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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Diskussion um Coronavirus Was bedeutet eine Impfpflicht und wie wird sie umgesetzt?
Obwohl ein Impfstoff gegen das Coronavirus Experten zufolge noch in weiter Ferne ist, sorgen sich viele Menschen um eine mögliche Impfpflicht. Wann wird eine solche verhängt und wie funktioniert sie?
In vielen deutschen Städten demonstrieren Menschen gegen die Einschränkungen zum Schutz vor dem Coronavirus. Viele befürchten einen sogenannten Impfzwang oder auch eine Impfpflicht. Doch was steckt hinter der Impfpflicht und wie realistisch ist sie für eine Impfung gegen SARS-CoV-2, die es noch gar nicht gibt?
Was ist eine Impfpflicht und wie ist sie entstanden?
Eine Impfpflicht bedeutet, dass gegen bestimmte Krankheiten und für bestimmte Bevölkerungsgruppen eine Schutzimpfung vorgeschrieben ist. Sie muss beispielsweise im Impfausweis nachgewiesen werden.
Bereits im Deutschen Reich wurden Pockenschutzimpfungen staatlich organisiert. Eine reichsweite Impfpflicht wurde schließlich 1874 eingeführt. Diese Impfpflicht zum Schutz vor Pocken wurde in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und Deutschen Demokratischen Republik (DDR) bis 1982/1983 fortgeführt. Zuständig für Impfungen waren die Gesundheitsämter. In der DDR wurde das Impfwesen streng organisiert: Das Ziel waren hohe Impfquoten. Zunächst gab es nur regionale Impfpflichten, die schließlich in einem nationalen Impfkalender ausgeweitet wurden.
Auch in der BRD bestanden zunächst auf Länderebene vereinzelte Impfpflichten. Mit Einführung des Bundes-Seuchengesetzes 1961 setzte man auf freiwillige Impfungen basierend auf Impfempfehlungen. Seit den 1980er-Jahren verlagerte sich die Durchführung von Impfungen zunehmend vom öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) hin zu den niedergelassenen Ärzten. 2007 wurden Impfungen Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenkassen. Mittlerweile gibt es einen Impfkalender mit Empfehlungen der Ständigen Impfkommission, eine Impfpflicht gibt es nur noch in einem Fall: der Masernschutzimpfung.
Wie wird eine Impfpflicht umgesetzt?
In Deutschland wurde im November 2019 ein Gesetz zur Impfpflicht zum Masernschutz beschlossen, das am 1. März 2020 in Kraft getreten ist. Dafür wurde auch das Infektionsschutzgesetz angepasst. Das Masernschutzgesetz sieht vor, dass alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr beim Eintritt in Kindergarten oder Schule die von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Masern-Impfungen vorweisen müssen. Auch bei der Betreuung durch eine Tagespflege muss ein Nachweis vorliegen. Das gilt außerdem für alle Menschen, die in Gemeinschaftseinrichtungen oder medizinischen Einrichtungen arbeiten. Dazu zählen beispielsweise Lehrer, Erzieher, Tagespflegepersonen oder medizinisches Personal. Auch Asylbewerber und Flüchtlinge müssen den Impfschutz vier Wochen nach Aufnahme in eine Gemeinschaftsunterkunft vorweisen können.
Nachweisen können Sie den Impfschutz mit Ihrem Impfausweis oder bei bereits erlittener Krankheit durch ein ärztliches Attest. In der Regel erfolgt der Nachweis beispielsweise bei der Schul- oder Kindergartenleitung beim Eintritt des Kindes. Kinder, die bereits betreut werden, müssen den Nachweis bis zum 31. Juli 2021 erbringen. Ähnlich gilt es auch für das Personal, das die Impfung seinem Arbeitgeber vorweisen muss.
Eltern, die ihre in Gemeinschaftseinrichtungen betreuten Kinder nicht impfen lassen, werden künftig eine Ordnungswidrigkeit begehen und müssen mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 2.500 Euro rechnen. Die Geldbuße kann auch gegen die Leitungen von Kindertagesstätten verhängt werden, die nichtgeimpfte Kinder zulassen. Ein Bußgeld kommt auch in Betracht gegen nicht geimpftes Personal in Gemeinschaftseinrichtungen, Gesundheitseinrichtungen und Asylbewerberunterkünften und gegen nicht geimpfte Bewohner solcher Unterkünfte.
Nichtgeimpfte Kinder können zudem vom Besuch des Kindergartens ausgeschlossen werden. Nichtgeimpftes Personal darf nicht arbeiten. Das Masernschutzgesetz sieht zudem vor, dass künftig alle Ärzte außer Zahnärzte Schutzimpfungen durchführen dürfen. Die Dokumentation der Impfungen soll dann auch digital möglich sein.
