Verbandschef Mattner "Die Regulierung des Mietenmarktes ist gescheitert"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zwei Zimmer für 1.300 Euro kalt: Nach dem Aus für den Mietendeckel steigen die Mieten in den Metropolen weiter. Die Immobilienwirtschaft hat darauf eine klare Antwort.
Der Berliner Mietendeckel ist gefloppt und nunmehr offiziell verfassungswidrig. Für manche war es Anlass zur Trauer, für andere ein Grund zur Freude – und das weit über Berlin hinaus.
Die steigenden Mietpreise im Land schlagen auch außerhalb der Hauptstadt hohe Wellen. Fast überall wird bezahlbarer Wohnraum knapper, auch auf dem Land verdrängen steigende Preise zunehmend die Einheimischen. Doch was hilft jetzt wirklich gegen immer weiter steigende Mieten: härtere staatliche Regulierungen oder dem Markt freien Lauf lassen?
t-online hat darüber mit Andreas Mattner, Präsident des Immobilienspitzenverbandes ZIA, gesprochen. Er fordert mehr Neubau – und hat mit Blick auf die kommende Bundestagswahl eine klare Botschaft an die Grünen.
t-online: Herr Mattner, in Berlin ist der Mietendeckel seit einer Woche Geschichte. Wie viele Flaschen Sekt haben Sie seitdem getrunken?
Andreas Mattner: Gar keine, mich stimmt das alles eher traurig.
Warum?
Weil der Berliner Senat hier auf dem Rücken der Mieter ein Experiment gewagt hat, das nur zwei Rückschlüsse zulässt. Entweder kannten die politischen Entscheider das Grundgesetz nicht – oder sie haben es bewusst aus ideologischen Gründen ignoriert. Letzteres drängt sich auf, weil Experten den Senat durchaus vor diesem Gesetz gewarnt hatten.
Was meinen Sie damit?
Wer das Grundgesetz kennt, wusste schon vorher, dass der Mietendeckel verfassungswidrig war. Auch die Rückzahlungsprobleme der Mieter waren absehbar. Das Aus für den Mietendeckel ist damit der traurige Höhepunkt einer jahrelang fehlgeleiteten Wohnungspolitik, die dem Ziel – mehr günstigen Wohnraum zu schaffen – nicht gerecht wird. Oder anders ausgedrückt: Die staatliche Regulierung des Wohnungsmarktes ist endgültig gescheitert.
Vielleicht auch nicht: Nach dem Scheitern des Mietendeckels dürfte der Wunsch zur Enteignung großer Wohnungskonzerne noch mehr Leute begeistern. Spaltet das Mietenproblem Deutschland?
Das glaube ich nicht. Wenn eine solch rigide Mietenpolitik gewünscht wäre, müsste die SPD viel bessere Umfragewerte haben, schließlich fordert sie diese schon sehr lange. Doch die meisten Menschen wissen: Enteignungen schaffen wegen der Entschädigungen leere Staatskassen, aber keine neuen Wohnungen. Zudem hat ja auch der Mietendeckel die Folgen der staatlichen Eingriffe aufgezeigt. Das Angebot hat sich halbiert, und wer sich vorher 20 Euro Miete pro Quadratmeter am Kurfürstendamm leisten konnte, zahlte plötzlich nur noch um die 6 Euro. Viele Menschen sehen das kritisch.
Mindestens genauso viele dürften aber auch Angst haben, dass sie ihre Miete und die Rückzahlungen jetzt nicht bezahlen können. Zu Recht?
Nein. In der Immobilienbranche haben wir uns auf das Kippen des Mietendeckels vorbereitet. Die Immobilienunternehmen werden eine soziale Lösung mit ihren Mietern finden. Dafür haben wir als Spitzenverband schon 2018 mit der deutschen Wohnungswirtschaft und dem Deutschen Mieterbund einen Ethikkodex verabschiedet und diesen spezifisch für das Scheitern des Deckels um Regelungen wie z.B. Härtefallklauseln erweitert. Die Vermieter werden einvernehmliche Lösungen finden.
