Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Gefährliche Gegenströmung Sollen wir zurück an den Herd?

Viele erfolgreiche Frauen werden immer häufiger kritisiert. Der Feminismus wird zurückgedrängt. Schauspielstar Millie Bobby Brown wehrt sich und gibt Hoffnung.
Es gibt wenig umsonst im Leben. Eine Ausnahme: die ungefragte Bewertung des Äußeren von Frauen, sobald sie auch nur einigermaßen sichtbar und erfolgreich sind. Die US-Schauspielerin Milli Bobby Brown ist beides im Übermaß. Mit zwölf gelang ihr der Durchbruch mit der Erfolgsserie "Stranger Things". Mittlerweile ist sie erwachsen. Und somit leider auch sehr erfahren mit dem "Hass gibt’s gratis obendrauf"-Prinzip.

Zur Person
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf X – wo sie über 120.000 Fans hat. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz".
Kürzlich erschien die 21-Jährige zur Premiere eines Films, in dem sie mitspielt. Und durfte anschließend so etwas über sich lesen: "Warum altern Gen-Z-Stars wie Millie Bobby Brown so schlecht?" Oder auch: "Millie Bobby Brown wird für die Mutter von jemandem gehalten, während sie ihre jüngere Schwester Ava durch L.A. führt."
Das ist gemessen am sonstigen abartigen Abarbeitungs-Müll, den frustrierte mittelalte Männer gern unter Fotos von erfolgreichen Frauen im Netz hinterlassen, harmlos. Das muss man leider so festhalten. Das ist aber auch kein Wunder: Denn bei diesen Zitaten handelt es sich nicht um die Hinterlassenschaften von solchen, die mit 39 noch bei Mama wohnen und in deren Leben so wenig feurig ist, dass sie zum Ausgleich zu ihrem langweiligen Dasein gern gleich die ganze Welt brennen sehen wollen. Nein, diese Unverschämtheiten stammen aus Artikeln. Das soll Journalismus sein. Ist es nicht, sagt Millie Bobby Brown nun richtigerweise. Sondern Mobbing.
Sie sagt das in einem bemerkenswerten Video auf ihrem Instagram-Account. Darin stellt sich der ehemalige Kinderstar entschieden gegen diese Angriffe.
"Ich habe mit 10 Jahren in dieser Branche angefangen. Ich bin vor der ganzen Welt aufgewachsen, und aus irgendeinem Grund scheinen die Leute nicht mit mir wachsen zu können", sagt Brown darin. "Stattdessen tun sie so, als sollte ich in der Zeit eingefroren bleiben, als sollte ich immer noch so aussehen, wie ich es bei 'Stranger Things' Staffel 1 getan habe. Und weil ich es nicht tue, bin ich jetzt ein Zielobjekt."
Es ist ein Geschenk
Dieses Video ist ein Geschenk – in zweifacher Hinsicht. Die analytische und emotionale Kraft, die dahinter steckt, ist ein Geschenk für Brown. Als Kinderstar am frühen Ruhm und den krassen, knallhart kapitalistischen Mechanismen der Industrie nicht zu zerbrechen, ist schon mal eine nicht zu unterschätzende Leistung. Sich darüber hinaus aber eine solch ausgeprägte Resilienz zuzulegen, inmitten des Wahnsinns – das ist selbst Wahnsinn, aber der von der guten Sorte.
Außerdem ist es ein riesiges Geschenk für alle Frauen – egal ob noch sehr jung oder so unfassbar alt wie ich zum Beispiel. Denn auch wenn ich nicht im Geringsten heranreiche an die Prominenz einer Millie Bobby Brown – es reicht wie gesagt schon, einigermaßen sichtbar zu sein. Äußere ich mich in den sozialen Netzwerken, kann ich die Uhr danach stellen, wann der erste Kommentar eintrudelt, der sich nicht mit den von mir geposteten Inhalten beschäftigt, sondern mit meinem Äußeren. (Ehrlich gesagt: Ich schaffe es in der Zeit gar nicht, die Uhr zu stellen. Und dabei bin ich noch ganz rüstig.)
Ich bin demnach sehr alt und sehr unansehnlich und deshalb sexuell auch sehr frustriert. Warum ich mich deshalb zu beispielsweise politischen Themen nicht äußern soll, ist mir zwar noch nicht klar geworden. Da ich aber nach Ansicht einiger obendrein auch noch sehr dumm bin, liegt dieses logische Verständnisproblem selbstverständlich auch bei mir.
Da wird von maskuliner Energie gefaselt
Zurück zu Millie Bobby Brown. Sie ist sehr schlau. Viele Frauen sind das. Womöglich so viele wie Männer, um es mal über den Daumen zu peilen. Sie sind aber viel öfter Zielscheibe solcher Zuschreibungen und Zuschriften. Also falls Sie, liebe männliche Leser, schon beherzt in die Tasten greifen und mir freundlicherweise erklären wollen, dass ja zum Beispiel auch Helmut Kohl und andere verunglimpft wurden – ich weiß das. Es gibt ja auch nichts ohne Ausnahmen im Leben. Hier geht es um das Verhältnis.
