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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Epidemiologin zu Corona-Impfstoff "Dann würden neue Arzneimittel nie auf den Markt kommen"
Mittlerweile werden die ersten Menschen bereits gegen das Coronavirus geimpft. Doch es treten auch Nebenwirkungen auf. Wie sicher ist der Biontech-Impfstoff und kann er die Pandemie stoppen?
Allergische Reaktionen auf den Biontech-Impfstoff in anderen Ländern verunsichern gerade einige Menschen. In Deutschland könnte der Wirkstoff, der gegen SARS-CoV-2 immunisieren soll, auch bald zugelassen werden. t-online hat mit der Epidemiologin Ulrike Haug über den Impfstoff und seine Wirksamkeit, erste Studien und Unwägbarkeiten gesprochen.
Im Interview erklärt die Expertin unter anderem, warum Unsicherheiten bei der Neuzulassung von Medikamenten völlig normal sind und was ihre größte Sorge bei der Einführung des Impfstoffs ist.
t-online: Bei der Verimpfung des Biontech-Impfstoffs in Großbritannien sind bei zwei Personen schwere allergische Reaktionen aufgetreten. Die britische Arzneimittelaufsicht hat daraufhin eine Warnung an Menschen mit "erheblicher allergischer Vorgeschichte" ausgesprochen. Ist mit weiteren ähnlichen Fällen zu rechnen? Was bedeutet das für "normale" Allergiker?
Ulrike Haug: Das kann ich zunächst einmal nur allgemein beantworten, mit dem Wissen, das wir bisher haben: Der Impfstoff wurde basierend auf einer Studie mit rund 19.000 Geimpften und einer gleichen Anzahl Personen, die Placebo erhalten haben, zugelassen. Das heißt, die Studie wurde so konzipiert, dass für die Gesamtgruppe der 19.000 Geimpften anhand des Vergleichs mit den Kontrollen eine Aussage zur Wirksamkeit und Sicherheit getroffen werden kann. In der Gesamtgruppe waren auch Personen mit diversen Erkrankungen vertreten.
Also auch Allergiker?
Wenn man aber verlässliche Aussagen für einzelne Subgruppen treffen möchte – beispielsweise für Allergiker – dann ist die Studie schnell zu klein. In der Veröffentlichung zum Impfstoff von Biontech ist nicht berichtet, wie viele Allergiker eingeschlossen waren, aber – um ein anderes Beispiel zu nennen – die Anzahl der Rheumapatienten in der Gruppe der Geimpften betrug nur 62. Für so kleine Subgruppen kann man keine sicheren Aussagen treffen.
Werden diese Subgruppen bei anderen Studien mehr berücksichtigt?
Nein, das ist ein Normalzustand bei der Zulassung von Arzneimitteln: Studien dieser Art, das heißt randomisiert-kontrollierte Studien, die alle Fragen zur Sicherheit und Wirksamkeit auch in Subgruppen beantworten, wären nicht durchführbar. Wenn das gefordert wäre, würden neue Arzneimittel, die für die Versorgung wichtig sind, nie auf den Markt kommen. Dementsprechend wichtig ist es, dass nach der Zulassung die Sicherheit von Arzneimitteln mittels sogenannter Beobachtungsstudien systematisch weiter untersucht wird. Insofern kann man jetzt noch nicht sicher sagen, ob auch normale Allergiker betroffen sein könnten. Dazu müssen jetzt begleitend Studien durchgeführt werden.
Ulrike Haug
Ulrike Haug ist Professorin für Klinische Epidemiologie und Pharmakoepidemiologie an der Universität Bremen und Abteilungsleiterin am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Untersuchung der Sicherheit von Arzneimitteln nach deren Zulassung basierend auf Routinedaten.
Welche Personengruppen könnten womöglich nicht geimpft werden?
Ich kenne die Zulassungsbedingungen natürlich noch nicht – es wird sicher auch Kontraindikationen geben. Ich weiß bisher, dass es Ausschlusskriterien bei der Studie von Biontech gab: Beispielsweise Menschen, die bereits eine Covid-19-Erkrankung überstanden haben, Patienten, die mit Immunsuppressiva behandelt werden, und Menschen mit Erkrankungen, die das Immunsystem beeinträchtigen. Bei den letzten beiden Gruppen könnte die Wirksamkeit beschränkt sein, aber da sie aus der Studie ausgeschlossen wurden, weiß man zu diesen Personen natürlich auch nichts.
Was weiß man bisher über Nebenwirkungen und Risiken von Corona-Impfstoffen?
In der Studie von Biontech sind zum einen lokale und zum anderen systemische Nebenwirkungen aufgezählt. Das scheint alles im Rahmen zu sein, wie man es von einem Impfstoff erwarten würde. Das heißt aber nicht, dass damit schon alle Fragen beantwortet sind. Es ist eben nur eine begrenzte Zahl von Personen, die bisher geimpft wurde. Das betrifft beispielsweise auch die Älteren, die zunächst eine der Hauptzielgruppen des Impfstoffs sein sollen. In der geimpften Gruppe waren knapp 8.000 Probanden über 55 Jahre, davon waren etwa die Hälfte über 65 Jahre und weniger als 1.000 waren älter als 75. Hinzu kommen die bereits erwähnten Einschränkungen, was die Anzahl an Patienten mit bestimmten Grunderkrankungen betrifft. Auch die Fragen zur Langzeitsicherheit und -wirksamkeit sind durch die Studie noch nicht beantwortet. Es besteht also durchaus noch eine gewisse Unsicherheit, der möglichst früh nach der Zulassung mit adäquaten Studien begegnet werden sollte.
