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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zahnarzt zur Corona-Krise "100 Prozent Verantwortung, null Prozent Unterstützung"
Geschäfte und Restaurants schließen wegen der Corona-Krise, Menschen in systemrelevanten Berufen arbeiten weiter. Darunter auch Zahnärzte wie Rubin Enciso. Im Gespräch mit t-online.de schlägt er alternative Lösungen vor.
Rubin Enciso arbeitet als Zahnarzt in Frankfurt am Main. Sein Beruf zählt zu den systemrelevanten Tätigkeiten und wird auch während der Coronavirus-Krise weiter ausgeführt. Normalerweise kommen täglich 20 bis 40 Patienten in seine Praxis, sie werden untersucht und behandelt.
Dabei ist Rubin Enciso so nah an gefährlichen Tröpfchen, wie kaum jemand aus anderen Berufsfeldern. Die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren ist besonders hoch. Trotzdem arbeitet er ohne Vollkörper-Anzug. Im Gespräch mit t-online.de erzählt er, wie er sich dabei fühlt, er kritisiert aber auch die fehlende Unterstützung der Politik Zahnärzten gegenüber.
t-online.de: Herr Enciso, Zahnärzte zählen zu den systemrelevanten Berufen und empfangen derzeit weiterhin Patienten. Wie finden Sie das?
Rubin Enciso: Die zahnmedizinische Versorgung ist sehr wichtig und muss weiterhin gewährleistet sein – gar keine Frage. Aber um eine für die Patienten sichere Versorgung sicherzustellen, benötigen wir die richtige Schutzausrüstung. Durch den unvermeidlichen Spraynebel bei unserer Arbeit im Mund ist kaum ein anderer Berufszweig dem Virus näher. Hier fühlen wir Zahnärzte uns von der Politik allein gelassen, denn ausreichende Schutzmittel sind schlichtweg nicht mehr zu bekommen. Trotzdem sind wir von den Standesverbänden angewiesen worden, die Arbeit fortzusetzen.
Was würden Sie stattdessen empfehlen?
Meiner Meinung nach kann es im Sinne des Schutzes der Patienten, der Angestellten, der Zahnärzte und deren Familie nur eine kontrollierte Schließung aller Praxen geben. Die meisten zahnärztlichen Eingriffe sind um mehrere Wochen verschiebbar. Um den zahnmedizinischen Notdienst aufrecht zu erhalten und die begrenzten Schutzmittel am effektivsten zu nutzen, schlage ich vor, dass spezialisierte Zahnnotzentren in bereits gut ausgestatteten und vorhandenen Einrichtungen, beispielsweise in Uni- Zahnkliniken, eingerichtet werden. In solchen Einrichtungen ist auch eine Infektionskontrolle wesentlich einfacher einzuhalten als in einer üblichen Zahnarztpraxis.
Haben die Zahnärzte von der Politik oder den zuständigen Behörden eine Anweisung erhalten, wie sie sich jetzt verhalten sollten?
In einem öffentlichen Beitrag in den sozialen Medien habe ich von einem engagierten Kollegen folgenden Satz gehört: "100 Prozent Verantwortung, Null Prozent Unterstützung.“ Dem stimme ich voll zu. Diese Woche trafen sich in Köln die Vorstände der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) und der Bundeszahnärztekammer (BZK) zu einem Krisentreffen. Dort wurde die gesamte Verantwortung an die praktizierenden Kollegen einfach weitergereicht. Alle Praxen sollen weiterlaufen, es wurde empfohlen, nur noch Notdienste anzubieten. Da wir Zahnärzte nur nach reiner Behandlungsleistung honoriert werden, bedeutet dies auch einen Einbruch der Einnahmen um bis zu 90 Prozent bei vollen Fixkosten. Finanzielle Unterstützung ist von Land und Bund nicht vorgesehen. Besonders fragwürdig war die Einschätzung, dass unsere einfachen Papiermundschutze für die Behandlung in nächster Nähe des Mundes als ausreichend eingestuft wurden, während an Corona-Test-Stationen zum Beispiel, wo die Patienten lediglich im Auto sitzen, die Mitarbeiter Vollkörper-Anzüge tragen.
Haben Sie genügend medizinische Schutzausrüstung?
Da ich persönlich bereits im Januar mit Sorge die Entwicklung in China genau beobachtet habe, habe ich ausreichend alltägliche Schutzmittel für die nächsten sechs Wochen zur Verfügung. Spezialisierte Schutzmittel wie Hauben, Filtermasken oder Einmalkittel für die Behandlung Infizierter sind seit Wochen nicht mehr im Medizinhandel verfügbar – entgegen den Versprechungen von Herrn Spahn, wir seien gut vorbereitet. Diese weitergehenden Schutzmittel habe ich auch nicht. Zum Schutze aller müsste eigentlich jeder Patient mit vollständiger Schutzausrüstung behandelt werden, etwas was die Praxen in Deutschland nicht leisten können. Einen einfachen Mundschutz halte ich persönlich für absolut unzureichend und gefährlich. Seit Tagen erhalte ich schon viele verzweifelte Anrufe von Kollegen, bei denen sogar die Standardmittel zur Neige gegangen sind. Mit Erschrecken habe ich schon von einigen Einbrüchen wegen Desinfektionsmittel gehört und sogar im eigenen Ärztehaus erlebt. Mit solch einer Entwicklung hätte ich nicht gerechnet.
