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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ernährung Huhn für alle Fälle: Das Zweinutzungshuhn
Seit Jahren arbeiten Züchter auf das "perfekte" Huhn hin. Möglichst viele Eier soll es legen – oder als gutes Masthuhn schnell ein hohes Schlachtgewicht erreichen. Die Anzahl der Verlierer dieser Zucht ist groß: Sämtliche männlichen Küken, die in der Legehaltung zur Welt kommen, werden am selben Tag getötet. Sie legen keine Eier und werden daher als nutzlos empfunden. Um dieses grausame Schicksal der Küken zu ändern, wird jetzt an einer besonderen Hühnerart geforscht: Dem sogenannten "Zweinutzungshuhn".
Deutsche lieben Geflügelfleisch
Die Deutschen lieben Geflügelfleisch. Sie lieben auch ihre Hühnereier – und sie wollen mehr davon auf ihrem Speiseplan. Knapp 20 Kilogramm Geflügelfleisch haben sie allein im Jahr 2010 verdrückt, außerdem durchschnittlich 214 Eier – Tendenz steigend. Damit diese Nachfrage erfüllt werden kann, müssen die Tiere immer mehr leisten. Die großen Zuchtfarmen arbeiten deshalb ständig an der Zucht von Hochleistungshühnern, die mit wenig Investition viel Leistung bringen.
Hybridhühner sind auf Leistung optimiert
Aus Versuchen mit verschiedenen Hühnerrassen soll mittels künstlicher Befruchtung das optimale Huhn geschaffen werden. Die sogenannten Hybridhühner sind entweder auf ihre Legeleistung oder auf die schnelle Zunahme von möglichst viel Gewicht optimiert. Die gezüchteten Masthühnchen erreichen so innerhalb von etwa vier Wochen ein Schlachtgewicht von bis zu zwei Kilogramm. Auch die Legehühner werden auf Leistung optimiert: Heutzutage sind Hühner, die 320 Eier pro Jahr legen, keine Seltenheit mehr.
Männliche Küken werden geschreddert
Die männlichen Tiere haben in der Legehaltung hingegen keinen Nutzen. Sie werden daher bereits als Küken vergast oder geschreddert und anschließend zu Tierfutter verarbeitet. Über 40 Millionen so genannter "Eintagsküken" werden auf diese Weise in Deutschland jährlich getötet. In der Geflügelmast werden auch die männlichen Jungvögel gemästet. Das geschieht auf konventionellen ebenso wie auf Bio-Höfen.
Hybridhühner verfügen über eingebauten Kopierschutz
Die Hybridhühner, die dafür zuständig sind, möglichst viele Eier zu legen, sind nach etwa einem Jahr durch die enorme Leistung so geschwächt, dass sie getötet und zu Tierfutter verarbeitet werden. Dann gilt es für den Bauern, neue Tiere zu kaufen. Die Hybridhühner sind so hochgezüchtet, dass sie ihre Eigenschaften nur unberechenbar vererben und damit über eine Art eingebauten Kopierschutz verfügen.
"Hermannsdorfer Landhuhn" liefert Fleisch und Eier
Seit 2010 versucht Angelika Gsellmann auf dem Gut Hermannsdorf in Oberbayern, eine Lösung für die Kükenproblematik bei der Hühnerzucht zu finden. Sie züchtet das "Hermannsdorfer Landhuhn", das sowohl Eier legt als auch Fleisch ansetzt. Zur Zucht dienen ihr alte Hühnerrassen wie die "Sulmtaler" und "Les Bleues", mit denen auf dem Gut experimentiert wird. Die "Les Bleues"-Hennen legen etwa alle eineinhalb Tage ein Ei, die Hähnchen setzen genug Fleisch an, um nach einiger Zeit geschlachtet und daher nicht vorzeitig getötet zu werden. Zweinutzungshühner sind keine Hybridhühner, sondern werden aus alten, robusten Hühnerrassen gezüchtet.
Investition in ethische Hühnerzucht
Da die Arbeit und Forschung an der ethisch verträglichen Alternative zu den hochgezüchteten Hybridhühnern viel Geld kostet, können sich Interessierte mit einem "Landhuhn-Darlehen" beteiligen: Für eine einmalige Zahlung von 300 Euro bekommt jeder Investor über 10 Jahre 40 Euro jährlich in Form von Einkaufsgutscheinen für Gemüse sowie die Fleisch- und Milchprodukte, die auf dem Gut verkauft werden.
Glückliche Hühner haben ihren Preis
Das Zweinutzungshuhn wird trotz allem nicht ganz so leistungsfähig wie die gezüchteten Hybridhühner sein. Weder die Anzahl der Eier noch die Zunahme an Gewicht wird solche Ausmaße wie bei den Hybridhühnern erreichen. Dafür überleben die Hähne der Zucht und die Legehennen verfügen über einen Stall im Grünen, der alle zwei Wochen auf ein neues Stück grüne Wiese umgezogen wird.
Die Forschung mit den alten Hühnerrassen und die Tatsache, dass Hühner und Hähne ein glückliches Leben führen, hat ihren Preis. Die Eier von Zweinutzungshühnern kosten etwa 50 Cent pro Stück, das Fleisch hat einen durchschnittlichen Kilogramm-Preis von etwa 15 Euro.
Trotz Forschung ist das Zweinutzungshuhn bisher gering verbreitet
Dafür haben die Tiere aber auch einen entscheidenden Vorteil: Sie lassen sich im Gegensatz zu Hybridhühnern auf normalem Wege nachzüchten. So könnten die Bauern langfristig unabhängig von den wenigen Zuchtkonzernen weltweit werden. Außerdem haben die Tiere deutlich länger Zeit, um zu wachsen und bekommen normales Futter, was den Geschmack und die Konsistenz des Fleisches positiv beeinflusst. Die Wirtschaftlichkeit kann wie so häufig auch hier nur ein umweltbewusster Verbraucher sichern, der ein Umdenken auch finanziell honoriert.
Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau in der Schweiz hat sich bereits im Auftrag des Demeter-Verbands für ökologischen Anbau mit der Zweinutzungsrasse Sussex befasst und seine Ergebnisse veröffentlicht. Der Anbauverband Bioland experimentiert derzeit ebenfalls mit verschiedenen Rassen, die sich für die Zucht des Zweinutzungshuhns eignen. Dennoch ist diese Art von Hühnerzucht bisher kaum verbreitet. Ohne das Interesse großer Geflügelzüchter wird das Zweinutzungshuhn wohl bis auf weiteres ein Nischentier auf dem Markt bleiben.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.