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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neue Auswertungen Wo Menschen sich mit Corona infizieren und wo nicht
Sind Massenevents Pandemietreiber? Britische Gesundheitsbehörden haben die Infektionsfälle untersucht, die sich auf Großveranstaltungen zurückführen lassen – mit überraschenden Ergebnissen.
67.000 Fans verfolgten am 11. Juli im Wembley-Stadion in London live das EM-Finale im Fußball. Nicht nur bei Virologen führten die Bilder zu Kopfschütteln. Doch Großbritannien ging sogar noch weiter und öffnete in den kommenden Wochen die Ränge auch anderer Sportveranstaltungen komplett, unter Hygienekonzepten und mit dem Nachweis einer vollständigen Impfung oder unter Vorlage eines negativen Corona-Tests der Zuschauer.
Nun hat die britische Gesundheitsbehörde (PHE) eine Auswertung von 37 Veranstaltungen innerhalb von vier Monaten vorgelegt, um die Wirksamkeit der Sicherheitskonzepte einschätzen zu können. Neben der Fußball-EM wurden zum Beispiel Ereignisse wie das Tennisturnier von Wimbledon oder der britische Formel-1-Grand-Prix berücksichtigt. Erstaunliches Ergebnis: Die Massenveranstaltungen trieben die Infektionszahlen meist nicht in die Höhe. Zu beobachten war, dass die Fallzahlen denen der allgemeinen Infektionszahlen in der Bevölkerung entsprachen oder sogar darunter lagen.
2.300 Infektionen im EM-Finale
Zwei Beispiele: Das Tennisturnier von Wimbledon, das von Ende Juni bis Mitte Juli abgehalten wurde, verzeichnete über 300.000 Zuschauer. 881 Infektionsfälle ermittelten die britischen Gesundheitsbehörden hier. Das entspricht weniger als 0,3 Prozent. Im gleichen Zeitraum wurden in der britischen Gesamtbevölkerung zwischen 0,31 und 1,36 Prozent der Bevölkerung positiv getestet.
Noch eindringlicher sind die Zahlen vom Formel-1-Event von Silverstone. Mitte Juli waren an drei Tagen 350.000 Zuschauer live dabei – die größte Massenansammlung in Großbritannien seit über 18 Monaten. 585 Infektionsfälle konnten auf dieses Ereignis zurückgeführt werden. Das entspricht einer Quote von weniger als 0,17 Prozent. Im gleichen Zeitraum wurden in der britischen Gesamtbevölkerung zwischen 1,36 und 1,57 Prozent positiv getestet.
Eine Ausnahme bildet die Fußball-EM. Beim Finale infizierten sich fast 2.300 der rund 67.000 im Stadion anwesenden Fans, weitere 3.403 Menschen im Zusammenhang mit dem Ereignis. Die Quote lag bei 3,4 Prozent (bezogen auf die Infektionen im Stadion). Die britischen Behörden geben hier keinen Referenzwert zur Gesamtbevölkerung an. Die stellvertretende medizinische Direktorin der PHE, Jenifer Smith, mahnt jedoch: "Die Daten zeigen, wie leicht sich das Virus bei engem Kontakt ausbreiten kann, und dies sollte uns allen eine Warnung sein."
Impfquote ist entscheidend
Wie sind die Zahlen zu erklären? Dr. Stephan Borte, Immunologe am Leipziger St. Georg Klinikum: "Das ist sicher ein Erfolg der hohen Impfquote in Großbritannien." Auch der Epidemiologe Timo Ulrichs erklärt bei Focus Online: "Die Studie belegt gut, dass bei entsprechenden Sicherheitskonzepten und bei einer guten Durchimpfungsrate die Übertragungen während der Veranstaltungen sehr niedrig gehalten werden können. Für den britischen Grand Prix und die Wimbledon-Tennismeisterschaften zeigen die Daten: Die Übertragungsrate war nicht höher als zur selben Zeit in der Bevölkerung." Sicher spiele auch die Tatsache eine Rolle, dass es sich um Freiluftveranstaltungen im Sommer handele, vermuten andere Experten.
Infektion in Innenräumen und in Gesprächen
Eine chinesische Studie belegt hingegen gut, wo die Ansteckungen mit dem Coronavirus stattfinden: in Innenräumen und bei engen menschlichen Kontakten. Die chinesischen Gesundheitsbehörden der Provinz Zhejiang werteten in Zusammenarbeit mit US-Wissenschaftlern die Infektionsketten von 730 Infizierten aus, die zwischen Januar und Juli 2020 positiv getestet wurden. Sie ermittelten 8.852 Kontaktpersonen, von denen sich 327 (3,6 Prozent, Medianalter 41 Jahre) infizierten. Und zwar am häufigsten:
- bei Unterhaltungen (29,9 Prozent)
- beim Zusammenleben im selben Haushalt (16,7 Prozent)
- beim Aufenthalt in geschlossenen Räumen ohne direkten Kontakt (15,6 Prozent).
61 Personen entwickelten keinerlei Symptome. Die Forscher führen dies auf den Kontakt zurück, der die Infektion auslöste: War diese Kontaktperson asymptomatisch infiziert, blieben auch die Infizierten meist symptomlos.
Die Menschen, die Symptome entwickelten, waren zwei Tage vor Beginn der Krankheitsanzeichen bis drei Tage nach ihrem Eintritt besonders ansteckend.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Chinesische Studie
- Focus Online
- Eigene Recherche