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Til Schweiger profitiert – auf Kosten der Gesellschaft


Meinung
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Nach Wirbel um Bild
Wie Til Schweiger PR mit Corona-Schwurblern macht

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

Aktualisiert am 16.06.2021Lesedauer: 4 Min.
Til Schweiger (links) und Boris Reitschuster: Der gezielte Tabubruch nutzt dem Schauspieler.Vergrößern des Bildes
Til Schweiger (links) und Boris Reitschuster: Der gezielte Tabubruch nutzt dem Schauspieler. (Quelle: imago-images-bilder)

Til Schweiger erntet einen Shitstorm nach einem Foto, das ihn und einen umstrittenen Mann zeigt, der als Journalist arbeitet. Knallhartes Kalkül, meint unsere Kolumnistin – mit Erfolgsgarantie. Leider.

Sie werden es selbst erlebt haben: Corona hat mein Bild von einigen Menschen zerstört. Ganze Sequenzen sind kaputtgegangen. Die Freundin etwa, die jeden der seltenen Besuche ihres Hunderte Kilometer weit entfernt lebenden Vaters mit Augenrollen kommentierte. Die alten Leute! Langweiliges Palaver, stundenlanges Rumsitzen bei Kaffee und Kuchen – nervige Pflichttermine im ansonsten mit gesellschaftlich hippen Highlights gespickten Kalender.

Eben diese Frau entdeckte Anfang des Jahres plötzlich nicht ihr Herz, sondern: eine möglicherweise klaffende Lücke auf der Überholspur auf der Autobahn – nun gut, bleiben wir realistisch – Landstraße in Richtung Impfung, auf der die meisten von uns sich noch immer befinden.

Sie könne ihren Vater doch pflegen, erzählte sie grinsend, aber dafür müsse natürlich geimpft werden. Zwinker, zwinker. Sofort!

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politik-Berichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie bereits Zehntausende Fans hat. In ihrer Kolumne auf t-online filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet.

Die Pflege hätte sich wohl auf das Abstauben der Koffer erstreckt, die der plötzlich mit großer Fürsorge beschenkte, topfitte ältere Herr am Ende von Corona vom Dachboden holen wird – vorher war er nämlich äußerst reiselustig und oft wochenlang in der Weltgeschichte unterwegs. Aber dieses Opfer hätte seine Tochter auf sich genommen. (Hätte, ihr abgebrühter Plan scheiterte.)

Erst Maskenbefreiungsattest, dann Impfung erschleichen

Oder der ehemalige Schulfreund, Veranstaltungstechniker, der von Anfang an der Meinung war, Corona wäre Unsinn, fast alle Wissenschaftler Vollidioten und die Politik sowieso durch die Bank korrupt, arbeitsscheu, unzurechnungsfähig. Der sich per Attest vom Maskentragen befreien ließ und aktuell auf der Suche nach einem Arzt ist, der ihm bescheinigt, bereits an Corona erkrankt gewesen zu sein, sodass er nur noch eine Impfung braucht. Die hätte er dann nämlich doch ganz gern.

Die beiden werden auf meinen nächsten Geburtstagsfeiern wohl fehlen. Oder, präziser: Auf der Einladungsliste.

Mein Bild von Til Schweiger hingegen hat sich während Corona nicht nennenswert verändert. Zwar tat er die Berichte von Christian Drosten oder Karl Lauterbach über die Morddrohungen gegen sich als "Rumgeheule" ab und lobte den schwedischen Sonderweg. Ja klar, ein paar Menschen mehr sind dort an Corona gestorben, aber nun, Til Schweiger ist auch durch die Hölle gegangen!

Til Schweiger inszeniert sich als Opfer der Corona-Pandemie

Arbeit – gestrichen! Die eigenen Restaurants – geschlossen! Das Hamburger Zuhause – ok, mit Garten. Aber trotzdem! Und: die Haare! Die Haare! Dermaßen zauselig wuchs die Pracht im Shutdown, dass er – Schweiger-Sonderweg – "ausbrechen" musste nach Berlin, wo seine Maskenbildnerin bei seinem Anblick nur noch stammeln konnte: "Til, du brauchst einen neuen Haarschnitt. Sofort!"

