schutz vor einer Ansteckung mit BA.5, aber doch schon einen großen."
Damit wird deutlich: BA.5 kann uns eher im Herbst gefährlich werden, wenn der Immunschutz nach der Infektion nachlässt und auch die Impfungen schon länger zurückliegen.
Wie entwickelt sich die Sterberate?
Die Zahl der täglichen Todesfälle sinkt seit Mitte März. Anfang Juni starben in Deutschland im Schnitt 84 Menschen täglich an den Folgen ihrer Corona-Infektion, wie das RKI in seinem Wochenbericht meldet. Im BA.5-Land Portugal beträgt dieser Wert derzeit etwa 40, doch das Land ist achtmal kleiner als Deutschland.
Deutlich wird: Je mehr Infizierte es gibt, je virulenter das Virus also ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es auch diejenigen trifft, die – manchmal sogar trotz Impfung – schwer erkranken.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Interview mit Kristan Schneider
- Interview mit Markus Scholz
- RKI-Tagesbericht
- RKI-Wochenbericht
- Eigene Recherche