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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Friedrich Merz Hat er sich noch im Griff?
Friedrich Merz ist in einer Talkshow mal wieder über das Ziel hinausgeschossen. Doch er selbst ist nicht sein einziges Problem auf dem Weg zur Kanzlerschaft.
Friedrich Merz ist angetreten als Gegenentwurf zu Angela Merkel: als "Klare Kante auf zwei Beinen". Als Konservativer, der es schafft, die CDU zu einen und die AfD zu halbieren und der die Union nach vier Jahren in der Opposition triumphal wieder dorthin führt, wo sie ihrer Ansicht nach eigentlich permanent hingehört: ins Kanzleramt.
Tja. Heute, nicht mal zwei Jahre nach seiner Wahl zum CDU-Chef, ist von diesem Image nicht viel übrig. Stattdessen wachsen die Zweifel: an Merz' innerem Kompass, an seiner Integrationsfähigkeit und an seinem Gefühl für den Puls der Zeit. All das lässt das Ziel in immer weitere Ferne rücken und das Fragezeichen wachsen: Kann Merz Kanzler?
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich, ihr Blog findet man hier. Außerdem ist sie Co-Host des Podcasts "Gegen jede Überzeugung".
Ja, sogar eine Entscheidungsstufe vorher setzen die Zweifel inzwischen an: Könnte Merz sich überhaupt gegen andere CDU-Interessenten durchsetzen? Auch das wird diskutiert.
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Drei Problemfelder zeichnen sich immer deutlicher ab, die Merz' Traum vom Kanzleramt vereiteln könnten:
Problem Nummer 1: Friedrich Merz
Ob es die "Paschas" sind, die in Klassenzimmern sitzen. Die "Sozialtouristen", mit denen Merz vor dem Krieg fliehende Ukrainer meinte. Oder nun seine jüngste Aussage, wonach abgelehnte Asylbewerber den Deutschen ihre Arzttermine wegnehmen: Immer wieder fällt Merz auf mit Äußerungen, die für riesigen Zoff sorgen. Auch innerhalb der CDU.
Nun zeichnet sich da durchaus ein Muster ab – allerdings nicht unbedingt das gewünschte: Denn statt eines kantigen Merz, der strittige und provokative Aussagen im Kontext mit Asyl und Migration platziert und sich damit als Counterpart zur "Wir schaffen das"-Merkel positioniert, sieht man eher einen, der nach solchen Ansagen zurückrudert, sich entschuldigt. Statt immer wieder mit Hardliner-Positionen zu überraschen, wirkt Merz eher zuverlässig – und zwar zuverlässig schwammig.
Ständig muss die Parteizentrale die Aussagen des Chefs erklären und entschärfen. Merz steht mittlerweile für einen diskursiven Schlingerkurs, bei dem selbst erfahrenen Parabelfliegern schlecht werden dürfte.
Problem Nummer 2: Social Media
Wir schreiben 2023, und obwohl Deutschland noch immer so analog ist, dass es weh tut: Selbst die CDU hat inzwischen erkannt, dass dieses Internet nicht mehr weggeht und dass man diese "jungen Leute" dort am besten erreicht. Bloß beim "Wie" – da fehlt es offensichtlich noch an schlüssigen Konzepten. Denn es ist eine sensationell, ich wiederhole: sensationell dämliche Idee, Merz' Talkshow-Auftritt vom Mittwoch zu posten – vor allem, wenn man die Aussage rausgeschnitten hat, die für den jüngsten Wirbel um Merz sorgt: Dass abgelehnte Asylbewerber den Deutschen ihre Zahnarzttermine wegnehmen.
Niemand muss alles veröffentlichen, was der Parteivorsitzende irgendwo sagt, die CDU ist ja nicht die KP. Aber wenn man es tut, dann sollte man vorher bitte im Jahr 2023 angekommen sein. Newsflash: die Adenauer-Jahre sind schon etwas länger vorbei. Nichts versendet sich mehr. Das Originalvideo ist doch längst im Umlauf.
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Und wenn dann ein Video mit diesem Schnitt um die Ecke kommt, wissen alle, was da rausgeschnitten wurde. Und jedem ist klar, warum: "Wir tun lieber so, als hätte er es nicht gesagt." Die Aufmerksamkeit im Netz hat die CDU da sicher – allerdings deshalb, weil man sich dort über dieses mediale Gestümpere geballt lustig macht. Auch diejenigen, die Merz’ Aussage in ihrer Kernbotschaft teilen mögen, sehen auf den ersten Blick: Diese Partei hat ihre Lebenswirklichkeit null verstanden. Warum sollten sie ausgerechnet die wählen?
Problem Nummer 3: Die CDU in Thüringen
Eigentlich sieht die CDU in Thüringen ja wie ein prima Alliierter im Kampf um das Kanzleramt aus: Sie hat ein Herz für Häuslekäufer und -bauer, sorgt sich um Familien und den Mittelstand – also senkt sie die Grunderwerbsteuer. Dass sie dafür unter anderem die Stimmen der thüringischen AfD-Landtagsfraktion mit Ansage in Kauf nahm – okay, das ist ärgerlich. Schließlich gilt die AfD in Thüringen als gesichert rechtsextrem. Ebenso ihr Chef.
Aber: Die Landesregierung sperrte sich, die Initiative ging von der CDU aus – soll man da ein so wichtiges Anliegen wie das Wohl hart und ehrlich arbeitender Bürger einfach so aufgeben?
Merz hatte der Abstimmung im Vorfeld seinen Segen erteilt, und ihm sprangen im anschließenden Sturm der Empörung seine Vizes wie die schleswig-holsteinische Kultusministerin Karin Prien zur Seite. Einzelfall, Abwägung – so lautete die Argumentationslinie. Die Brandmauer zur AfD stehe weiterhin unumstößlich.
Nur bahnt sich bereits der zweite "Einzelfall" an: Die CDU in Thüringen möchte nämlich das Gendern verbieten. Und wäre dabei erneut auf die radikale AfD angewiesen – die den Kampf gegen das Gendern bereits vor längerer Zeit für sich entdeckt hat. Das Adenauer-Haus ist klar gegen diese erneute gemeinsame Abstimmung. Thüringens Landes-CDU-Chef Mario Voigt lässt sich bisher aber nicht davon abbringen. 2024 wählt Thüringen, die AfD führt die Umfragen an.
Friedrich Merz dürfte das mit Unbehagen beobachten. Er wäre nicht der erste Parteichef, der über den Landesverband und die immer schwierigere Frage des Umgangs mit der AfD stürzt: 2021 musste Annegret Kramp-Karrenbauer gehen. Sie hatte den Machtkampf gegen die Thüringer verloren. Die hatten für den FDP-Mann Thomas Kemmerich als Ministerpräsidenten gestimmt. Gemeinsam mit der AfD.
Merz gegen Merz – hat er sich selbst ausreichend im Griff?
Was also lernen wir daraus für die Kanzlerchancen von Merz? Noch ist nicht alles verloren. Thüringen ist zugegebenermaßen eine komplizierte Baustelle. Da macht man seit Jahren, was man will.
Die Social-Media-Leute in Partei und Fraktion in den Griff zu kriegen, dürfte deutlich einfacher sein. Bisschen gute Laune, bisschen Schulung, bisschen Vertrauen, dann wird das Ganze vielleicht sogar hilfreich für Merz und seine CDU.
Stellt sich zum Schluss die Frage, wie gut Merz sich selbst in den Griff kriegt. Die kann nur er selbst beantworten. Vielleicht ja sogar unmissverständlich. Es wäre ein Anfang.
- Eigene Recherche