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Coronafolgen – Amtsärzte-Chefin erklärt: "Viele Mitarbeiter sind ausgelaugt"


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Amtsärzte-Chefin zu Corona-Folgen
"Viele Mitarbeiter sind ausgelaugt und einfach fertig"

  • Manfred Schäfer
InterviewEin Interview von Manfred Schäfer

Aktualisiert am 29.08.2020Lesedauer: 5 Min.
Mitarbeiterinnen im Gesundheitsamt Berlin Mitte: Während der Corona-Pandemie telefonieren die Angestellten mit Gesichtsschutzschirm.Vergrößern des Bildes
Mitarbeiterinnen im Gesundheitsamt Berlin Mitte: Während der Corona-Pandemie telefonieren die Angestellten mit Gesichtsschutzschirm. (Quelle: Britta Pedersen/dpa)
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Corona bringt das Gesundheitssystem an seine Grenzen. Die Bundesvorsitzende des Öffentlichen Gesundheitsdienstes fordert mehr Personal und weniger Aktionismus. Und sie hat einen Rat für die nächste Karnevalssaison.

Die Gesundheitsämter spielen in Deutschland eine tragende Rolle bei der Bekämpfung des Coronavirus. Die erste große Welle im Frühjahr hat das Land verhältnismäßig gut überstanden. Die Ämter sind verantwortlich dafür, dass Verdachtsfälle auf das Coronavirus getestet werden, an das Robert Koch-Institut gemeldet werden und die notwendige Nachverfolgung der Infektionsketten dokumentiert wird. Das sind aber nur einige der vielen Aufgaben, die Amtsärzte in Deutschland jeden Tag erledigen.

Im Interview mit t-online.de erklärt die Bundesvorsitzende des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Dr. Ute Teichert, warum viele Gesundheitsbehörden am Limit sind, warum die Digitalisierung nicht vorankommt und was sie von einem Verbot des Karnevals und der Weihnachtsmärkte hält.

t-online.de: Frau Dr. Teichert, die Corona-Pandemie fordert die Gesundheitsbehörden heraus. Wie ist die Lage momentan?

Dr. Ute Teichert: Es ist viel zu tun. Gerade durch die neue Situation mit den Reiserückkehrern und ihrer zwischenzeitlich eingeführten Verpflichtung, sich testen zu lassen und in Quarantäne zu gehen. Dadurch ist den Gesundheitsämtern noch ein neues Aufgabengebiet relativ ad hoc übergestülpt worden. Das war ein ziemlicher Schlag.

Welche Corona-Aufgaben genau übernehmen Amtsärzte aktuell?

"Corona-Aufgaben" gibt es in dem Sinne nicht. Wir sind für den Infektionsschutz verantwortlich. Das Coronavirus ist ja nur eine von vielen übertragbaren Krankheiten, die in Deutschland meldepflichtig sind. Es nimmt natürlich gerade den Hauptteil unserer Arbeit ein. Das betrifft sowohl den Eingang der Infektionsmeldung bei den Gesundheitsämtern, die Weiterleitung an das Robert Koch-Institut sowie die komplette Fallermittlung. Dazu zählt der Nachweis vom Labor, die Kontaktaufnahme mit den infizierten Personen, denen wir die Quarantäneregeln mitgeben müssen. Und sie müssen natürlich ermitteln, mit wem diese Menschen noch alles Kontakt hatten.

Wer kontrolliert, ob die Regeln auch eingehalten werden?

Das wird gerade politisch sehr heiß diskutiert, ob das auch die Gesundheitsämter übernehmen sollten. Aus fachlicher Sicht würde ich sagen, dass die Kontrolle der Einhaltung der Quarantänevorschriften keine Aufgabe für uns ist. Im Infektionsschutzgesetz ist diese Funktion nicht verankert. Ich finde, das sollten das Ordnungsamt oder die Polizei machen.

Es ist immer wieder zu hören, dass die Gesundheitsämter ab 1.000 Neuinfektionen pro Tag an ihr Limit kommen. Stimmt das?

Von dieser pauschalen Aussage halte ich gar nichts. Die Belastung der Gesundheitsämter sollte man auch nie mit einer einzigen Kennzahl verknüpfen. Das ist regional total unterschiedlich. Wir haben in Deutschland Gesundheitsämter mit einem Arzt. Und im größten Amt arbeiten 70-80 Ärztinnen und Ärzte. Der Maßstab taugt also nichts.

(Quelle: Bettina Engel-Albustin)

Dr. med. Ute Teichert


Dr. med. Ute Teichert ist die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Die Fachärztin vertritt somit die Interessen von rund 3.000 Ärztinnen und Ärzten in über 400 Gesundheitsämtern. Der Öffentliche Gesundheitsdienst hat eine wichtige Funktion im Infektions- und Katastrophenschutz. Ute Teichert leitet außerdem seit 2014 die Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf.

Viele Amtsärzte arbeiten schon an der Belastungsgrenze. Wie wird es weitergehen, wenn in absehbarer Zeit kein Impfstoff gefunden wird?

Das wird in der Tat das größte Problem. Viele Mitarbeiter sind ausgelaugt. Sie schieben quasi rund um die Uhr Dienste, auch am Wochenende. Eigentlich hatten wir gehofft, mal wieder ins normale Geschäft zurückzukehren, aber das ist durch die steigenden Infektionszahlen unmöglich geworden. Die Stimmung an der Basis ist schlecht. Die Leute sind einfach fertig. Sie brauchen dringend Ruhe und Urlaub. Und das ginge nur, wenn wir jetzt mehr qualifiziertes Personal hätten – und das haben wir nicht.

