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Virologe Kekulé erwartet "Lockdown durch die Hintertür" – ab Inzidenz von 250


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Warnung vor dem Corona-Winter
Virologe Kekulé erwartet "Lockdown durch die Hintertür"


Aktualisiert am 11.11.2021Lesedauer: 5 Min.
Virologe Alexander Kekulé mahnt: Auch die Geimpften können sich infizieren.Vergrößern des Bildes
Virologe Alexander Kekulé mahnt: Auch die Geimpften können sich infizieren. (Quelle: picture alliance/dpa/Revierfoto | Revierfoto)
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Die Corona-Fallzahlen und -Inzidenzen erreichen Rekordhöhen. Die Politik reagiert mit der Verschärfung der Regeln für Ungeimpfte. Alexander Kekulé warnt jedoch vor einer Scheinsicherheit der Konzepte.

Corona hat Deutschland auch im zweiten Pandemieherbst fest im Griff. Allerorten steigen die Infektionszahlen, wieder wird vor einer Überlastung des Gesundheitssystems und der Auslastung der Intensivbetten gewarnt. Die Politik reagiert. In Sachsen gilt bereits die 2G-Regel, die nur Geimpften und Genesenen den Zutritt zu öffentlichen Innenräumen gestattet. Berlin will nachziehen. Doch der Virologe Alexander Kekulé warnt im Gespräch mit t-online vor Ausbrüchen auch unter den Geimpften.

t-online: Herr Kekulé, die Ampelkoalition hat ihre Pläne für den Corona-Winter vorgelegt. Nicht enthalten ist eine bundesweite 2G-Regel. Berlin hat nun entschieden, in weiten Teilen des öffentlichen Lebens 2G einzuführen. Wie stehen Sie dazu?

Alexander Kekulé: Ich bin gegen die 2G-Regel ohne zusätzliche Maßnahmen. 2G ist nicht sicher, denn wir wissen, auch Geimpfte können sich infizieren und das Virus weitertragen. Also tragen auch Geimpfte zum Infektionsgeschehen bei.

Der RKI-Wochenbericht weist etwa 145.000 (Stand: 4.11.) dieser Impfdurchbrüche aus, das klingt nach nicht viel …

Das sind ja nur die symptomatischen und gemeldeten Fälle, die Dunkelziffer ist viel höher. Das hängt auch damit zusammen, dass Geimpfte bei Erkältungssymptomen oft nicht auf eine Corona-Infektion tippen und sich dann auch nicht testen. Noch bis vor Kurzem hat das Robert Koch-Institut ja behauptet, Geimpfte würden keinen wesentlichen Beitrag zum Infektionsgeschehen leisten. Das war ein falsches Versprechen. 2G gaukelt eine falsche Sicherheit vor und ist ein Teil des Problems, das wir jetzt haben. Bei einem unwirksamen Mittel die Dosis zu erhöhen, wie es jetzt diskutiert wird, bringt nichts.

(Quelle: Future Image)


Alexander Kekulé ist Professor für Medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. In der Corona-Pandemie machten ihn zahlreiche TV-Auftritte sowie sein MDR-Podcast "Kekulés Corona-Kompass" bekannt.

Das heißt, auch unter 2G müssen zusätzliche Maßnahmen eingehalten werden?

Ja, auch Geimpfte und Genesene müssen in Veranstaltungen ab einer gewissen Größe Masken tragen oder sich testen lassen. Ausbrüche bei 2G-Veranstaltungen sind kaum zu erkennen, geschweige denn nachzuverfolgen. Als sinnvolle Obergrenze würde ich hier vorläufig 100 Teilnehmer ansehen, bei ungebremst steigender Inzidenz auch weniger.

Unter diesen Bedingungen auch Getestete zuzulassen, hat übrigens keine Nachteile. Das Infektionsrisiko reduziert sich für Geimpfte nur um 50 bis 70 Prozent, weil die verfügbaren Impfstoffe nicht zuverlässig gegen die Delta-Variante schützen. Wenn also mindestens drei von zehn Geimpften das Virus weitergeben können, ist das nicht sicherer als ein kurz zuvor erfolgter Schnelltest.

Ungeimpfte werden jetzt für vieles verantwortlich gemacht ...

Ich bin gegen die Stigmatisierung der Ungeimpften. Da wird rhetorisch zu sehr aufgerüstet, man hört sogar von einer "Tyrannei der Ungeimpften". Das sind nicht nur Fanatiker und "Querdenker", sondern teilweise auch gut informierte Menschen, die sich nach gründlicher Abwägung derzeit noch nicht impfen lassen, sondern anderweitig vor einer Infektion schützen wollen. Einige haben bereits Covid gehabt und meinen nicht ganz zu Unrecht, dass sie dadurch zumindest zeitweise geschützt sind.

Auch ungeimpften Schwangeren und Minderjährigen Vorwürfe zu machen und sie öffentlich zu diskreditieren, halte ich nicht für vertretbar. Wenn wir in der Pandemie den gesellschaftlichen Zusammenhalt verlieren, ist das schlimmer als zehn Prozent zu wenig Geimpfte. Und ich glaube auch nicht, dass man hier mit Druck mehr erreicht als mit Überzeugungsarbeit.

Wenn die Tests – egal, ob bei 2G oder 3G doch eines der besten Mittel bleiben, um die epidemiologische Lage beurteilen und die Pandemie beherrschbar machen zu können, sollten sie auch wieder kostenlos angeboten werden? Die Ampelkoalition hat das ja bereits angekündigt.

Ja, das ist natürlich richtig. Ich hatte mich bereits vorher deutlich gegen die Abschaffung der kostenlosen Tests ausgesprochen.

