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Russland-Krise: Auch wenn Energiepreise ansteigen, müssen Sie nicht frieren


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Gas und Öl
Das bedeutet die Russland-Krise für die Energiepreise


Aktualisiert am 23.02.2022Lesedauer: 5 Min.
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Ukraine-Krise: Nach der jüngsten Eskalation Putins stoppt Kanzler Scholz eine Zertifizierung der Gaspipeline. (Quelle: reuters)

Ein Großteil des Erdgases in Deutschland kommt aus Russland. Die Sorge ist groß, dass die Lieferungen nun eingestellt werden. t-online erklärt, was das mit den Energiepreisen macht.

Die leeren Gasspeicher bereiten Politikern und Energieversorgern bereits seit Monaten Sorgen, doch die Lage könnte sich nun noch weiter verschärfen. Russlands Soldaten stehen an der Grenze zur Ukraine bereit und Putin hat in einer Rede bereits das Schreckensszenario ausgemalt: ein Angriff auf die gesamte Ukraine. An den Märkten geht die Angst vor weiteren Sanktionen um, die auch die Energieversorgung treffen könnten.

Hinweis: Alle aktuellen Informationen zum Ukraine-Krieg finden Sie hier auf einen Blick.

"Die Unsicherheit macht sich bereits an den Preisen bemerkbar", sagt Thilo Schaefer, Energieexperte am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). t-online erklärt, wie abhängig Deutschland vom russischen Gas ist und was die aktuellen Entwicklungen für Verbraucher und Energiepreise bedeuten.

Wie abhängig ist Deutschland von Russland?

Russland ist zwar nicht der einzige Gaslieferant, aber der größte. 2020 kamen gut 55 Prozent des nach Deutschland importierten Gases aus Russland. Gut 30 Prozent entfielen auf Norwegen, knapp 12 Prozent auf die Niederlande. In Deutschland gefördertes Gas machte weniger als 5 Prozent aus.

Der russische Staatskonzern Gazprom betreibt zudem über eine Tochtergesellschaft zwei Gasspeicher in Deutschland, darunter den bundesweit größten im niedersächsischen Rehden. Auf ihn entfällt rund ein Fünftel der deutschen Speicherkapazität. Seit vielen Monaten ist sein Füllstand sehr niedrig. An den russischen Gasimporten hängt also ein beträchtlicher Teil der deutschen Versorgung und damit auch des Gaspreises.

"Über 50 Prozent unserer Gasimporte kommen aus Russland. Doch die Abhängigkeit besteht durchaus gegenseitig, denn ein Viertel der russischen Gasexporte gehen nach Deutschland", sagt Energieexperte Schaefer t-online.

Was passiert mit Nord Stream 2?

Die Lieferbeziehung zwischen Russland und Deutschland sollte mit der im vergangenen September fertig gestellten Pipeline noch verstärkt werden. Nun verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz als eine der ersten Reaktionen auf Putins Äußerungen den Stopp von Nord Stream 2. Das laufende Zertifizierungsverfahren wird auf unbestimmte Zeit ausgesetzt.

Eine Wiederaufnahme schlosss Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, aus: "Für uns ist diese Leitung tot", sagte sie am Mittwoch im ZDF-"Morgenmagazin". Nach der Eskalation des Ukraine-Konflikts sei es "völlig undenkbar", mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in ein wirtschaftliches Geschäft einzutreten.

Für die akute Energieversorgung hat das allerdings keine Auswirkungen, denn noch enthält die Leitung kein Gas (lesen Sie hier, worum es bei dem Verfahren geht). Allerdings sollten mit der Pipeline neue Kapazitäten geschaffen werden. "Nord Stream 2 hätte aus wirtschaftlicher Sicht das Potential für Preisentspannung gehabt", so Schaefer vom IW.

Dreht Russland jetzt das Gas ab?

In einer ersten Einschätzung der Lage schreibt die Commerzbank, dass sich das Risiko für Lieferunterbrechungen erhöht habe. "Die hohe Abhängigkeit der EU von russischem Öl und Gas spricht zwar gegen Sanktionen in diesem Bereich. Allerdings könnte Russland als Vergeltung gegen die zu erwartenden Sanktionen die Liefermengen reduzieren", heißt es weiter.

An den Märkten mache sich diese Verunsicherung bereits bemerkbar. "Die Erwartungen spielen eine große Rolle. Die aktuelle Volatilität am Markt spricht dafür, dass das Risiko hoch eingeschätzt wird, das treibt die Preise nach oben", sagt Experte Schaefer.

