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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Aufwärtstrend gestoppt" Plötzlich fallen die Fleischpreise – warum?
Überraschung im Kühlregal: Pünktlich zur Grillsaison fallen die Fleischpreise. Woran liegt das?
Zuletzt gingen die Preise für Fleisch nur nach oben – bis jetzt. Anfang der Woche sorgte der Discounter Aldi mit einer Ankündigung für Aufsehen. Vom gemischten Hack bis zum Rindersteak: Fleisch wird wieder billiger.
Der Händler gebe damit sinkende Einkaufspreise an die Kundinnen und Kunden weiter, sagte ein Unternehmenssprecher im Namen von Aldi Nord und Aldi Süd in Essen. Damit leisteten die Märkte einen Beitrag zur Abschwächung der Inflation, hieß es.
Die Preissenkungen machen sich im Portemonnaie durchaus bemerkbar: Der Preis für 500 Gramm gemischtes Hackfleisch sank von 4,59 Euro auf 3,99 Euro. Bratwurst vom Schwein in der 400-Gramm-Packung verbilligte sich von 3,49 auf 2,99 Euro. Der Preis für ein Kilo Rindersteaks sank von 27,99 Euro auf 24,99 Euro. Doch woran liegt das genau?
Überkapazitäten in Deutschland
Noch in den ersten fünf Monaten des Jahres waren die Fleischpreise deutlich stärker gestiegen als die Verbraucherpreise insgesamt (t-online berichtete). Im Mai betrug die Teuerung für Fleisch und Fleischwaren im Vorjahresvergleich 16,5 Prozent. Im Kontrast dazu sind die Preise für sämtliche Lebensmittel in diesem Zeitraum um 11,1 Prozent gestiegen.
"Nachdem es Anfang des Jahres zunächst einen deutlichen Anstieg am Markt gab, sehen wir aktuell wieder sinkende Basispreise insbesondere bei Schwein", berichtete Aldi. Das liege nicht zuletzt an den nach wie vor hohen Überkapazitäten in Deutschland. Das heißt, es ist aktuell deutlich mehr Fleisch auf dem Markt, als gegessen werden kann.
"Preise haben sich selbst begrenzt"
Das wiederum hänge vor allem mit der sinkenden Nachfrage zusammen, erklärt Mechthild Cloppenburg, Marktexpertin bei der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI). "Die Preise haben sich sozusagen selbst begrenzt", sagt sie t-online.
Die gestiegenen Preise hätten den Deutschen den Appetit auf Wurst, Schinken und Steaks verdorben. "Darauf haben die Discounter nun offensichtlich reagiert und die Preise angepasst. Der Aufwärtstrend ist damit vorläufig gestoppt", so die Expertin.
Fleischkonsum ist rückläufig
Auch Thomas Vogelsang, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Wurst- und Schinkenproduzenten, sagte bereits Ende Mai t-online, der Preis habe an Bedeutung gewonnen, "das Einkaufsverhalten wird sich ändern". Einen "Zusammenhang zwischen steigenden Fleischpreisen und mehr Vegetariern" sehe er aber nicht.
Tatsächlich ist der Fleischkonsum in Deutschland schon seit geraumer Zeit rückläufig. Laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung lag er im vergangenen Jahr bei 55 Kilogramm. Zehn Jahre zuvor waren es pro Person und Jahr noch 7,8 Kilogramm mehr gewesen. Stattdessen boomt das Geschäft mit veganen und vegetarischen Fleischersatzprodukten.
Lebensmittelhandel stark umkämpft
Neben der rückläufigen Nachfrage gebe es aber noch einen weiteren Grund für die fallenden Preise, sagt Marktexpertin Cloppenburg. "Der Druck aus Erzeugerseite ist zunächst ebenfalls gestoppt." Besonders der Preis für Futtermittel sei zuletzt gesunken, auch weil die Erntesaison begonnen habe. So werde seit Kurzem Wintergerste geerntet, was die Situation bei den Futtermitteln entlaste, erklärt Cloppenburg.
Der Schritt von Aldi dürfte auch Auswirkungen auf große Teile des übrigen Lebensmittelhandels haben, der ohnehin stark umkämpft ist. Denn nach wie vor orientieren sich viele Wettbewerber gerade im Preiseinstiegsbereich an dem Erfinder des Discounts – möglich also, dass sie nachziehen.
Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka kündigte an: "Auch wir legen Wert auf ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und werden die Preise für einige Fleischprodukte in den kommenden Tagen an die neue Marktsituation anpassen."
Ähnlich äußerte sich der zum Edeka-Konzern gehörende Discounter Netto. Der Konkurrent Rewe erklärte: "Wir stehen laufend in Gesprächen mit unseren Lieferanten hinsichtlich Kostensituation und Marktentwicklung und geben mögliche Preissenkungen natürlich unmittelbar an unsere Kunden weiter."
"Gefahr, dass Fleischpreise weiter steigen"
Allerdings ist fraglich, wie lange die Entspannung anhält. Denn: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert noch an, die globalen Lieferengpässe haben sich noch nicht aufgelöst.
Nicht zuletzt könnten die Gas- und Strompreise im Herbst und Winter nochmals drastisch anziehen. Für die energieintensive Fleischindustrie würde das nochmals deutlich höhere Kosten bedeuten. Gut möglich also, dass sich Schnitzel, Kotelett und Leberwurst bald wieder verteuern.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Mechthild Cloppenburg
- Interview mit Thomas Vogelsang
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa