Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Bundeskanzler auf TikTok Dieser Witz ist eine Blamage
Olaf Scholz ist jetzt bei TikTok und verspricht, dort nicht zu tanzen. Klingt lustig, ist aber in Wirklichkeit peinlich. Auf vielen Ebenen.
Altwerden ist bekanntlich nichts für Feiglinge, birgt aber durchaus auch Vorteile. Ich zum Beispiel freue mich jetzt schon darauf, dass das, was Mitmenschen aktuell als meine eher unangenehmeren Seiten bezeichnen, nach Überschreiten einer gewissen Altersgrenze als liebenswerte Schrullen durchgehen lassen werden. Die Nachsicht, mit der junge Leute auf ihre Omas und Opas blicken, seufzend und liebevoll akzeptierend – auf die hoffe ich. Dass ich einst als womöglich etwas wunderliche und immer weltfremdere ältere Dame liebgehabt werde.
Zur Person
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. In ihrem Podcast "Hopeful News" spricht Diekmann jede Woche mit einem Gast über die schönen, hoffnungsvollen – einfach GUTEN Nachrichten. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz".
Nun verbietet es mir meine gute Erziehung, unseren Bundeskanzler als Opa zu bezeichnen. Blickt man allerdings auf Olaf Scholz und TikTok, scheint sich unser Regierungschef bereits jetzt in der oben beschriebenen Lebensphase zu wähnen. Anders kann ich mir seinen Umgang mit der chinesischen Kurzvideo-Plattform beim besten Willen nicht erklären.
Das fängt schon damit an, dass Scholz seinen Start bei TikTok mit dem Versprechen versah, dort nicht zu tanzen.
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Dieser Witz ist dermaßen vorbei an der knallharten Realität, dass er kein Witz ist, sondern eine Blamage. Denn ja, so wurde TikTok berühmt: Als Plattform, auf der junge bis sehr junge Leute vor der Kamera tanzten. Während sich die anderen Parteien noch in aller Ruhe überlegten, ob sie das für lustig, peinlich oder eine vorübergehende Mode hielten, erkannte die AfD das Potenzial und baute sich unbehelligt eine riesige Reichweite auf TikTok auf. Also: bei den jungen Leuten. Bei den potenziellen Erstwählern. 21 Millionen Menschen nutzen TikTok hierzulande, schätzt die Bundesregierung. Und die AfD hat dort die Nase vorn – blamabel für alle anderen Parteien.
Es ist ein Muster erkennbar
Kommt Ihnen bekannt vor? Mir auch. Exakt dasselbe ist schon bei Facebook und später dann bei Twitter passiert. Sehr behäbig und sich erschrocken die Augen reibend, zogen CDU, CSU, SPD, Grüne, Linke und FDP dann irgendwann nach. Holten aber nicht auf. Zu viel Zeit hatten sie verstreichen lassen. Ein Muster.
Der Account des Kanzlers, sagt sein Sprecher nun, werde nicht per regulärem Diensthandy bestückt. Denn, wenigstens das hat man im Bundespresse- und auch im Kanzleramt mitbekommen: TikToks Eigentümer, das chinesische Unternehmen Bytedance, dürfte wohl kaum ohne Einflussnahme des Regimes in Peking operieren. Unsere Daten in den Händen der KP – ein Albtraum. Eine kluge Entscheidung also vom Kanzleramt.
Gleichzeitig ist dieser Spagat aber auch das Eingeständnis, auf China und seine Märkte – und eben auch seine digitalen – nicht verzichten zu können. Das Reich der Mitte ist zu groß, um sich ihm nicht anzubieten. Aber es ist auch zu skrupellos im Umgang mit zum Beispiel Daten oder auch Menschenrechten, um sich ihm vollständig auszuliefern. Es ist ein Abwägen zwischen wertegeleiteter Politik und Realpolitik. Mit klarer, zwangsläufiger Tendenz zu Letzterer.
In den USA läuft eine Debatte über die Zerschlagung von TikTok
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat es kürzlich mit seiner China-Reise unfreiwillig dokumentiert: Wie klein so mancher sich inzwischen zu machen bereit ist, um vom mächtigen Riesen auch nur zur Kenntnis genommen zu werden. Um zumindest einen Fitzel des Glanzes auf sich zu lenken, etwas abzukriegen vom großen Kuchen. Nachzuverfolgen war diese Reise übrigens auf Söders Instagram-Account, der zum US-amerikanischen Meta-Konzern gehört – genauso wie Facebook und WhatsApp.
In den USA läuft übrigens gerade eine Debatte über die Zerschlagung von TikTok. Einig wie selten versuchen Demokraten und Republikaner alles, Eigentümer Bytedance unter Druck zu setzen. Finden sich keine neuen, von der chinesischen Regierung möglichst weit entfernten Besitzer, so die Ankündigung, werde man TikTok in den USA verbieten.
Mehr Symbolik als zu Ende gedachter Plan
Wie realistisch ein solches Szenario überhaupt ist und wie sehr dem laufenden Wahlkampf geschuldet, ist natürlich eine wichtige Frage. So wie auch die, wie viel Sinn das ergeben würde. Man muss kein technisches Genie sein, um solche Sperren zu umgehen. Vieles spricht dafür, dass es sich mehr um symbolisches Getöse handelt als um einen zu Ende gedachten Plan.
So oder so aber sind die USA Lichtjahre weiter. Dort weiß die Politik längst ganz offensichtlich bestens um die Bedeutung von TikTok – im Guten wie im Schlechten. Sonst würde sie die reine Drohung, es zu verbieten, nicht so hoch ziehen – unabhängig davon, ob sie es ernst meint oder lediglich für ein Thema hält, das im Wahlkampf zieht. Hierzulande aber dämmert den politisch Handelnden gerade erst, dass die Plattform ja durchaus Potenzial bietet.
Eindrücklicher kann man kaum demonstrieren, wie abgehängt man ist. Wie altbacken. Na ja, wenigstens bekommen es jetzt auch die jungen Leute mit.
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