Andreas Mattner, geboren 1960, ist seit 2009 Präsident des Spitzenverbandes Zentraler Immobilien Ausschuss (ZIA). Von 1991 bis bis 2008 saß der Jurist für die CDU in der Hamburgischen Bürgerschaft. Seit 1993 ist er Mitglied der Geschäftsführung des Unternehmens ECE Projektmanagement, das vor allem für seine Einkaufspassagen bekannt ist. Zudem war zehn Jahre im Wirtschaftsrat der CDU tätig.
An den hohen Mieten aber ändert das nichts. In Berlin kosten zwei Zimmer kalt zum Teil 1.300 Euro pro Monat. Ist das noch normal?
Wenn Menschen aus New York, London oder Tokio von den Mieten in Deutschland hören, verstehen sie unsere Diskussion nicht. Es ist doch so: In vielen deutschen Großstädten haben die Verantwortlichen durch zu wenig Wohnungsbau den Karren in den Dreck gefahren. Und jetzt lässt sich das Problem kaum mehr lösen – außer durch Bauen, Bauen, Bauen.
Dieses Mantra kennen wir bereits. Bis ein Haus fertig ist, dauert es allerdings ein wenig. Wie, wenn nicht durch staatliche Eingriffe in die Mieten, kann der Staat den Mietern kurzfristig helfen?
Richtig, eine aktive Wohnungsbaupolitik macht sich erst mittel- und langfristig bemerkbar. Kurzfristig geht es deshalb darum, dass der Staat gezielt jene Menschen unterstützt, die Schwierigkeiten mit den Wohnkosten haben. Eine Möglichkeit dafür wäre etwa, das Wohngeld zu erhöhen und es mehr Bürgern zugänglich zu machen.
Eine schöne Subventionierung der Immobilienwirtschaft.
Falsch! Das Geld geht ja nicht an uns, sondern an die Mieter, die normale Großstadtmieten zahlen.
Kritiker sagen, Immobilien sollten gar nicht erst Investitionsobjekte sein, erst die Spekulationen auf dem Immobilienmarkt sorge für hohe Kaufpreise und Mieten. Was entgegnen Sie ihnen?
Es ist per se nichts Schlechtes, wenn Menschen in Immobilien investieren, und: Den größten Anteil an den steigenden Immobilienpreisen hat immer noch der Staat. Hohe Grunderwerbssteuern, Tausende Auflagen im Baurecht, mehr Vorschriften für den Klimaschutz, Beteiligung an Infrastrukturkosten – all das sorgt dafür, dass die Immobilienpreise steigen. Hinzu kommen dann noch weitere Faktoren wie etwa die Teuerung der Baumaterialien. Es ist wie mit dem Benzin, die Hälfte geht an die Staatskasse, dann passt es auch, wenn Wohngeld gezahlt wird.
Sie wollen also sagen, dass die Spekulation die Preise überhaupt nicht antreibt?
Nein. Aber wenn Spekulation dazu beiträgt, dass Wohnraum geschaffen wird, dann ist Spekulation nicht zu verteufeln. Denn eines ist klar: Wir werden die Wohnungslücke niemals nur mit staatlichem Engagement schließen. Die Erfahrungen aus der DDR beweisen, dass ein totalitärer Zentralstaat nicht dazu führt, dass es mehr oder gar bessere Wohnungen oder gute Verwaltung gibt. Es braucht zum überwiegenden Teil privates Engagement, um genügend Wohnraum zu schaffen.
Im September ist Bundestagswahl, die Mieten in den Städten werden im Wahlkampf eine zentrale Rolle spielen. Was erwarten Sie von der nächsten Bundesregierung?
Ich erwarte, dass die Politik Lehren aus dem Berliner Mietendeckel zieht – und anerkennt, was ich bereits sagte: Die Regulierung des Mietenmarktes ist gescheitert und löst das Problem nicht.
SPD, Grünen, Linkspartei sehen das anders. In ihren Wahlprogrammen werben sie gar für einen bundesweit anwendbaren Mietendeckel.
