Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Ärger um FDP-Mann Wie weit kommt dreist?
Ein FDP-Politiker sorgt mit einem fremdenfeindlichen Post für großen Ärger auf X. Der Ärger ist berechtigt – der Umgang mit dem Post jedoch kontraproduktiv.
Seit zwei Tagen sorgt ein Instagram-Post plattformübergreifend für große Aufregung. Es zeigt einen Mann, fotografiert in Schwarz-Weiß, um die 40, sehr kurze Haare, schwarzer Pulli, dunkles Sakko. Auf Brusthöhe ein Schriftzug: "Wir brauchen ein Aufnahmestopp aus muslimischen Ländern", ist da genau so zu lesen. "Aha", mögen Sie denken, "AfD". Nein, dieses Foto hat niemand aus der AfD gepostet. Nirgends findet sich die Farbe Blau. Das Zitat ist in Pink gehalten, und hinterlegt ist es in Gelb. Farben der FDP, die zum sogenannten Corporate Design gehören, also uns Lesern direkt signalisieren sollen: Das hier ist eine Nachricht der Liberalen. Der Mann, den wir dort sehen, ist ein FDP-Mann aus Mecklenburg-Vorpommern.
Zur Person
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf X – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. In ihrem Podcast "Hopeful News" spricht Diekmann jede Woche mit einem Gast über die schönen, hoffnungsvollen – einfach GUTEN Nachrichten. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz".
Seit Langem ist dieser Mann auch im eigenen Landesverband (darüber hinaus kannte ihn bis kürzlich so gut wie niemand) umstritten. Und obwohl er den Post bereits im August auf seinem Account veröffentlicht hat, ging dieses Foto jetzt so viral, dass prominente Liberale sich eiligst öffentlich distanzierten: Die frisch gebackenen Ex-Minister Marco Buschmann (Justiz) und Bettina Stark-Watzinger (Bildung) zum Beispiel haben sich mittlerweile sehr klar gegen dieses Posting positioniert, ebenso der stellvertretende Parteichef Johannes Vogel.
Vermutlich ein absichtlicher Fehler
Auch in meinen Timelines auf unterschiedlichen Plattformen tauchte dieses rassistische Zitat auf. Da ich mir gut aussuche, wem ich folge, gab es zu 99 Prozent sehr deutliche Gegenreden. Und den Hinweis, dass jemand, der "Wir brauchen ein Aufnahmestopp" schreibt, nicht nur Nachhilfe in Anstand, Gesetzgebung und der Programmatik der eigenen Partei benötigt, sondern in noch ganz etwas anderem: in deutscher Grammatik.
Ja, es müsste "einen Aufnahmestopp" heißen, wenn man so einen gruppenbezogen menschenfeindlichen Müll überhaupt aufschreiben muss. Nur: Was, wenn dieser Deutschfehler absichtlich gemacht wurde? Wenn er nicht Ausweis eines bemerkenswert schlechten Umgangs mit der eigenen Muttersprache ist, sondern des Beherrschens der Social Media-Regeln?
Innige Freundschaft zwischen AfD und FPÖ
Ich muss da an ein Gespräch denken, das ich kürzlich mit einem politisch seit vielen Jahren aktiven Österreicher führte. Es ging um die AfD. Und um die FPÖ. Zwischen den beiden herrscht eine enge Freundschaft, die vor allem AfD-Chefin Alice Weidel gern auf gemeinsamen Terminen mit FPÖ-Chef Herbert Kickl demonstriert.
Die FPÖ verfügt über jahrzehntelange Erfahrung: Gegründet in den Fünfzigerjahren von ehemaligen SS- und NSDAP-Leuten, also von strammen Nazis, war sie 1983 das erste Mal an einer österreichischen Bundesregierung beteiligt. Inzwischen war sie das fünfmal – und erlebt aktuell ihre bislang erfolgreichste Phase. Stärkste Kraft bei der Europawahl im Sommer, ebenfalls stärkste Kraft bei der Nationalratswahl im September – nach Wahlkämpfen, die wieder einmal zeigten: Populisten und Extremisten wissen, die sozialen Netzwerke zu nutzen. Eine Parallele zur AfD. Die FPÖ ist die ältere – und die erfahrenere Freundin in dieser Konstellation.