Hölle!

Nun also hat sich Schweiger mit Boris Reitschuster bei Instagram präsentiert. Und ihn dort gelobt. Die Aufregung ist groß.

Warum? Weil Reitschuster ein rechter Blogger ist, der sich selbst als Journalist bezeichnet (und abgesehen davon, dass sich jeder so nennen kann, tatsächlich mal Moskau-Korrespondent des "Focus" war) und erhebliche Zweifel daran schürt, das Berufsethos zu pflegen.

Reitschuster nimmt auf Anti-Corona-Demos Geld entgegen

Reitschuster fällt vor allem auf durch das Verbreiten schwieriger Thesen. Er hat es geschafft, dass Twitter seine Tweets rund um Corona mehrfach mit Warnhinweisen versehen hat – Desinformation – und YouTube auch schon mehr als einmal aus demselben Grund seinen Kanal abstellte. Das ist gemessen am laxen Umgang der Plattformen und Reitschusters nun doch eher schmaler Prominenz eine reife Leistung.

Reitschuster nimmt, wie er sagt, beruflich, an Anti-Corona-Demos teil – und dort auch schon mal Geld von Demonstranten entgegen. Reitschuster heizt überdies die Stimmung gegen diejenigen, deren Berufskollege er sein möchte, in seinem Blog gar immer wieder an. Er hat sich dort und in den sozialen Medien eine Gefolgschaft erarbeitet, die mit Hass und Hetze nicht zimperlich umgeht.

Nach einem von ihm initiierten Zwischenfall in der Bundespressekonferenz (BPK) sah sich der BPK-Vorstand gezwungen, juristisch gegen Kommentatoren vorzugehen, die auf Reitschusters Blog gewütet hatten. Durch Leute wie Reitschuster haben sich Ton und Atmosphäre in der BPK dermaßen verschoben, dass einige Mitglieder sich zum Verfassen eines offenen Briefs veranlasst sahen. (Aus Transparenzgründen: Ich bin auch Mitglied der Bundespressekonferenz und habe mit unterzeichnet.)

Schweiger mag Reitschuster – und profitiert davon vermutlich

Til Schweiger mag Boris Reitschuster also. Und wissen Sie was? Es wird Schweiger nicht schaden. Der weiß doch inzwischen, wie der Hase läuft, egal, ob und falls ja, wie viele Ohren der besitzt. Schweiger spielte schon lange vor Corona weltweit ganz oben mit in der "Erst mal einen raushauen, dann nachdenken, dann eventuell zurückrudern"-Liga. Es wird seinem Erfolg keinen Abbruch tun.

Im Gegenteil: Auch ohne aktuellen Film ist er im Gespräch – diese Kolumne trägt einen Teil dazu bei, keine Frage. Die Art und Weise, wie er sich präsentiert hat, passt zu seinem Image – auch nicht ganz unwichtig – inhaltlich bleibt er sich selbst treu. Und: Er hat seine eigene Marke gesetzt und sich nicht eingereiht, so wie andere Schauspieler es bei der "Alles dichtmachen"-Aktion getan haben. Schweiger spielt die Hauptrolle.

Apropos "Alles dichtmachen": Schauen Sie sich mal den Wirbel um Initiator Jan Josef Liefers an. Und dann die Quoten seines anschließend ausgestrahlten Tatorts. Mhm. Wie der Wendler sagen würde: "Egal!"

Schweiger nutzt sich selbst und schadet der Gesellschaft

Auch Schweiger muss keine Zuschauereinbrüche befürchten. Seine Produktionen sind nicht politisch, sein Publikum hat sich bisher ja auch nicht an seinen Einfällen für kalkulierte Ausfälle gestört.

Sich selbst dürfte Schweiger also keinen Schaden bereitet haben. Ob er der Gesellschaft einen Gefallen tut, indem er Leute wie Reitschuster adelt – ich bin mir sicher, meine Antwort kennen Sie.

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