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Rührt diese Unsicherheit daher, dass die Entwicklung des Corona-Impfstoffes mit einer völlig neuen Geschwindigkeit stattgefunden hat?
Nein, dass es zum Zeitpunkt der Zulassung noch Wissenslücken gibt, ist – wie schon erwähnt – normal. Das ist nicht der Zeit geschuldet. Die Studie mit den 40.000 Probanden ist eine gute Phase-III-Studie, die valide durchgeführt wurde. Dahingehend ist alles richtig gelaufen – nur die Situation ist eine spezielle. Die Besonderheit beim Corona-Impfstoff ist, dass dieses Arzneimittel gleich nach der Zulassung bei einer riesigen Masse an Menschen angewendet werden wird. Wir gehen von mehreren Zehntausend auf zig Millionen Menschen. Da ist noch unbekanntes Terrain.
Welche Folgen könnte diese Unsicherheit haben?
Meine Hauptsorge ist, dass nicht die richtige Datenbasis vorhanden ist, um diesen Unsicherheiten zeitnah begegnen zu können. Wenn diese Impfung großflächig angewendet wird, wird es zwangsläufig bei manchen Geimpften auch zu schweren gesundheitlichen Ereignissen kommen, die aber nicht unbedingt mit der Impfung zusammenhängen müssen. Auch in der Biontech-Studie kam es bei 71 Geimpften dazu. Der Vergleich mit den Kontrollen ergab aber, dass es auch bei 68 der Nicht-Geimpften zu schwerwiegenden Ereignissen kam, das heißt der Anteil in beiden Gruppen war gleich. Diese Zahlen veranschaulichen, wie wichtig der Vergleich von Geimpften und Nicht-Geimpften ist, um unbegründete Verdachtsfälle von echten Risiken zu unterscheiden. Wenn wir jetzt mit Einführung der Impfung aber nur noch Informationen zu Geimpften haben, können die Berichte zu möglichen Nebenwirkungen nicht richtig eingeordnet werden.
Sie kritisieren hinsichtlich der bald startenden Corona-Impfungen Jens Spahns Pläne zur Erfassung möglicher Nebenwirkungen bei Geimpften und befürchten bei der Datenerfassung großes Chaos. Was ist an den Plänen der Bundesregierung kritisch?
Ich kritisiere nicht das geplante Monitoring der Geimpften, das ist eine wichtige Komponente der erforderlichen Nachbeobachtung. Aber das ist eben nur eine Komponente. Die zweite Komponente ist die, die ich gerade schon angesprochen hatte: Der Vergleich mit den Nicht-Geimpften. Dabei geht es mir vor allem um eine Datenbasis, die möglichst schnell verfügbar ist. Wir brauchen diese, um die noch offenen Fragen zur Sicherheit und auch zur Wirksamkeit möglichst schnell angehen zu können.
Warum ist das so wichtig?
Es ist zu erwarten, dass in den Medien von gesundheitlichen Ereignissen, die bei Geimpften aufgetreten sind, berichtet wird und die Menschen verängstigt werden. Dem muss man mit Fakten begegnen können, um das Vertrauen wieder zu gewinnen. Es kann auch wichtig sein, Personen mit bestimmten Grunderkrankungen zu schützen, wenn der Vergleich mit den Nicht-Geimpften bei diesen Personen spezielle Risiken nahelegen würde. Deshalb sind die schnell verfügbaren Daten – anonymisiert natürlich – so wichtig. Wenn es zu einer Verunsicherung in der Bevölkerung kommt, könnte die Impfbereitschaft deutlich beeinträchtigt werden und damit auch die Möglichkeiten, die Pandemie zu kontrollieren.
Wie sollte die Datenerfassung idealerweise laufen, um Geimpfte und Nicht-Geimpfte zeitnah vergleichen zu können?
Seitens der Epidemiologen haben wir dazu ein Konzept vorgelegt – zentrale Voraussetzung wäre, dass bei der Impfung auch die Versicherungsnummer eingelesen wird. Das ist in der ersten Phase der Impfung abrechnungstechnisch zwar nicht notwendig – aber sehr wichtig für den Vergleich von Geimpften und Nicht-Geimpften basierend auf Routinedaten. Durch die Erfassung der (pseudonymisierten) Versichertennummer könnte die Information zur Impfung zeitnah mit Daten zu Krankenhausaufenthalten verknüpft werden, so dass das Auftreten von schwerwiegenden Ereignissen bei Geimpften und Nicht-Geimpften verglichen werden kann. Wir gehen davon aus, dass man so innerhalb von drei bis vier Monaten diese Analysen durchführen könnte.
Aber das wäre ein neues Vorgehen ...
Genau, die Erfassung der Versichertennummer an den Impfzentren ist bisher nicht vorgesehen. Stattdessen ist ein Verfahren geplant, das sehr fehleranfällig ist, das heißt, es ist fraglich, ob die Daten für die genannten Zwecke wissenschaftlich überhaupt brauchbar sein werden. Darüber hinaus ist eine Datenverknüpfung ohne Versichertennummer deutlich komplexer und dauert deutlich länger. Es ist dann weder die notwendige Datenqualität noch die zeitnahe Verfügbarkeit der Daten gegeben.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Professor Haug!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.