Wie wirkt sich die Personalnot bei den Amtsärzten auf unser Gesundheitssystem aus?

Bislang schaffen wir es vor allem über die Gesundheitsämter, die meisten erkrankten Corona-Patienten aus dem normalen Gesundheitsbetrieb herauszuhalten. Wenn das System zusammenbricht, wird es Auswirkungen auf den stationären und ambulanten Bereich haben. Irgendwohin müssen sich die Menschen wenden können, machen wir uns nichts vor.

In welchen Gesundheitsbereichen arbeiten Ihre Ärztinnen und Ärzte außer in der Corona-Bekämpfung?

Das Aufgabenspektrum der Gesundheitsämter ist breit gefächert. Es reicht vom Infektionsschutz über Trinkwasserkontrollen und die Überprüfung der Einhaltung von Hygienevorschriften in Krankenhäusern und Arztpraxen. Von der Gesundheitsförderung in Kitas und Schulen, Schuleingangsuntersuchungen, Einstellungsuntersuchungen im öffentlichen Dienst bis hin zur Leichenschau – gewissermaßen von der Wiege bis zur Bahre.

Wir arbeiten in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Wir kümmern uns um psychisch Kranke, um Obdachlose, den Kinderschutz oder auch Prostituierte. Und wir sind in allen Bereichen heruntergespart worden. Das wird jetzt wie durch ein Brennglas in der Corona-Krise wieder sichtbar. Wir haben ein leistungsfähiges Gesundheitswesen. Dazu gehören aber nicht nur Krankenhäuser oder Arztpraxen, sondern auch das öffentliche Gesundheitswesen. Und das müssen wir besser organisieren und ausstatten, sonst ändert sich nichts.

Welche Unterstützung wünschen Sie sich von der Politik?

Ich erwarte, dass wir dauerhaft besser aufgestellt werden. Wir brauchen mehr Personal, das ordentlich bezahlt wird. Die Leute verdienen so schlecht, dass keiner mehr nachkommt. Hier sollte mit dem "Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst", den Bund und Länder beschließen wollen, zumindest mittelfristig für eine bessere personelle Ausstattung gesorgt werden. Und wir brauchen bessere Strukturen. Wir haben nicht mal in allen Bundesländern Landesgesundheitsämter. Auf Bundesebene gibt es gar kein Institut, das sich mit unseren Aufgaben beschäftigt.

Es gibt viel Aktionismus, der nicht aufeinander abgestimmt ist. Jetzt haben wir plötzlich überall Testcenter, aber an die Gesundheitsämter hatte das niemand kommuniziert. Wir haben spät erfahren, dass Jens Spahn die Testpflicht für Reiserückkehrer einführt, die jetzt nach dem Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz wieder zur Disposition steht.

Stichwort bessere Strukturen. Wie läuft es denn mit der Digitalisierung Ihrer Ämter?

Das läuft überhaupt nicht. Jetzt werden zwar Gelder bereitgestellt und es gibt erste Initiativen. Alles gut gemeint. Aber das ist wieder nicht miteinander abgestimmt und auch nicht miteinander kompatibel. Deshalb brauchen wir dafür unbedingt auf Bundesebene Zuständigkeiten, um alles zu bündeln. Es nutzt nichts, wenn uns innovative IT’ler verschiedene Lösungen anbieten und es passt vorne und hinten nicht zusammen.

Alle warten auf den Impfstoff gegen Corona. Sind Sie involviert in die Verteilung, wenn er da ist?

Bisher sind wir in solche Überlegungen nicht eingebunden.

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Nach der Testpanne in Bayern geraten PCR-Tests immer mehr in die Kritik. Brauchen wir neue Testmethoden wie Pooltests oder wie von Karl Lauterbach vorgeschlagen, RT-LAMP-Tests?

Ich finde es gut, dass man die Diskussion endlich mal aufmacht. Solange die Methoden zugelassen sind und gute Testergebnisse liefern. Wenn wir Schnelltests hätten, würde es das ganze Verfahren vereinfachen. Wir haben auch schon mal überlegt, ob man Atemtests einsetzen kann. Sie sind einfacher zu handhaben, als die aufwändigen und für den Patienten unangenehmen Abstrichtests. Wir brauchen einfachere Lösungen.


Angesichts steigender Infektionszahlen werden aktuell Stimmen lauter, die ein Verbot der Weihnachtsmärkte und des Karnevals fordern. Was sagen Sie dazu?

Tatsächlich glaube ich, dass wir uns über solche Einschränkungen Gedanken machen sollten. Ich komme selbst aus dem Rheinland, es würde mir persönlich weh tun, wenn es keinen Karneval gäbe. Aber wir haben gesehen, was dieses Jahr passiert ist. Wenn im Karneval Superspreader in solchen Mengen eng zusammenkommen, sie durch die Kostümierung anonym sind und oft auch alkoholisiert: Dann haben wir den klassischen Übertragungsweg für das Coronavirus.

Verstehen Sie als Ärztin die Menschen, die eine größere Balance zwischen medizinischen und wirtschaftlichen Aspekten der Corona-Krise fordern und wieder ins Fußballstadion oder ins Theater wollen?

Das verstehe ich schon, mir geht es auch nicht anders. Aber für mich hat Gesundheit den höchsten Wert. Ich kann nachvollziehen, dass das nicht bei allen Menschen so ist. Viele davon achten nicht auf sich und auf Gefahren für andere. Ich würde dazu raten, dass wir Lösungskonzepte entwickeln. Dass man eine Balance findet zwischen Risiko und Vergnügen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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