Ich fühlte mich ertappt
Diese Rolle nahm auch mein Gesprächspartner in unserem Dialog ein. "Ihr macht dieselben Fehler", sagte er mit freundlichem Bedauern in Stimme und Gesicht. "Jeder Rechtschreibfehler wird aufgespießt. Sobald Ihr etwas findet, was dumm ist, verbreitet Ihr es. Dadurch wirkt Ihr erstens arrogant, und zweitens: Ihr verbreitet es!" Ich nickte. Er fuhr fort: "Das wissen die. Die bauen die Fehler extra ein."
Ich nickte bedröppelt. Bedröppelt – und: ertappt. Im Geiste ging ich nämlich die Fälle durch, in denen ich exakt so verfahren war. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Ich habe lieber gar nicht erst nachgesehen, wie oft es war. Nennen Sie mich ungebrochen in meinem Urvertrauen, nennen Sie mich naiv, nennen Sie mich impulsiv – egal. Unterm Strich bleibt: Auf die Idee war ich noch nicht gekommen, dass jemand so was wie "Deutschland braucht die Wände jetzt!" im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und einer abgeschlossenen Schulbildung mit Absicht schreibt. Wie ich mich nennen würde? Nun, in diesem Kontext wohl ein bisschen zu gutgläubig.
Jetzt hat er 15 Minuten Ruhm
In eben diese Stimmung platzte nun also dieses Posting. Natürlich kann ich nur spekulieren. Ich kenne den Mann nicht, will ihn auch nicht kennenlernen und würde auch mal vermuten, dass ihm in seiner Partei keine große Karriere mehr bevorsteht. Und man sieht den Leuten ja ohnehin immer nur vor den Kopf. Eines aber hat geklappt: Sein Post wird netzwerkübergreifend geteilt. Und seien wir mal ehrlich: Der Inhalt ist widerwärtig – aber da sehen wir ja tagtäglich ganz andere Forderungen, Äußerungen, Entgleisungen. Damit noch wirklich Aufmerksamkeit zu erheischen, ist im Jahr 2024 – zumal auf X – fast unmöglich.
Ob es ihm hilft? Die Antwort ist sehr viel differenzierter als sein Text, der alle Muslime dieser Welt mit radikalen Islamisten gleichsetzt. Sie lautet: Kommt darauf an, was er will. Wenn es um die berühmten 15 Minuten Ruhm geht, die Andy Warhol uns allen einst in Aussicht stellte, dann hat der Mann alles richtig gemacht. Wer seinen jüngsten Post auf X liest, könnte meinen, exakt darum wäre es ihm gegangen: "Ein riesiges Dankeschön an alle Linken und Islamisten – ohne eure tatkräftige Empörung wäre mein Content nie so viral gegangen. Ihr seid die absoluten Helden des Algorithmus. Bleibt dran, weitere Beiträge sind in Arbeit", schreibt er dort.
Das kann man lesen als Posting von jemandem, der versucht, sein Gesicht zu wahren. Trotzdem ist auch uns allen ein Schaden entstanden: Eine solche inakzeptable Einlassung wird durch jemanden, der trotz allen Zwists die FDP repräsentiert, ein Stück weit salonfähiger. Ja, die Partei distanziert sich, und auch wenn man an der FDP genau so viel kritisieren kann wie an anderen Parteien: Sie ist bürgerlich. Aber: Sie hat so jemanden in ihren Reihen. Und wie schwierig es als Partei ist, Leute rauszuschmeißen, wissen wir ja.
Netzhelden von kurzer Dauer
Ansonsten gilt auch für ihn, was auch für so viele andere gilt: In den sozialen Medien durch die große Aufregung ein Held mit zweifelhafter Anhängerschaft geworden zu sein, bedeutet oft übertragen auf das echte Leben: überhaupt nichts. Das Schicksal teilt er mit anderen, auch prominenteren Politikern. Das lässt sich derzeit gut beobachten, da die Parteien ja nun ihre Listen für die vorgezogene Neuwahl aufstellen müssen: im Netz ein Held, innerparteilich erledigt – kein Einzelfall.
Wie so viele andere Maulhelden vor ihm könnte er am Ende derjenige sein, der in die Röhre guckt. Der auf keine Liste mehr kommt, der – wie bereits im Sommer geschehen – nicht mehr seiner Fraktion angehören darf. Aufmerksamkeit ist eben nicht gleich Aufmerksamkeit. Dass seine Parteispitze ihn nun kennt, dürfte ihm zum Beispiel eher zum Nachteil gereichen. Vielleicht war es wenigstens dafür gut.
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