Was ist die Ständige Impfkommission (Stiko)?
Die Ständige Impfkommission (Stiko) entwickelt Impfempfehlungen für Deutschland und ist ein unabhängiges Expertengremium. Die Kommission betrachtet sowohl den Nutzen für den einzelnen Menschen, als auch für die gesamte Bevölkerung. Dabei orientiert sie sich an medizinischen Erkenntnissen. Für die Stiko stehen die Epidemiologie und eine flächendeckende Impfstrategie für Deutschland im Vordergrund. Stiko-Empfehlungen gelten als medizinischer Standard. Ziel der Arbeit der Stiko ist es, Impfempfehlungen immer an neue Entwicklungen aus der Forschung anpassen zu können.
Die Stiko wurde 1972 beim damaligen Bundesgesundheitsamt eingerichtet. Aufgrund der Bedeutung ihrer Impfempfehlungen wurde sie mit dem Infektionsschutzgesetz im Jahr 2001 gesetzlich verankert. Seit 2007 sind die von der Stiko empfohlenen Impfungen Grundlage für die Schutzimpfungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses und gehören zu den Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland.
Die Empfehlungen der Stiko werden in der Regel einmal jährlich im Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch-Instituts veröffentlicht.
Welche Impfungen werden empfohlen?
Die Empfehlungen der Stiko beinhalten unter anderem den Impfkalender (Standardimpfungen) für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene und die Tabelle der Indikations- und Auffrischimpfungen mit Erläuterungen.
Übersicht aller empfohlenen Schutzimpfungen
Säuglinge, Kinder und Jugendliche
- Rotaviren
- Hepatitis B
- Diphtherie
- Tetanus (Wundstarrkrampf)
- Poliomyelitis (Polio, Kinderlähmung)
- Haemophilus influenzae Typ b (Hib)
- Pertussis (Keuchhusten)
- Masern
- Mumps (Ziegenpeter)
- Röteln
- Varizellen (Windpocken)
- Pneumokokken (Bakterien, die Gehirnhaut- und Lungenentzündungen auslösen können)
- Meningokokken C (Bakterien, die Gehirnhautentzündungen auslösen können)
Mädchen und Jungen zwischen 9 und 14 Jahren
- humane Papillomviren (HPV, Auslöser von HPV-bedingten Krebsarten)
Erwachsene
- Poliomyelitis (Polio, Kinderlähmung), Regelimpfung bei nicht grundimmunisierten Erwachsenen und Personen ohne einmalige Auffrischimpfung)
- Masernimpfung für alle Erwachsenen, die nach 1970 geboren sind und nicht oder in der Kindheit nur einmal gegen Masern geimpft wurden
Auffrischungsimpfungen (alle zehn Jahre empfohlen) gegen
- Diphtherie
- Tetanus (Wundstarrkrampf)
- Pertussis (Keuchhusten) – bei der nächsten fälligen Impfung gegen Diphtherie und Tetanus
Erwachsene ab 60 Jahre
- Influenza (Grippe)
- Pneumokokken (Bakterien, die Lungenentzündungen auslösen können)
- Herpes zoster (Gürtelrose)
Personen bestimmter Alters- oder Risikogruppen und deren Angehörige
- Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)
- Haemophilus influenza Typ b (Hib)
- Hepatitis A und B
- Herpes zoster (Gürtelrose)
- Influenza (Grippe)
- Meningokokken
- Pneumokokken (Bakterien, die Lungenentzündungen auslösen können)
- Röteln
- Tollwut
- Varizellen (Windpocken)
Welche Impfungen sind bisher Pflicht?
Bisher gibt es in Deutschland nur eine Impfpflicht für die Masernschutzimpfung. Gegen Masern müssen seit 1. März 2020 alle Kinder geimpft sein, die in Kindergärten oder Schulen gehen. Auch für medizinisches und pädagogisches Personal gilt die Impfpflicht. Diese Impfpflicht ist in Deutschland sehr umstritten, es gibt Petitionen und Proteste gegen das neue Gesetz.
Alle übrigen Impfungen in Deutschland basieren auf Empfehlungen der Ständigen Impfkommission, sind jedoch keine Pflicht.
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Was gilt für eine Impfung gegen das Coronavirus?
Bisher gibt es keinen Impfstoff gegen SARS-CoV-2. Weltweit wird an der Entwicklung des Impfstoffes geforscht, Experten rechnen allerdings damit, dass es noch viele Monate oder sogar Jahre dauern kann, bis ein Impfstoff zugelassen wird. Erst dann könnte eine mögliche Impfpflicht überhaupt eine Rolle spielen.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
- Bundesgesundheitsministerium
- Robert Koch-Institut
- Paul-Ehrlich-Institut
- Ständige Impfkommission
- Masernschutzgesetz
- Infektionsschutzgesetz