Browns Statement ist auch deshalb so wichtig, weil es in eine Phase des Backlashes, also einer Gegenströmung, fällt. Fangen wir mal mit der Plattform an, auf der sie sich zur Wehr setzt: Instagram. Die gehört Mark Zuckerberg. Der faselt neuerdings von mehr "maskuliner Energie", die große Unternehmen seiner bescheidenen Meinung nach bräuchten.
Ich weiß nicht genau, was das sein soll: die Grundidee von Facebook? Also jener Plattform, die er am College entwickelte, und in deren Ursprungsversion Nutzern jeweils zwei Frauen angezeigt wurden, die sie dann nach ihrem Äußeren bewerten sollten? Oder meint Zuckerberg mit "maskuliner Energie" seine öffentliche Debatte mit Elon Musk darüber, ob sie sich vielleicht mal zum Raufen in einem Käfig treffen sollten? Oder die Tatsache, dass seine langjährige Top-Managerin Sheryl Sandberg quasi die Verantwortung für schlechte Zahlen bei Meta übernahm und ging, weil "Zuck" nach grandiosen Fehlentscheidungen einen Sündenbock präsentieren musste? Oder ist es mehr das rückgratlose Fahrenlassen aller angeblichen Prinzipien, das man bei Zuckerberg ab dem Zeitpunkt beobachten konnte, ab dem sich eine erneute Präsidentschaft von Donald Trump abzeichnete?
Das Netz ist ein Zerrspiegel
Trump. Der Präsident, von dem dieses Zitat stammt: "Wenn du ein Star bist, lassen sie dich alles tun. Du kannst alles tun [...] Ihnen an die Muschi greifen. Du kannst alles tun." Der wohlgemerkt nach dieser Aussage wiedergewählt wurde. Der im Verdacht steht, dass er den Influencer Andrew Tate sowie seinen Bruder Tristan in die USA einreisen ließ. Berühmt wurde Tate durch im Netz angepriesenen und verherrlichten Frauenhass. In Rumänien wird gegen die Brüder wegen des Verdachts auf Vergewaltigung und Menschenhandel ermittelt.
Seit ihrer Festnahme im Dezember 2022 konnten die beiden Männer Rumänien zunächst nicht verlassen. Schließlich erlaubten die rumänischen Behörden die Ausreise, beide haben die britische und die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Trump streitet ab, etwas mit der Einreise in die USA zu tun zu haben. Ob er lügt? Kann man nicht sagen. Wohl aber, dass es bei Weitem nicht das erste Mal wäre.
Mit einem geplanten Besuch bei den Tates, zu diesem Zeitpunkt weilten die misogynen Brüder noch in Rumänien, warb übrigens Maximilian Krah kürzlich für sich. Krah ist der Social-Media-Held der AfD – gerne erklärt er auf TikTok und anderswo mit dicker Zigarre in der Hand und viel Pomade im Haar, wie echte deutsche Männer sich benehmen. Er feiert damit große Erfolge. Krah, falls Sie sich nicht mehr erinnern, lieferte vergangenes Jahr als Spitzenkandidat für die Europawahl dermaßen viel Skandalträchtiges, dass es selbst seiner Partei zu bunt wurde: In der heißen Phase des Wahlkampfes durfte er nicht mehr auftreten, anschließend auch nicht der AfD-Gruppe im Europaparlament angehören.
Inzwischen ist Krah aber heimgekehrt in die Arme der Mutterpartei und sitzt nun für sie im künftigen Bundestag. In dem der Frauenanteil bei 32,4 Prozent liegen wird – nicht mal ein Drittel. Und das liegt nicht nur an der AfD-Fraktion.
"Wir sind zu einer Gesellschaft geworden, in der es so viel einfacher ist, Kritik zu üben, als ein Kompliment zu machen", schreibt Millie Bobby Brown. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Netz ein Zerrspiegel ist. Dass es für viele mickrige Männchen sehr viel einfacher ist, sich dort schäbig zu Wort zu melden, als im echten Leben, von Angesicht zu Angesicht, überhaupt mal die Zähne auseinanderzukriegen.
Überkommene Frauenrolle
Was wir aber gerade werden, ist eine Gesellschaft, in der Frauen ihren Einfluss teilweise wieder zu verlieren drohen. In der "Tradwives" erfolgreich sind: Frauen, die in Insta-Videos eine äußerst traditionelle, ich würde sagen, überkommene Frauenrolle propagieren. Wir sind eine Gesellschaft, in der zu viele den eigentlich so offensichtlichen Widerspruch nicht erkennen können oder auch nicht erkennen wollen: Dass da Frauen in der Zeit, in der sie sich angeblich doch aufgrund ihrer genetischen und sozialen Bestimmung um die Kinder kümmern und sich ihrem erwerbstätigen Mann unterordnen sollten, Videos drehen. Und sich damit, wenn es für sie gut läuft, ein aufwendiges Business aufbauen, das sie finanziell von ihren sich im Käfig raufenden Männern finanziell unabhängig macht.
Wir sind aber auch zu einer Gesellschaft geworden, in der sich Frauen wie Millie Bobby Brown zu Wort melden und kurz mal erklären können, was Sache ist. Das lässt mich hoffen.
- Eigene Meinung