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Bankenverband-Chef Ossig: "Die Inflation birgt enormen Sprengstoff"


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Zukunft Europas
"Wir reden von 400 Milliarden Euro im Jahr"


Aktualisiert am 24.07.2022Lesedauer: 7 Min.
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Montage von Sonnenkollektoren für Solarthermie (Symbolbild): "Die Nachfrage von Industrie und Unternehmen nach Investition in den Klimaschutz wird so hoch sein, wie wir uns das heute kaum vorstellen können", so Ossig.

Mit einer Zinserhöhung kämpft die EZB gegen die Inflation. Bankenverband-Chef Ossig erklärt, ob das genug ist und wie Sparer ihr Geld sichern können.

Lebensmittel, Energie, Dienstleistungen: Die Inflation ist für die Deutschen längst im Alltag spürbar. Mit einer ersten Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte will die Europäische Zentralbank die Teuerung im Euro-Raum in den Griff bekommen.

Die Entscheidung ist auch ein wichtiges Signal für die Banken in Deutschland und ihre Kunden. Das Ende der Nullzinspolitik bedeutet in vielen Fällen nämlich auch das Ende der Strafzinsen für Privatanleger.

Der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands, Christian Ossig, erklärt im Interview mit t-online, warum die Inflation dennoch nicht so schnell sinken wird, was Sparer jetzt beachten sollten und warum weniger Bankfilialen kein Grund zur Sorge sind.

t-online: Herr Ossig, die Inflation macht alles teurer. Wie arm werden die Deutschen in einem Jahr sein?

Christian Ossig: Das ist angesichts der aktuellen Energiepreise und Lieferengpässe schwer vorherzusagen. Klar ist: Die Inflation birgt enormen Sprengstoff für unsere Gesellschaft. Ob es zu einer Detonation kommt, hängt auch davon ab, was die Europäische Zentralbank (EZB) in den kommenden Monaten macht. Sie muss jetzt alles daransetzen, dass sich die Preise wieder stabilisieren.

Am Donnerstag hat EZB-Präsidentin Christine Lagarde angekündigt, dass der Leitzins um 0,5 Prozent steigt. Reicht das aus, um die Inflation zu bekämpfen?

Das ist ein erster wichtiger Schritt. Die EZB lässt ihren Worten Taten folgen – das ist richtig und notwendig. Trotzdem sind die Inflationserwartungen aller Experten weiter hoch. Umso wichtiger war deshalb die Ankündigung, dass im Herbst weitere Zinsanhebungen kommen werden.

Kann das die Inflation denn schnell dämpfen?

Nein, kurzfristig wahrscheinlich nicht. Die Inflation wird auch nächstes Jahr hoch bleiben, die Teuerung wird weit jenseits des Ziels von zwei Prozent pro Jahr liegen, dem sich die EZB verschrieben hat. Mit Blick auf die anstehenden Tarifrunden wird das zu einem Problem.

Weil die Gewerkschaften angesichts dieser Perspektive ein sehr großes Gehaltsplus fordern, sich die Lohn-Preis-Spirale in Bewegung setzt?

Richtig. Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale ist akut. Natürlich kann ich die Forderungen der Gewerkschaften verstehen: Viele der aktuellen Preissteigerungen sind von dauerhafter Natur, Energie etwa wird wahrscheinlich, wenn überhaupt nur langsam wieder günstiger werden als jetzt. Umso wichtiger ist es deshalb, dass EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Zinsen noch weiter anhebt. So haben die Tarifpartner Planungssicherheit und können Abschlüsse mit Augenmaß aushandeln, die die Teuerung nicht noch weiter antreiben.

Höhere Zinsen können aber auch Probleme verursachen, vor allem für die Staaten Südeuropas. Droht uns eine neue Schuldenkrise?

Ich glaube nicht, dass es zu einer neuen Staatsschuldenkrise kommt. Der aktuelle Zinsanstieg wird die südlichen Staaten nicht vor unüberwindbare Herausforderungen stellen. Trotzdem sollten sich Länder wie Spanien, Italien oder Griechenland natürlich für die Zukunft besser aufstellen und die Verschuldung abbauen.

Das ist leichter gesagt als getan.

Stimmt, aber ohne Disziplin geht es nicht. Dauerhaft kann niemand mehr ausgeben als er einnimmt. Das gilt für Deutschland, aber auch für alle anderen Staaten.

