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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gefahren des Bitcoin "Es geht darum, den Staat handlungsunfähig zu machen"
Seit Jahren werden Kryptowährungen wie Bitcoin und deren Funktionsprinzip Blockchain von ihren Fans als technisches Allheilmittel beworben. Mit diesem magischen Narrativ hat die Technologie nicht viel zu tun, sagt Informatiker Jürgen Geuter. In Wahrheit gebe es nur einen Anwendungsfall.
Kommt die Blockchain oder kommt sie nicht? Diese Frage stellen sich seit Jahren Technologie- und Wirtschaftsexperten – aber auch Politiker. Denn obwohl in ihrer Funktion stark eingeschränkt, wird der Technologie vieles zugetraut. Vereinfacht gesagt ist die Blockchain ein offenes, fälschungssicheres Kassenbuch. Einträge und Änderungen werden immer am Ende hinzugefügt – Verschlüsselungstechnologie und ein dezentraler Aufbau dieser Liste sorgen dafür, dass sich Einträge nicht nachträglich verändern lassen.
Dieses Funktionsprinzip ist natürlich perfekt für eine digitale Währung: Also wem gehört ein Bitcoin, an wen wird er weitergegeben. Aber mit etwas Kreativität lässt sich das Funktionsprinzip auch in etliche andere Bereiche einbinden.
Kryptofans sehen Anwendungsbereiche zum Beispiel in der Versicherungsbranche, dem Energiesektor, der öffentlichen Verwaltung oder im Management von Lieferketten. Die Bundesregierung hatte schon 2019 auf eine Reihe von sinnvollen Einsatzmöglichkeiten der Blockchain hingewiesen. Demnach sollte sie stärker im Finanzsektor für elektronische Wertpapiere verwendet werden.
Doch abseits der Bitcoin-Spekulation hat sich kein Konzept richtig durchsetzen können. Erklärungen, warum das so ist, hat der Informatiker und Philosoph Jürgen Geuter, der im Netz unter seinem Pseudonym @tante bekannt ist. Im Interview mit t-online berichtet er, warum die Blockchain eigentlich nur für genau einen Anwendungsfall interessant ist – und welche Ideologie hinter dem Bitcoin eigentlich steckt.
t-online: Herr Geuter, wer Ihnen bei Twitter folgt, weiß, dass Sie der Blockchain-Technologie sehr skeptisch gegenüberstehen. Warum?
Jürgen Geuter: Der Technologie stehe ich gar nicht besonders gegenüber. Eine Blockchain ist eine verhältnismäßig einfache Technologie, die sich in zwei- oder dreihundert Zeilen Code schreiben lässt. Die grundlegende Idee ist so alt wie ich, sie wurde 1979 patentiert. Das Relevante ist, dass man irgendwann aus der Community heraus angefangen hat, die wildesten Versprechungen in Bezug auf diese Technologie zu machen. Die Blockchain soll alle möglichen sozialen Probleme lösen. Alle Lieferketten sollen damit perfekt überwacht werden können. Sogar bei der Nordirland-Frage während der Brexit-Debatten wurde von diversen Politikern vorschlagen, man könne das Problem mit der Blockchain irgendwie lösen. Dadurch bekommt die Technologie ein magisches Narrativ, womit sie nicht viel zu tun hat. Und dazu kam dann noch die aggressive Welle von Investments. Spätestens dann hatte man, glaube ich, als Person, die die Technik kennt und versteht, eine gewisse Verpflichtung, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, was da eigentlich dahintersteckt.
Was steckt denn dahinter?
Bei der Blockchain geht es darum, Vertrauen zu schaffen in einem System, in dem sich die Teilnehmer nicht vertrauen können und trotzdem eine gemeinsame Wahrheit brauchen. Es soll die Situation vermieden werden, dass sich zwei Leute darüber streiten können, was wahr ist. Beim Bitcoin zum Beispiel geht es darum, wer wie viele Stücke davon besitzt und alle Teilnehmer wollen eine gemeinsame Wahrheit darüber haben. Da erfüllt die Blockchain ihren Zweck.
Und wo tut sie es nicht?
Beim Thema Lieferketten zum Beispiel will ich meine Zulieferer überwachen. Wenn ich meinen Zulieferern nicht vertrauen kann, dann hilft mir auch nicht, dass die irgendwelche Daten in irgendwelche Blockchains schreiben. Dann habe ich nämlich ein ganz anderes Problem: Ich brauche andere Zulieferer. Und dieses Problem löst die Blockchain nicht. Und trotzdem wird versucht, die Technologie, die einen ganz speziellen Anwendungsbereich hat, auf viele andere Bereiche anzuwenden, die diese Anforderungen gar nicht erfüllen.
Was ist mit Blockchain-Anwendungen in der öffentlichen Verwaltung?
Es gibt in Deutschland von diversen Bockchain-Beratern die Forderung, man müsse zum Beispiel das Grundbuchamt in die Blockchain bringen. Warum? Das ist eine hoheitliche Aufgabe, die zentral vom Staat bearbeitet wird. Der Staat kümmert sich auch um die Strukturen, wie die Bearbeitung vonstattengeht. Es gibt ein Amt, das Aufgaben verwaltet und es gibt Notare, die autorisiert sind, Eintragungen zu machen. Auch hier gibt es kein System, in dem man niemandem traut, alle müssen dem Staat als Institution trauen.
Sie kritisieren also nicht generell die Blockchain, sondern dass in Bereichen nach Anwendungsfällen gesucht wird, wo es keine gibt.
