Was bringt das digitale 'Zeitalter' für Patienten?

15.01.2025, 16:20

BERLIN (dpa-AFX) - Wichtige Gesundheitsdaten wie Befunde, Laborwerte und Medikamente können Millionen Versicherte künftig digital parat haben - in elektronischen Patientenakten (ePA), die jetzt in den Masseneinsatz starten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte, mehr als 20 Jahre nach der Ursprungsidee werde dies endlich Realität. "Die elektronische Patientenakte ist sicher und macht bessere Behandlung und Forschung möglich." Ärzte und Patientenvertreter mahnten eine unkomplizierte Alltagsnutzung und noch weitere Vorkehrungen zur Datensicherheit an.

t-online aktuell 15.01.2025

Kontrollierter Auftakt in drei Regionen

Alle gesetzlich Versicherten, die nicht widersprochen haben, bekommen nun nach und nach eine ePA von ihrer Krankenkasse eingerichtet. Das dürfte sich über zwei bis vier Wochen hinziehen, hieß es vom Ministerium. Denn gerechnet wird mit mehr als 70 Millionen E-Akten. Am Mittwoch startete auch der konkrete Einsatz - aber nicht gleich überall, sondern in drei Modellregionen. In Hamburg mit Umland, Franken und Teilen Nordrhein-Westfalens sollen rund 300 Praxen, Apotheken und Kliniken loslegen und Daten einstellen. Getestet werden soll etwa das Hochladen und das Zusammenspiel mit den üblichen Praxissystemen.

Die nächste Etappe

Wenn das System in den Testregionen stabil funktioniert, soll das "Go" für ganz Deutschland folgen. Klar sein soll das nach Auswertungen frühestens nach vier Wochen. Wohl im März oder April soll die ePA bundesweit anlaufen, wie Lauterbach ankündigte. Dann muss auch die technische Anbindung in 150.000 Gesundheitseinrichtungen in der ganzen Republik startbereit sein. Dafür, wie Versicherte erfahren, dass ihre Kasse die ePA für sie eingerichtet hat, gibt es verschiedene Vorgehensweisen, wie es beim Spitzenverband hieß - etwa als Push-Nachricht in der Kassen-App oder mit einer Info auf der Homepage.

Mehr Einblicke für Versicherte

Für Patienten bringt die E-Akte neue Transparenz über Behandlungsdaten. So werde man ein "mündiger Patient" und könne sich Befunde auch von anderen Ärzten erläutern lassen, sagte Lauterbach. Dabei gilt: Man kann in seine ePA schauen und Daten einstellen, muss es aber nicht. Einsehen kann man die E-Akte über eine App der Kasse auf Smartphones, Tablets oder Laptops. Was Ärzte einstellen und wer worauf zugreifen darf, kann jeweils festgelegt werden. Bei Kassenwechsel kann man die Daten mitnehmen. Generell bleibt die ePA freiwillig, man kann auch später noch widersprechen und sie löschen lassen.

Wichtige Dokumente gebündelt

Das Kernziel ist, verstreute Daten zusammenzuführen und damit eine bessere Behandlung zu ermöglichen. In Praxen sei es oft so, dass Dokumente früherer Behandlungen fehlten oder es gar nichts gebe, erläuterte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Künftig sollen wichtige Angaben auf einen Blick bereitstehen und auch Mehrfachuntersuchungen und Arznei-Wechselwirkungen besser vermeiden. Allein mit Blick auf Unverträglichkeiten von Medikamenten könnten Zehntausende Leben im Jahr gerettet werden, sagte Lauterbach.

Umstellung auf "Opt-out"

Der Start der "ePA für alle" soll nun der "Beginn eines neuen Zeitalters der Digitalisierung" des Gesundheitssystems sein, wie es Lauterbach nannte. Als wählbares Angebot, um das man sich aktiv kümmern musste, waren E-Akten 2021 eingeführt worden. Sie wurden aber kaum genutzt: Zu Jahresbeginn gab es 1,9 Millionen bei mehr als 74 Millionen gesetzlich Versicherten. Ein Gesetz der Ampel-Koalition kehrte daher das Prinzip um: Nun bekommen alle eine ePA, außer man widerspricht aktiv (Opt-out). Die Widerspruchsquote liegt jetzt im Schnitt bei fünf Prozent. Auch private Versicherungen können ePAs anbieten.