Weil sonst auch die Stabilität des Banken- und Finanzsektors wieder auf der Kippe steht?

Nein, damit hat das nichts zu tun. Die Banken stehen heute stabil da und sind deutlich robuster als vor der Finanzkrise 2008. Die trüben Wirtschaftsaussichten und die hohe Inflation sind zwar große Herausforderungen. Das ist ein erster echter Test für die Banken seit der Finanzkrise. Aber die Kreditinstitute sind gut vorbereitet, in Deutschland sowie in ganz Europa. Wir werden den Test meistern.

Christian Ossig

1971 geboren, studierte Ossig Betriebswirtschaftslehre in Reutlingen, Reims, Brügge und Cambridge. Es folgten berufliche Stationen in der Beratung, bei der Bank of America und der Royal Bank of Scotland. Seit 2016 ist er Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bankenverbandes, seit 2018 ist er als Hauptgeschäftsführer tätig. Der Verband vertritt die Interessen der privaten Banken in Deutschland.

Das heißt, die nach 2008 erlassenen strengen Regeln für die Banken haben etwas gebracht.

Nach der Finanzkrise waren die hohen Eigenkapitalanforderungen bei der Kreditvergabe richtig. Heute allerdings brauchen wir mehr Flexibilität, insbesondere bei der Finanzierung von Projekten im Kampf gegen den Klimawandel. Für solche Investitionen müssen niedrigere Anforderungen gelten als bei riskanteren Krediten. Da sind die Regeln inzwischen zu streng. Auf Dauer geht das so nicht.

Wie genau meinen Sie das?

Wir stehen vor einem Jahrzehnt der Investition. Die Nachfrage von Industrie und Unternehmen nach Investition in den Klimaschutz wird so hoch sein, wie wir uns das heute kaum vorstellen können. Wir reden hier allein für Europa von 400 Milliarden Euro im Jahr. Um das zu finanzieren, brauchen wir leistungsfähige Banken und eine europäische Kapitalmarktunion. Europa hat die große Chance, Technologieführer zu werden. Aber all diese Erfindungen brauchen eine Finanzierung. Die Banken wollen das übernehmen, aber dafür brauchen wir Regeln, mit denen wir gut arbeiten können und Eigenkapitalanforderungen, die es uns erlauben, diesen Anforderungen gerecht zu werden.

Zurück zur Zinswende: Für Sparer ist die gut – vorausgesetzt, die Banken geben die höheren Zinsen auch weiter. Wie schnell wird das geschehen?

Den Takt gibt die EZB vor. Die Preisgestaltung, und dazu gehören auch Negativzinsen, ist eine individuelle Entscheidung jeder einzelnen Bank. Klar ist aber, die Banken hängen nicht an den Negativzinsen. Ich gehe davon aus, dass sie die EZB-Entscheidung bei ihrer Preisgestaltung entsprechend berücksichtigen werden. Hier herrscht ein gesunder Wettbewerb im Markt.

Das kommt vielen Kunden seit Jahren anders vor.

Das kann ich nachvollziehen, aber der schwarze Peter liegt hier nicht bei den Banken – ganz im Gegenteil. Negativzinsen gibt es ja bereits seit 2014, doch bei den Kunden sind sie erst deutlich später angekommen. Die Banken wollten diesen Schritt immer vermeiden. Doch die Zentralbank hat sie durch ihre lang anhaltende Negativzins-Politik genötigt, diese auch an die Privatkunden weiterzugeben.

Und wann ist es nun mit den Strafzinsen vorbei?

Über einzelne Institute kann ich nichts sagen, der Trend aber ist klar: Ab dem 27. Juli verlangt die EZB keine negativen Zinsen mehr von den Banken. Die Banken werden auf diese Veränderung reagieren. Diese Entscheidung trifft aber am Ende jede Bank für sich.

Sparer stecken trotzdem mitten in der Realzinsfalle. Die prozentualen Erträge sind weit niedriger als die Inflationsrate. Wie kann ich jetzt mein Geld am besten in Sicherheit bringen?

Ganz ehrlich? Da ist guter Rat wirklich teuer. Richtig ist, dass die Zinssätze weit unterhalb der Inflationsrate liegen. Wer Geld übrig hat, sollte es deshalb nicht bloß irgendwo parken. Das Sparbuch ist in diesen Zeiten Gift fürs eigene Vermögen. Bestenfalls legen Sie Ihr Geld breit gestreut am Kapitalmarkt an. Dadurch lassen sich die Inflationseffekte am ehesten abfedern.