Fühlen Sie sich sicher oder haben Sie Angst, sich bei der Arbeit zu infizieren?
Die zahnmedizinische Arbeit am Patienten findet in nächster Nähe statt. Zusätzlich arbeiten wir mit sogenannten Turbinen oder Winkelstücken, die einen langanhaltenden Spraynebel (Aerosol) um das Arbeitsgebiet herum erzeugen, der in der Luft verbleibt und auf alle Oberflächen niederregnet. Die höchste Viruskonzentration befindet sich im Mund und die häufigste Übertragung des Coronavirus ist die Tröpfcheninfektion. Eine durchschnittliche Zahnarztpraxis wird täglich von rund 20 bis 40 Patienten besucht. Wir stehen hier an vorderster Front. Ich habe auch aufgrund der simplen Schutzmittel, die zur Verfügung stehen, jeden Tag Sorge, dass meine Patienten, mein Personal oder meine Familie und ich sich anstecken könnten.
Was machen Sie in der aktuellen Situation anders bei Ihren Behandlungen?
Gerade in der Zahnmedizin wird die Hygiene traditionell großgeschrieben. Auch unter "normalen" Umständen arbeiten wir in einem potenziell infektiösen Arbeitsbereich. Daher wenden wir im täglichen Betrieb in meiner Praxis in Frankfurt alle üblichen Maßnahmen besonders umsichtig an. Um den Kontakt der Patienten untereinander zu minimieren achten wir besonders auf das Zeitmanagement der Termine, so ist zumindest das Wartezimmer nicht so stark frequentiert. Als Zusatzmaßnahme werden alle Flächen, Toiletten und Türklinken stündlich desinfiziert. Außerdem bitten wir alle Patienten telefonisch bei verdächtigen Symptomen, ihren Termin zu verschieben. Wir setzen außerdem die Empfehlungen der letzten Krisensitzung der KZV/ BZK um, indem wir größere Behandlungen nun zum Abschluss bringen, verschiebbare Behandlungen stunden und uns in den nächsten Wochen auf den Notdienstbetrieb einstellen. Hier hoffen wir dringlichst auf staatliche Hilfen, damit wir unserer Verantwortung als systemrelevanter Versorger und Arbeitgeber weiterhin nachkommen können.
Sollten Ihre Patienten trotzdem zum Zahnarzt kommen?
Wir folgen der Empfehlung, möglichst wenig Kontakt mit anderen Menschen zu haben. Dazu gehört, auch aufschiebbare Termine auf einen späteren Zeitpunkt zu setzen. Selbstverständlich sollten Patienten bei Beschwerden einen Zahnarzt aufsuchen und aufsuchen können. Bei klaren Symptomen oder bestätigtem Verdacht eines Kontaktes mit dem Coronavirus sollten Sie keine Praxis mehr aufsuchen. Sollte es zu einer bundesweiten Ausgangssperre kommen, so haben Sie trotzdem die Möglichkeit, alle dringenden (zahn-)ärztlichen Termine wahrzunehmen.
Bei wem ist es notwendig und wer sollte seinen Termin besser verschieben?
Schmerzbehandlungen gehen ganz klar vor. Kleinere Eingriffe haben in der Regel keinen Zeitdruck und können nach Absprache mit dem Zahnarzt auf einen späteren Zeitpunkt vertagt werden. Wahlleistungen wie die Prophylaxe und kosmetische Behandlungen sollten aber verlegt werden.
Da alle Behandlungen sehr individuell und in unterschiedlichen Stadien fortgeschritten sind, empfehle ich, Ihren Zahnarzt immer zu konsultieren, ob in Ihrem Fall eine Dringlichkeit besteht oder der Termin verschoben werden kann, besonders wenn Sie zu einer Risikogruppe gehören.
Was kann ich als Patient tun, um meinen Zahnarzt zu schützen?
Bei allen Erkältungssymptomen sollten Sie momentan keine Praxis betreten. Setzen Sie sich dazu bitte mit Ihrem Arzt telefonisch in Verbindung. Aber auch für gesunde Patienten gilt: Saubere keimfreie Hände sind für alle Mitmenschen in Ihrer Umgebung die beste Vorsorge. Momentan ist ein schönes Lächeln mehr wert als ein kräftiger Händedruck. Nehmen Sie sich die Empfehlungen unserer Bundeskanzlerin zu Herzen und vermeiden Sie möglichst soziale Kontakte und bleiben Sie zu Hause! So schützen Sie nicht nur uns Zahnärzte sondern auch Ihre Lieben.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Enciso!
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.