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Ernährung: Orthorexie und Magersucht haben ähnliche Ursachen


Zu viel des Guten
Wenn gesundes Essen zum Zwang wird

dpa, Antonia Lange

Aktualisiert am 30.12.2015Lesedauer: 3 Min.
Orthoretiker sind besessen von gesunder Ernährung und haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie mal "sündigen".Vergrößern des Bildes
Orthoretiker sind besessen von gesunder Ernährung und haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie mal "sündigen". (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)

Sie kaufen ihr Gemüse im Bio-Laden, essen nur Vollkornbrot und trinken beim Fernsehen Kräutertee statt Bier. Das kann doch nicht verkehrt sein - oder? Stimmt im Prinzip. Es gibt allerdings Menschen, die genau damit Probleme bekommen. Sie sind besessen von vermeintlich gesunder Ernährung und handeln zwanghaft.

Fachleute bezeichnen dieses Phänomen als Orthorexie. Ähnlich wie bei der Anorexie (Magersucht) liegt eine psychische Störung zugrunde.

Was einseitig und extrem ist, ist nicht gesund

"Orthorexie ist eine Fixierung auf den Verzehr von ausschließlich gesunden Lebensmitteln", erklärt Friederike Barthels vom Institut für experimentelle Psychologie der Universität Düsseldorf.

Dabei gibt es allerdings ein Problem: "Die Definition, was gesund ist, ist individuell verschieden. Dadurch besteht die Gefahr, dass es eben nicht mehr gesund ist, sondern sehr einseitig und sehr extrem."

"Ich habe in einer Blase des Verzichts gelebt"

Die US-Bloggerin Jordan Younger etwa sorgte für Aufsehen, als sie ihre Essstörung öffentlich machte. Die junge Frau schrieb im Internet über gesunde Ernährung und einen veganen Lebensstil. Doch der wurde für sie zum Problem: "Ich habe in einer Blase des Verzichts gelebt", ist heute auf ihrem Blog zu lesen, der inzwischen "The Balanced Blonde" heißt. "Komplett vegan, ausschließlich pflanzlich, nur glutenfrei, ölfrei, zuckerfrei, mehlfrei, ohne Dressing oder Soße." Sie habe ihr Leben danach ausgerichtet, was sie essen kann - und was nicht.

Fixierung auf Ernährung beeinträchtigt das Sozialleben

"Betroffene verlieren oft die sozialen Kontakte, weil ein Restaurantbesuch mit Freunden und Familie für sie kaum noch möglich ist", erklärt Helmut Schatz, früherer Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, die sich mit Hormonen und Stoffwechsel beschäftigt. Orthorexie ist ihm zufolge zunächst einmal eine Essbesonderheit. "Stellt sich aber ein Zwang ein und leidet der Mensch darunter, dann wird es krankhaft."

Bloggerin Younger konnte Freunde irgendwann nur noch auf einen frisch gepressten Saft treffen - und bekam Schwierigkeiten, wenn die Saftbar "ihre" Sorte nicht vorrätig hatte. Inzwischen hat sie die Orthorexie nach eigenen Angaben überwunden und ein Buch über ihre Essprobleme veröffentlicht.

Experten reden von "psychischer Störung"

"Man spricht immer dann von einer psychischen Störung, wenn sie das Alltagsleben der Betroffenen dominiert", sagt Cora Weber, Fachärztin für Psychosomatische Medizin an der Berliner Charité. Zu dem psychischen Aspekt kämen körperliche Probleme wie Untergewicht. "Sie lassen immer mehr Nahrung weg, was zu Mangelzuständen führen kann", erklärt Weber. "Die Hormonsituation im Körper stellt sich um."

Orthorexie und Magersucht haben ähnliche Ursachen

Orthorexie ist kein anerkanntes Krankheitsbild. Nach Ansicht von Experten hängt sie aber eng zusammen mit der Anorexie, also Magersucht. "In beiden Fällen selektieren Betroffene ihre Ernährung sehr genau und streichen viele Lebensmittel vom Speiseplan", erklärt Psychologin Barthels. "Es sind im Grunde verschiedene Facetten des Weglassens von Nahrung."

Gesundes Essen als Zeitgeist-Phänomen

Fachärztin Weber zufolge handelt es sich auch um ein Zeitgeist-Phänomen, das mit der Rückbesinnung auf die Natur, aber auch mit den Lebensmittelskandalen der jüngsten Zeit zu tun hat. "Es ist der Wunsch nach Kontrolle und Gesundheit." Auch aus dem jüngst veröffentlichten Werte-Index des Trendforschers Peter Wippermann geht hervor, dass Gesundheit für die Deutschen die höchste Bedeutung hat - noch vor Freiheit und Erfolg.

Jüngere Frauen sind am anfälligsten

Bundesweit ist Orthorexie allerdings noch nicht weit verbreitet. Laut Studien neigen Barthels zufolge etwa ein bis drei Prozent der Teilnehmer zu entsprechendem Verhalten. Ein Prozent verhalte sich extrem. Vor allem jüngere Frauen seien betroffen.

Aber was ist eigentlich gesund? "Ein Richtwert sind die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung", erklärt Wissenschaftlerin Barthels. Diese empfiehlt neben pflanzlichen Lebensmitteln vor allem reichlich Getreideprodukte und Kartoffeln sowie fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag. Barthels: "Ein Stück Schokolade ist kein Weltuntergang. Die Wochenbilanz sollte stimmen."

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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