"Wenn die Lieferungen aus Russland von einem Tag auf den anderen ausfallen, ist das eine große Herausforderung, vor der die Bundesregierung und die Energiewirtschaft dann stehen würden. Aber wir haben in Europa Sicherungsmechanismen, die dann greifen", sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, t-online.

Von Russland selbst hieß es zunächst, dass sie die Gaslieferungen aufrechterhalten wollten.

Kann es zu Engpässen kommen?

Das könnte durchaus passieren, frieren muss deshalb aber niemand. "Auch in diesem Winter gilt: Jeder Gaskunde wird eine warme Wohnung haben", so Andreae. "Denn: Insbesondere Haushaltskunden sind im unwahrscheinlichen Fall eines Engpasses durch gesetzliche Bestimmungen besonders geschützt." Zuerst müsse etwa die Industrie Gas sparen oder auf andere Energieformen umstellen.

Als Teil des europäischen Erdgas-Versorgungssystems kann Deutschland im Bedarfsfall auch von anderen Staaten unterstützt werden. Ohnehin stellen die Gasspeicher nur einen Pfeiler bei der Energieversorgung dar.

Und selbst wenn gar kein russisches Gas mehr fließen sollte, wäre das kurzfristig kein Problem: "Aktuelle Berechnungen der Bundesregierung zeigen, dass Deutschland voraussichtlich auch dann über den Winter kommt, wenn Russland seine Erdgaslieferungen komplett einstellen würde", so Andreae

Steigen die Energiepreise jetzt?

Die kurze Antwortet lautet: ja. Schon nach den Äußerungen von Russlands Präsident Wladimir Putin am Montagabend stiegen die Preise für verschiedene Energieprodukte direkt an.

Die Ölpreise erreichten die höchsten Stände seit Herbst 2014. Für ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent zur Lieferung im April mussten am Dienstag bis zu 99,50 US-Dollar gezahlt werden. Zuletzt kostete ein Barrel noch 97,04 Dollar.

Ein Fass der US-Sorte West Texas Intermediate (WTI) kostete bis zu 94,95 Dollar. Zuletzt wurde WTI noch mit 92,03 Dollar gehandelt. Das waren 1,92 Dollar mehr als am Montag. Die Erdgaspreise entwickelten sich ähnlich, am Dienstag legten sie 10 Prozent zu.

Wie sich der Preis darüber hinaus gestalten wird, lässt sich hingegen nur schwer sagen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnte am Dienstag bereits vor einem zumindest kurzfristigen Anstieg der Gaspreise. Für diese Preistreiberei sei alleine Russland verantwortlich, sagte Habeck. Deutschland müsse in Zukunft unabhängiger von Russland werden.

Die russische Seite zeigte sich wenig beeindruckt. Auf Twitter machte sich der Vize-Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates in Russland, Dmitri Medwedew, über die Sorge vor höheren Preisen lustig und schrieb: "Willkommen in einer Welt, in der Europäer 2.000 Euro für Gas zahlen."

Welche Alternativen gibt es?

Die Situation gestaltet sich schwierig, aber es gibt Möglichkeiten. Zum einen könne Europa auf einen breiten Liefermix zurückgreifen, so Andreae vom BDEW.

"Hinzu kommen die sehr gute Gasspeicher-Infrastruktur insbesondere in Deutschland sowie das europäische Gas-Verbundnetz, das den innereuropäischen Gas-Austausch ermöglicht und das in den vergangenen Jahren immer stärker ausgebaut worden ist", sagt Andreae. Auch mit Tankern etwa aus den USA könne Flüssiggas nach Europa transportiert werden.

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Diese Lieferungen könnten ausgeweitet werden: "Die derzeit größten LNG-Anbieter sind Katar, Australien und auch die USA. Insbesondere dort sind viele Produzenten in der Lage, ihre Angebotsmenge kurzfristig auszuweiten, um auf Nachfrageschwankungen zu reagieren", erläutert Andreae.

Expertin: Gasreserve für den Ernstfall schaffen

Mit Blick in die Zukunft sei der Ausbau erneuerbarer Energien und eine diverse Lieferstruktur für Wasserstoff nötig, um den Markt abzusichern, sagt Andreae. Diese Ansicht teilt auch die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Die beste Antwort auf fossile Energiekriege ist die Energiewende mit einem Ausbau der erneuerbaren Energien und deutlichem Energiesparen", so Kemfert.

Für eine drohende Energiekriese sieht sie Deutschland schlecht aufgestellt und fordert daher: "Wir brauchen eine strategische Gasreserve, die uns wie beim Öl für 90 Tage im Ernstfall mit Gas versorgt."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Thilo Schaefer
  • Anfrage an den BDEW
  • Analyse der Commerzbank
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, Reuters und AFP
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