Zugriffsrecht für Ärzte für 90 Tage

Wenn man in der Praxis die Versichertenkarte einsteckt, bekommen Ärztinnen und Ärzte ein Zugriffsrecht zum Lesen und Füllen der ePA. Standardmäßig gilt es für 90 Tage, man kann die Spanne über die App verkürzen und verlängern. Patienten können in der Sprechstunde bestimmen, wenn ein Befund nicht in die Akte hinein soll. Bei sensiblen Daten müssen sie auch ausdrücklich auf dieses Widerspruchsrecht hingewiesen werden. Die Verbraucherzentralen pochen auf unkomplizierte Einstellungen, welcher Mediziner was einsehen kann. "Sonst erfährt am Ende die Zahnarztpraxis von der Psychotherapiebehandlung."

Schrittweise mehr Inhalte

Ärztinnen und Ärzte sind nun verpflichtet, wichtige Dokumente in die E-Akte einzustellen. Gleich zum Start soll auch eine Liste der Medikamente enthalten sein, die automatisch aus den inzwischen üblichen E-Rezepten erstellt wird. Ab Sommer soll als nächstes ein Medikationsplan mit zusätzlichen Angaben etwa zu Dosierungen von Arzneimitteln dazukommen. Die KBV weist darauf hin, dass die ePA als "versichertengeführte" Akte die eigene Dokumentation der Ärzte in ihrem jeweiligen Praxissystem nicht ersetzt. Auch eine direkte Kommunikation zwischen Praxen bleibe wichtig, zumal Versicherte Daten löschen können.

Schutz der sensiblen Gesundheitsdaten

Lauterbach versicherte: "Die Daten der Bürger sind sicher vor Hackern." Zuvor hatte der Chaos Computer Club vor Angriffsmöglichkeiten gewarnt. Die mehrheitlich bundeseigene Digitalgesellschaft Gematik kündigte Lösungen an, um solche Szenarien zu unterbinden. Sie seien auch für den Bundesstart schon in Umsetzung, machte der Minister deutlich. Gespeichert werden die Daten laut Ministerium auf Servern im Inland innerhalb der geschützten Datenautobahn des Gesundheitswesens. Jeder Zugriff auf die ePA wird mit Datum und Uhrzeit protokolliert. Hochzuladen sind nur Dateiformate, die keine Viren übertragen.

Zugang zur eigenen Akte

Für Versicherte gibt es bei der ersten Anmeldung in der ePA-App ebenfalls Sicherheitsanforderungen. Gebraucht wird ein elektronischer Personalausweis mit Geheimnummer (Pin) - oder die elektronische Gesundheitskarte mit Pin, die man auf Antrag von der Krankenkasse bekommt. Für die spätere App-Nutzung kann man dann selbst Identifizierungswege am Smartphone einstellen, etwa per Gesichtserkennung. Wer die App nicht selbst verwenden will, kann zum Beispiel Angehörige damit betrauen. Auch Kinder bekommen eine ePA, wenn die Eltern nicht widersprechen, ab 15 können sie es selbst entscheiden.

Daten auch für die Forschung

Einen Schub bringen soll die E-Akte auch für die Forschung. Geplant ist, dass von Juli 2025 an Daten der ePAs für Forschungswecke an eine zentrale Stelle weitergeleitet werden. Die Daten werden dafür pseudonymisiert verwendet, wie das Ministerium erläutert - also ohne direkt personenbeziehbare Angaben wie Name und Adresse. Versicherte können aber auch dieser Nutzung in der App oder bei einer Ombudsstelle der Krankenkasse widersprechen. Lauterbach sieht enorme Chancen für die Forschung mit großen Datenbeständen./sam/DP/zb

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