Genau. Wir können die Blockchain nicht in unsere reale Welt übertragen. Wir müssen zum Beispiel an vielen Stellen auch immer mal wieder eingreifen, was bei einer Blockchain nicht geht. Ein Beispiel: Nehmen wir an, wir fahren mit einem Kühllaster von einem Ort zum anderen. Und wir müssen nachweisen, dass die Kühlkette eingehalten wurde. Wir haben einen digitalen Sensor eingebaut, der die Daten in eine Blockchain schreibt. Jetzt ist dieser Sensor kaputt und darum wurden die falschen Daten in die Blockchain geschrieben. Zum Glück haben wir aber einen zweiten Sensor als Back-up, der die richtigen Temperaturen gemessen hat. Wie können wir jetzt die richtigen Daten in das System schreiben? Das geht nicht oder nur mit extrem viel Aufwand, was das System nicht einfacher, sondern viel komplexer machen würde.
Warum genau taugt das System nicht für die reale Welt?
Das Blockchain-System ist fälschungssicher. Das ist gut. Du kannst also keine Bitcoin überweisen, die du nicht in deiner Wallet hast. Das funktioniert auch und ist technisch sauber. Sobald ich aber anfange, komplexe, reale, wirkliche Prozesse auf der Blockchain abbilden zu wollen, wird es kompliziert. Nehmen wir die Smart Contracts bei Ethereum, wo ein Token auf der Blockchain irgendetwas repräsentiert. Ich kann zum Beispiel ein Token verkaufen, der behauptet, da hängt ein Kilo Gold dahinter, das ich nicht habe. Und da wird es kompliziert, weil die Blockchain es zwar behauptet, aber es sich darüber nicht nachweisen lässt.
Wenn es so viele Fragezeichen und Unsicherheiten gibt, warum wird die Blockchain dann trotzdem als Allheilmittel für so viele Bereiche verkauft?
Das kommt aus sehr unterschiedlichen Ecken. Da gibt es eine politische Ebene. Man hofft, dass man damit den Staat entkernen kann. Also Aufgaben, die jetzt staatlich organisiert werden, sollen einem privatwirtschaftlichen Markt unterworfen werden. Das ist eine sehr rechte Ideologie. David Golumbia, ein US-Forscher, hat dazu ein Buch geschrieben, das zeigt, aus welchen politischen Strömungen sich das Bitcoin Whitepaper [Anm. d. Red.: Konzept vom Bitcoin-Erfinder Satoshi Nakamoto] speist. Da kommt eine harte rechtslibertäre Ideologie zutage, in der es darum geht, den Staat handlungsunfähig zu machen. Auf der anderen Seite haben wir den wirtschaftlichen Bereich. Wenn man sich mal Jobangebote auf LinkedIn anschaut, dann steckt da sehr viel Geld drin, vor allem bei Start-ups. Man kann sich für viel Geld als Blockchain-Entwickler in einer Bude anstellen lassen und dann muss das Thema auch gepusht werden. Wenn man es als Vertriebspartner schafft, die Blockchain als Geschäftsmodell zu etablieren, hat man erst mal ausgesorgt. Unternehmen geben viel Geld dafür aus.
Was würden Sie Firmen raten, in welche Technologie sie stattdessen investieren sollten?
Wenn du eine Datenbank brauchst und nur fünf Leute hast, die in diese Datenbank reinschreiben, dann nimm auch eine Datenbank. Wir wissen heute, wie wir Datenbanken bauen und absichern können. Das ist eine uralte Technologie, die günstig zu bekommen ist. Da brauche ich keine Blockchain. Natürlich hat die Idee, Prozesse transparent auf einer Datenbank abbilden zu können, die theoretisch jeder lesen kann und sicher ist, auch für Unternehmen seinen Reiz. Aber will ich wirklich interne Unternehmensdaten in eine Blockchain schreiben, wo permanent die Konkurrenz reinschauen kann? Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Außerdem lässt sich mit einer Blockchain nicht herausfinden, wer die Daten gelesen hat. Das kommt noch erschwerend hinzu.
Warum ist die Politik so sehr von der Blockchain überzeugt?
In der deutschen Politik hat sich die Blockchain als ein Symbol durchgesetzt, mit dem man zeigen kann, dass man die Technik und ihre Zukunft verstanden hat. Auch hier sollte man politisch das Bewusstsein dafür schaffen, dass das nicht diese magische Technologie ist, die alle Probleme löst und in Deutschland Milliarden Start-ups erzeugen wird. Diese Hoffnung lässt die Regierung dann so hilflose Übersprungshandlungen durchführen, bei der Millionen in irgendwelche Forschungsprojekte gesteckt werden. Für eine Person, die sich mit dem Thema auskennt und dann solche Fördermittelanträge sieht, ergibt das keinen Sinn.
Lässt sich dieser Hype eigentlich noch stoppen?
Ganz geht das nie weg. Bitcoin wird es weiter geben, Ethereum auch. Dezentrale Systeme sind robust und gegen technische Eingriffe von außen gut geschützt. Die Frage ist, ob diese Themen irgendwann noch so groß sein werden. Was gut funktioniert, ist, regulativ einzugreifen. In der EU gibt es erste Bewegungen. Thailand hat verboten, Bitcoin als Zahlungsmittel anzubieten. Andere Länder gehen gegen das Mining von Kryptowährungen vor. Das sind erste Mittel.
- Interview mit Jürgen Geuter