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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Impfpflicht in der Pflege "Wir wissen nicht, wie viele Pflegende geimpft sind "
Bis Mitte März müssen Beschäftigte in Pflegeheimen einen Nachweis über eine vollständige Impfung oder über den Genesenenstatus vorlegen. Droht nun eine Kündigungswelle?
Senioren und Pflegebedürftige gelten als besonders vulnerable Gruppen in der Corona-Krise. Infizieren sie sich mit dem Coronavirus, drohen ihnen schwere Krankheitsverläufe bis hin zum Tod. Und das auch nach zwei Impfungen. Der Grund: Ihr Immunsystem arbeitet oft schlechter und langsamer. Sie sollen nun vorrangig geboostert werden. Doch auch die Menschen, die mit ihnen umgehen, müssen ab Frühjahr 2022 geimpft sein, denn klar ist: Geimpfte geben das Virus deutlich seltener weiter.
Der Bundestag beschloss dazu die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht. Heißt: Jeder, der Einrichtungen wie Alten- und Pflegeheime, Reha-Einrichtungen oder Einrichtungen zur Betreuung von Menschen mit Behinderungen betritt, muss seinen Status als Geimpfter oder Genesener nachweisen. Wer dies nicht kann, muss mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen.
Wie steht der Pflegeverband dazu? Und wird jetzt eine Kündigungswelle befürchtet? t-online fragte die Verbandschefin Christel Bienstein.
t-online: Frau Bienstein, wie steht Ihr Verband zu der beschlossenen Regelung?
Christel Bienstein: Die Impfpflicht einrichtungsbezogen einzuführen, ist sinnvoll. Nur für eine Berufsgruppe eine solche Maßnahme einzuführen, hielten wir für nicht klug. Wir haben es hier mit mehr Protagonisten zu tun als nur mit dem Pflegepersonal, das in Kontakt zu den vulnerablen Gruppen tritt. Sie haben hier zum Beispiel auch Reinigungs- und Küchenpersonal, Hausmeister bis hin zu ehrenamtlichen Altenbetreuern. Wichtig ist, dass auch diese Menschen geschützt sind, sodass sie das Virus nicht weitergeben können.
Wissen Sie denn etwas über die Impfquote des Pflegepersonals?
Nein, wir haben darüber schlicht keine Zahlen. Wir wissen aus Gesprächen und Erfahrungen, dass die Impfquote im Westen höher ist als im Osten. Dort haben wir größere Probleme.
Wie erklären Sie sich die Teile des Personals, die sich bisher noch nicht haben impfen lassen?
Zu vermuten ist, dass es sich hier auch um weniger Qualifizierte handelt. Eine examinierte Pflegefachkraft hat eine dreijährige Ausbildung hinter sich. Unter anderem auch aus finanziellen Gründen werden in der Pflege aber auch viele Hilfskräfte eingesetzt. Diese Menschen erreichen Sie mit dem Angebot einer Impfung deutlich schlechter. Es gibt hier zum Beispiel auch ganz praktisch Probleme in der sprachlichen Vermittlung. Viele dieser Hilfskräfte kommen aus Osteuropa.
Prof. Christel Bienstein ist Pflegewissenschaftlerin an der Universität Witten/Herdecke und Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK).
Die Menschen, die Sie sprachlich erreichen: Was sagen die? Warum lehnen sie die Impfung ab?
Man muss leider sagen: Diese Menschen sind Gesprächen nicht mehr zugänglich. Man kann sie auch in ausführlichen Einzelgesprächen nicht mehr erreichen. Ohne die beschlossene Impfpflicht in den Einrichtungen müssten sie aber all diese Menschen vom direkten Kontakt zu den vulnerablen Gruppen abziehen. So viel Personal können Sie aber gar nicht in die Verwaltung oder Ähnliches umsetzen. Daher ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht sinnvoll, aber ich bin darüber hinaus auch für eine allgemeine Impfpflicht in der Gesamtbevölkerung.
Befürchten Sie keine Kündigungswelle, wenn die Impfpflicht zunächst in Ihrem Bereich kommt?
Nicht in großem Umfang. Jetzt, da schon flächendeckend 3G gilt, sehen wir das ja bereits. Und wenn dann die Impfpflicht ab März in allen Einrichtungen gilt: Wo sollen die Ungeimpften dann arbeiten? Sie können dann nur den Beruf wechseln. Wir rechnen nicht damit, dass es sich dabei um eine große Gruppe von Menschen handelt. Klar ist doch auch: Eine kleine Gruppe, die die Impfung radikal ablehnt, darf die anderen nicht dominieren. Als Team muss ständig Rücksicht auf diese Personen genommen werden, das ist auf Dauer nicht umsetzbar.
Wie steht das Pflegepersonal zu dem versprochenen Gesundheitsbonus?
Das wünscht sich keinen Bonus, sondern ein vernünftiges Gehalt. Sie müssen sich in ihre Lage reinversetzen: In der ersten Welle wurden die Mitarbeiter oft weitgehend ohne Schutzkleidung gewissermaßen an die Front geschickt. Da haben sich auch viele infiziert, sehr viele waren diesem hohen Risiko ausgesetzt. Dann wurde für sie geklatscht und dann wurden sie weitgehend wieder vergessen. Und als Nächstes hören sie: Ihr seid die ersten, für die eine Impfpflicht verhängt wird.
Also ein Bonus honoriert die Leistung nicht gebührend?
Ein Bonus muss vor allem differenziert geprüft werden. Hier können nicht alle über einen Kamm geschoren werden.
Was wünschen Sie sich in der derzeitigen Situation?
Sinnvoll wäre es zunächst mal, wenn wir repräsentativ ermitteln könnten, wie viele Pflegekräfte überhaupt schon geimpft sind. Das können wir bislang nur in Umfragen. Gäbe es eine Selbstverwaltung der Pflege, hätten wir dieses Problem nicht. Und: Im neuen Corona-Expertenrat der Bundesregierung sitzen 19 Fachleute – kein einziger aus der Pflege ist dabei. Das muss sich ändern.
Frau Bienstein, wir danken Ihnen für das Gespräch!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Interview mit Christel Bienstein
- Eigene Recherche