Das stimmt. Allerdings sind diese Wahlprogramme vor dem Scheitern des Berliner Mietendeckels entstanden. Ich habe deshalb die Hoffnung, dass die Parteien die Methoden der Regulierung hinterfragen. Das gilt besonders für die Grünen, die große Chancen haben, das Land mitzuregieren. Sie müssen in der Regierung nach wenigen Jahren Wohnungen liefern und das geht nicht ohne die Privaten, die den Löwenanteil aller Wohnungen bauen sollen.
In Berlin war zuletzt das Gegenteil zu beobachten, da forderten auch die Grünen umso lauter, dass jetzt der Bund für niedrigere Mieten sorgen soll.
Ich habe die Grünen immer als eine Partei kennengelernt, die ganz genau analysiert, welche Wirkung welches staatliche Instrument hat. Natürlich haben auch die Grünen ein inhaltliches Korsett, in das ihre Politik passen muss. Sie sind allerdings stets offen für Argumente. Darauf baue ich jetzt. Mein Appell an die Grünen lautet deshalb: Wenn Sie den Anspruch haben zu regieren, wenn Sie als Partei erfolgreich sein wollen, bleiben Sie bitte vernünftig und betreiben Sie eine ideologiefreie Wohnungspolitik!
Eine mögliche Regierungskoalition wäre ein schwarz-grünes Bündnis. Wie weit sollte sich ein potenzieller Kanzler Armin Laschet überhaupt auf Annalena Baerbock einlassen?
Ich will niemandem einen Ratschlag geben, weder Herrn Laschet noch einem anderen möglichen Kanzler oder einer möglichen Kanzlerin. Dafür sind die Umfragen auch viel zu volatil. Wer weiß, womöglich bekommen wir auch eine Koalition aus drei Parteien.
Wollen Sie damit sagen, es ist Ihnen egal, welche Koalition Deutschland regiert?
Nein, natürlich nicht. Es gibt Regierungskonstellationen, die mit Blick auf die Wohnungspolitik und die Immobilienwirtschaft fortschrittlicher denken als andere. Am Ende zählt das Ergebnis: Die nächste Regierung muss sich daran messen lassen, wie viel neuen Wohnraum sie in den Städten schaffen wird.
Wie kann das gelingen?
Mindestens in den sieben, wahrscheinlich sogar in den 20 größten Städten Deutschlands braucht es Anreize dafür, dass neue Wohnungen gebaut werden, auch finanzieller Art. Außerdem muss das Baurecht vereinfacht werden. In den vergangenen 30 Jahren wurden aus 5.000 Bauvorschriften knapp 20.000 – das ist viel zu viel. Und schließlich benötigen wir schnell mehr Bauland in den Großstädten und im Umland der Metropolen.
Im Umland und noch mehr in den ländlichen Regionen gibt es genug Platz, die Immobilienpreise und Mieten sind relativ niedrig. Wie sehr wird diese Kluft zwischen Stadt und Land noch auseinandergehen?
Ich halte eine weitere Stadtflucht für möglich. Auch wenn viele Menschen – nicht zuletzt durch Corona – inzwischen merken, dass das Leben auch abseits der Szeneviertel Vorzüge hat, bleiben die Metropolen und ihr Umland attraktiv. Insofern wird auch die Kluft noch eine Weile wachsen.
Was lohnt sich vor diesem Hintergrund mehr: Der Kauf einer Drei-Zimmer-Wohnung in München oder das Haus im Vogtland?
Das kommt auf die eigenen Bedürfnisse und Lebensweise an. Einer der wichtigsten Faktoren im Leben vieler Menschen wird auch in Zukunft die Arbeit bleiben – und die findet trotz mehr Homeoffice nach der Corona-Krise weiterhin vor allem vor Ort statt. Das heißt, ein Großteil der Menschen wird weiterhin nah an der Arbeit wohnen wollen. Entscheidend wird darum sein, wie gut die ländlicheren Gegenden an größere Städte angebunden sind, mit Schiene und Bahn, aber auch mit Glasfaserkabel und Internet.
Herr Mattner, wir danken Ihnen für das Interview.
- Video-Interview mit ZIA-Präsident Andreas Mattner