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Umgekehrt bedeuten steigende Zinsen, dass sich nicht mehr alle Menschen ihre Kredite leisten können, zum Beispiel für den Hausbau. Wird das zu einem Problem für Deutschlands Banken?

Steigende Zinsen sind für den Finanzsektor auch mit Risiken verbunden. Natürlich kommt es auch vor, dass Privatleute und Firmen die Zinslast nicht mehr tragen können und Kredite ausfallen. Doch gerade was Immobilienfinanzierungen betrifft, sehe ich da keine Gefahr. Die Ausfallrate liegt in Deutschland bei 0,8 Prozent. Das ist ungefähr halb so viel wie der europäische Durchschnitt.

Woran liegt das?

Der größte Teil der Immobilienfinanzierung in Deutschland ist festverzinst. Die derzeitigen Häuslebauer sind von den Zinsveränderungen erst mal gar nicht betroffen. Viele haben sich die historisch niedrigen Zinssätze für einen sehr langen Zeitraum gesichert. Das ist eine beidseitige Absicherung – für Banken und für Kreditnehmer. In anderen Ländern, zum Beispiel Spanien, gibt es dieses Modell nicht. Da passen die Banken die Zinsen während der Laufzeit an. Das erklärt auch, warum wir in Deutschland in der Vergangenheit von Immobilienkrisen verschont geblieben sind.

Und was ist mit den Unternehmen, die jetzt in der Gaskrise pleitegehen?

Es wird Insolvenzen geben, wahrscheinlich auch mehr als in den vergangenen Jahren. Eine bedrohliche Pleitewelle erwarte ich aber nicht. Auch hier gilt: Die Banken sind vorbereitet, die Kapitalpuffer sind groß genug, um auch eine Reihe von Insolvenzen und damit verbundene Kreditausfälle zu verkraften.

Lassen Sie uns noch über eine Meldung sprechen, die jüngst für Aufsehen sorgte: Die Zahl der Bankfilialen ist vergangenes Jahr erneut deutlich gesunken. Ist dieser Trend noch aufzuhalten?

Die Zahl der Bankfilialen sinkt seit Jahren – und sie wird weiter sinken. Warum ist das so? Die Kunden stimmen mit den Füßen ab, sie gehen seltener in die Filiale und nutzen dafür deutlich öfter Onlineangebote.

Ist der direkte Kontakt zur Bank also überholt?

Ganz im Gegenteil. Nie standen die Kunden mit ihrer Bank in engerem Kontakt. Denn der Besuch der Filiale ist das eine, das andere sind die Bankgeschäfte. Im Durchschnitt nutzen Bankkunden ihre App bis zu achtmal am Tag. Früher war das anders, da sind die Kunden nur alle paar Wochen in die Filiale gekommen, um die Überweisungsträger abzugeben.

Viele ältere Menschen kommen mit neuen Technologien aber schlechter zurecht. Werden hier die Bedürfnisse der Generationen gegeneinander ausgespielt?

Die Banken sind so aufgestellt, dass ihre Kunden die Bankberatung bekommen, die sie brauchen. Wer digitale Angebote und Services nutzen will, der bekommt sie und wer den persönlichen Kontakt sucht, für den gibt es immer noch eine ausreichende Anzahl an Filialen – auch in Zukunft. Es besteht keine Gefahr, dass jemand seine Überweisung nicht mehr tätigen kann. Hinzu kommen viele weitere Möglichkeiten, an Bargeld zu kommen, etwa in Drogerien und Supermärkten.

Andere Länder sind auf diesem Weg schon deutlich weiter. In Dänemark oder Schweden wird kaum noch mit Bargeld gezahlt, Online-Banking ist der Standard. Haben deutsche Banken da zu lange gewartet?

Es ist nicht unsere Aufgabe, die Menschen zu erziehen. Die Banken müssen dafür sorgen, dass die Dienste bequem und einfach sind. Die Kunden in Deutschland nutzen diese Angebote zunehmend. Mittlerweile werden am Umsatz gemessen nur noch 30 Prozent der Zahlungen bar getätigt. In anderen Ländern ist dieser Wert deutlich niedriger. Dieser Trend wird sich auch bei uns fortsetzen.

Herr Ossig, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Christian Ossig
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