Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Skandalpleite Die Lehren aus dem Wirecard-Debakel
Die Wirecard-Pleite vor ziemlich genau zwei Jahren steckt Aktionären noch tief in den Knochen. Es ist eine Mischung aus Wut und Fassungslosigkeit. Was Sie jetzt noch tun können und was uns das Drama lehrt.
Ist es wirklich schon zwei Jahre her? Ich kann mich noch gut erinnern, als es am 18. Juni 2020 die ersten Meldungen gab, bei Wirecard seien 1,9 Milliarden Euro "verschwunden". Wie geht denn das? Wie können solche immensen Summen einfach verschwinden? Selbst bei einem Dax-Konzern, der mit heftigen Zahlen jongliert, sollte das doch nicht so einfach passieren können, oder? Ich war fassungslos. Ich war damals Wirecard-Aktionärin, wie so viele andere. Sie auch?
Wir waren einiges Leid gewöhnt. Es gab viel negative Presse und heftigste Vorwürfe gegen unser einstiges Technologie-Wunderkind, das geradezu kometenhaft in den Dax aufgestiegen war. Die Geschichten der Financial Times (FT) über geschönte Bilanzen und Scheinhandel mit Tochterfirmen in Asien waren wirklich hart, kaum zu glauben. Aber eben leider sehr, sehr wahr!
Vom Wunderkind zur insolventen Luftnummer
Zwei Jahre ist es nun her, dass Wirecard pleite ging – vom deutschen Technologie-Wunderkind zur insolventen Luftnummer wurde. Die Insolvenz folgte wenige Tage nach der Meldung über die verschwundenen Milliarden. Der Schock bei Privatanlegern mag mit den Monaten ein wenig nachgelassen haben, die Wut aber ist noch immer groß. Und die Fassungslosigkeit erst recht. Eine vermeintliche Erfolgsgeschichte, aufgebaut auf Lügen und Betrug – das hätte kaum jemand für möglich gehalten. Aber es ist passiert.
Viele haben hohe Summen verloren, oft fünf- manchmal auch sechsstellig (hier lesen Sie die Geschichten einiger Betroffener). Ich war zum Glück nur mit einem überschaubaren Betrag investiert, aber auch das tat weh. Schlimmer als der finanzielle Schaden war wahrscheinlich die Erkenntnis: Mich hatte die Gier gepackt, ich wollte ein bisschen zocken. Und ich hatte mich verzockt. Wie so viele andere auch!
Und nun? Wir sitzen noch immer auf unseren Verlusten. Egal, ob realisiert oder als Depotleiche – das Geld ist weg. Und es kommt wohl auch nicht wieder. Die Aufarbeitung des Dramas läuft, aber sie läuft langsam. Eine kleine Bestandsaufnahme gefällig?
Die 1,9 Milliarden sind noch immer verschwunden. Es hat sie wohl auch nie gegeben. Der ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun sitzt noch immer in Haft. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen ihn und zwei weitere frühere Topmanager erhoben. Der Prozess beginnt wohl im Herbst. Auch noch immer verschwunden ist Ex-Vorstandsmitglied Jan Marsalek. Er war wenige Tage vor der Insolvenz per Privatflugzeug nach Belarus ausgereist und wird seitdem gesucht.
Mehr als eine Milliarde für die Gläubiger
Währenddessen läuft die Aufarbeitung des Dramas. Von Wirecard ist nicht mehr viel übrig, Firmenteile wurden verkauft oder werden abgewickelt. Der Insolvenzverwalter des Zahlungsdienstleisters, Michael Jaffé, versucht zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Jaffé hat im Zuge des Insolvenzverfahrens bisher insgesamt mehr als eine Milliarde Euro erlöst.
Das klingt viel, aber die Forderungen der Gläubiger und Aktionäre sind um ein Vielfaches höher. Wie hoch die Insolvenzquote ausfallen könnte, ist derzeit ebenso wenig absehbar wie der Zeitpunkt, zu dem die Gläubiger mit ersten Abschlagszahlungen rechnen könnten, heißt es in einem Sachstandsbericht Jaffés, der jüngst veröffentlicht wurde.
Umstritten ist immer noch, wer im Insolvenzverfahren überhaupt Ansprüche anmelden kann. Vor allem ist ungeklärt, ob auch die Aktionäre als Gläubiger zu behandeln sind. Von ihnen stammen rund 39.000 der 40.000 Forderungsanmeldungen, insgesamt fordern sie dem Bericht zufolge für ihre Kursverluste 6,7 Milliarden Euro.
So machen Sie Ihre Ansprüche geltend
Wenn auch Sie zu den Wirecard-Aktionären gehören, aber Ihre Ansprüche noch nicht gemeldet haben, sollten Sie das unbedingt noch tun. Es dauert nicht lange. Informationen dazu gibt es auf der Internetseite von Insolvenzverwalter Jaffé und bei Aktionärsschützern wie der DSW.
Die DSW kämpft außerdem gemeinsam mit der "Stichting Wirecard Investors Claim", eine Stiftung nach niederländischem Recht, für eine Entschädigung der geschädigten Wirecard-Anleger (https://www.dsw-info.de/wirecard/).
Die DSW und die Stiftung bereiten eine Sammelklage gegen EY, den Wirtschaftsprüfer von Wirecard, vor. EY prüfte seit 2009 die Jahresabschlüsse von Wirecard und hat trotz eindeutiger Hinweise und Warnungen von Wirecard-Mitarbeitern und trotz der Berichterstattung in der Presse die Abschlüsse von Wirecard bis zum Geschäftsjahr 2018 uneingeschränkt bestätigt. Auch andere Anlegeranwälte bereiten Klagen vor.
Wenig Hoffnung für betroffene Anleger
Aber viel Hoffnung macht den betroffenen Anlegern niemand. Vielleicht gibt es ein paar Euro zurück, vielleicht aber auch gar nichts. Wahrscheinlich ist es gesünder, einfach einen Haken hinter die Geschichte zu machen und dem verlorenen Geld nicht mehr hinterherzutrauern. Und wir können aus dem Drama ein paar Lehren ziehen.
Lassen Sie sich nicht von Gier leiten, so wie ich es getan habe. Seien Sie vorsichtig mit Wetten auf einen Turnaround. Die Wirecard-Aktie war bereits mächtig abgeschmiert, als ich eingestiegen bin. Ich hatte auf eine schnelle Gegenbewegung gewettet, stattdessen schmierte die Aktie weiter ab. Seien Sie überhaupt vorsichtig mit Einzelaktien. Das Risiko ist einfach zu groß. Investieren Sie – wenn überhaupt – nur geringe Summen.
Ansonsten gilt: Risikostreuung ist das oberste Gebot der Geldanlage. Kaufen Sie lieber den ganzen Dax via ETF als einen einzelnen Titel. Wirecard hatte im Dax einen Anteil von knapp drei Prozent, als der Konzern pleite ging und die Aktie ins Bodenlose fiel, war das im Indexchart noch nicht mal eine Delle. Heftiger hat es damals übrigens einige aktive gemanagte Fonds getroffen. Denn wie viele Privatanleger haben auch Fondsmanager lange an die Wirecard-Story geglaubt. Wir waren also in bester Gesellschaft. Aber auch das tröstet nicht, oder?
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