Wie hohe Inzidenzen können wir uns leisten? Sachsens Ministerpräsident hat schon mit einem neuen Lockdown gedroht.

Das ist nicht klar. Rein rechnerisch sollten wir durch die Impfungen mit einer etwa zehnfach höheren Inzidenz leben können als vor einem Jahr, bevor die Krankenhäuser überlastet werden. Allerdings gehe ich davon aus, dass wir jetzt eine deutlich höhere Dunkelziffer haben, insbesondere weil sich Geimpfte seltener testen lassen. Ich würde deshalb sicherheitshalber ab einer bundesweiten Inzidenz von 250 über wirksamere Maßnahmen nachdenken. Und diesen Wert haben wir, leider selbstverschuldet, praktisch jetzt erreicht.

Was müsste dann jetzt passieren?

Wir werden um erneute Kontaktbeschränkungen nicht herumkommen. Die Politik wird das nicht "Lockdown" nennen, aber die Maßnahmen bleiben immer die gleichen: Einschränkungen für öffentliche Veranstaltungen, Obergrenzen für Kontakte im privaten Bereich, Homeoffice, Schulschließungen und so weiter. Das könnte man als "Lockdown durch die Hintertür" bezeichnen.

Gibt es dazu keine Alternative?

Das kommt darauf an, wie viele Tote wir als Gesellschaft bereit sind, in Kauf zu nehmen. Die erste Priorität hat für mich deshalb der Schutz der Risikogruppen, dort gibt es noch viel zu tun. Fast drei Millionen Menschen über 60 Jahre sind noch ungeimpft, da müssen wir weiter gezielte Überzeugungsarbeit leisten. Um die vulnerablen Gruppen wirksam zu schützen, brauchen wir zudem eine Impfpflicht für diejenigen, die Alte und Schwerkranke pflegen oder in Kliniken behandeln.

Befürchten Sie nicht, dass das den Pflegenotstand verschärfen könnte?

Diese Sorge hatte man in Frankreich und den USA auch. Aber nach Einführung der Impfpflicht für bestimmte Berufe gab es kaum Kündigungen. Fast alle haben letztlich eingesehen, dass die Impfung zum Schutz ihrer Patienten und Betreuten notwendig ist. Wer einen sozialen Beruf gewählt hat, ist in der Regel auch bereit, dafür Opfer zu bringen. Deshalb hatten diese Berufe ja auch immer eine hohe gesellschaftliche Anerkennung.

Die Pandemie bietet auch die Chance, das Berufsbild der Pflegenden wieder ins rechte Licht zu rücken, auch durch bessere Bezahlung. Die von mir vorgeschlagene Impfpflicht soll aber nur für diejenigen gelten, die regelmäßig Umgang mit Schwerkranken und Alten haben und nicht bereits von Covid genesen sind. Und wer sich aus diesem Personenkreis partout nicht impfen lassen will, kann in einem anderen Bereich arbeiten. Ich bin auch für großzügige Ausnahmeregelungen, etwa aus weltanschaulichen Gründen. Wer sich darauf beruft, muss statt der Impfung täglich mittels PCR getestet werden und kontinuierlich FFP2-Masken tragen.

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Die Stiko hat nun verkündet, sie halte die dritte Impfung für alle "mittelfristig" für sinnvoll. Bislang wird die Booster-Impfung Menschen mit Immunschwäche, Menschen ab 70 Jahren, Bewohnern von Pflegeeinrichtungen sowie Personal in medizinischen Einrichtungen und Pflegepersonal empfohlen. Brauchen wir die dritte Impfung für alle?

Ich verstehe nicht, warum die Stiko nicht schon längst die Booster-Impfung ab 60 empfiehlt, das wäre bereits vier Monate nach der zweiten Impfung sinnvoll. Die wissenschaftliche Datenlage ist hierfür schon seit Monaten eindeutig. Ein Teil der Älteren baut nach zwei Impfungen nicht ausreichend Immunität auf. Durch eine schnelle Änderung der Stiko-Empfehlung könnten Menschenleben gerettet werden.

Bei der Boosterung der Jüngeren geht es dagegen um die sogenannte Herdenimmunität. Es gibt derzeit keine belastbaren Daten, die dafür sprechen, dass dies notwendig wäre. Wer nach der Grundimmunisierung gut auf die Impfung reagiert hat, braucht keine dritte Injektion. Der Schutz vor schweren Verläufen hält wahrscheinlich für mindestens ein bis zwei Jahre an.

Bei der Booster-Impfung wird aber auch wieder der Impfstoff verwendet, der gegen den ursprünglichen Wuhan-Typ entwickelt wurde. Und von den Vakzinen von Biontech und Moderna ist bekannt, dass ihre Wirksamkeit bei der Delta-Variante nicht ganz so hoch ist. Wann kommen die Impfstoffe, die speziell auf Delta hin modifiziert wurden?

Moderna hatte ja schon Anfang des Jahres angekündigt, einen angepassten Impfstoff zu entwickeln. Biontech hat sogar erklärt, diese Impfstoffe lägen im Unternehmen bereits im Regal und müssten nur herausgeholt werden. Angesichts der unbefriedigenden Schutzwirkung gegen die Delta-Variante sollte die Politik Druck machen, dass die neuen Vakzine schnell auf den Markt kommen.

Die Hersteller haben hier von sich aus natürlich weniger Motivation, weil sie mit ihren alten Produkten viel Geld verdienen, vor allem, wenn diese jetzt auch noch zur Boosterung verwendet werden. Die Umstellung auf neue mRNA-Impfstoffe dauert ja, so sagen die Hersteller, nur wenige Wochen. Dafür ist es jetzt höchste Zeit.

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Alexander Kekulé
  • Eigene Recherche
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