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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Elon Musk kauft Twitter Bringt er jetzt Donald Trump zurück?
Die Nachricht von Elon Musks Twitter-Übernahme sorgt für Kontroversen. Dabei gibt der reichste Mann der Welt vor, die Wut im Netz heilen zu wollen. Was ist zu befürchten und was ist zu hoffen?
Über seinen neuesten großen Schatz sprach der reichste Mann der Welt schon vor rund zwei Wochen im kanadischen Vancouver bei der Innovationskonferenz TED. "Twitter ist de facto zu einer Art Marktplatz geworden", sagte Tesla-Chef Elon Musk über jenen Kurznachrichtendienst, den er nun für 44 Milliarden US-Dollar kaufen wird. Es sei sehr wichtig, fuhr er fort, dass die Menschen auf diesem Marktplatz frei sprechen könnten.
Der reichste Mann der Welt hat schon länger den Eindruck, dass die freie Rede in Gefahr ist. Schon oft kritisierte der gebürtige Südafrikaner, der Twitter-Konzern gehe zu harsch und zu intransparent mit den von den eigenen Nutzern geteilten Inhalten um. Insbesondere rechtskonservative Nutzer beschwerten sich in der Vergangenheit immer wieder über rigide Restriktionen der Plattform.
Kehrt Trump nun zu Twitter zurück?
Einer der prominentesten von ihnen ist ohne Zweifel Donald Trump. Der ehemalige US-Präsident wurde im Zuge der gewaltsamen Erstürmung des Kapitols in Washington am 6. Januar 2021 von dem sozialen Netzwerk dauerhaft gesperrt. Der Grund: Trump hatte maßgeblich über Twitter den illegalen Aufstand gegen die Ernennung seines gewählten Nachfolgers Joe Biden befeuert.
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Jetzt also wird Elon Musk als selbst erklärter "Absolutist der freien Rede" Twitter kaufen. Und eine der drängendsten Fragen der Follower aus dem Lager Trumps lautete: Wird Donald Trump nun auf die Plattform zurückkehren? Viele andere Menschen hingegen sorgen sich, dass Musk seinen Kampf für die freie Rede nur vorschieben könnte, um öffentliche Diskurse in eine gefährliche Richtung zu verschieben, in der es quasi vom neuen Eigentümer erwünscht sein könnte, Mobbing, Gewalt und Hass ungehindert zu verbreiten.
Aber wird es dazu wirklich kommen?
Donald Trump will fernbleiben
Zumindest Trump scheint sich nicht so einfach aus seiner Schmollecke bewegen zu lassen. Als er vom US-Fernsehsender Fox News gefragt wurde, ob er denn nun, nachdem Elon Musk Twitter übernehmen werde, zurück auf die Plattform wolle, antwortete er: "Ich werde nicht zu Twitter gehen. Ich werde bei 'Truth' bleiben."
Trump hatte vor rund drei Monaten sein eigenes Netzwerk mit dem Namen "Truth Social" gestartet, das bislang allerdings wenig erfolgreich ist und noch reichlich unausgegoren wirkt. "Ich hoffe", so der ehemalige US-Präsident weiter, "Elon kauft Twitter, weil er Verbesserungen daran vornehmen wird und er ein guter Mann ist". Er selbst aber betonte noch einmal, er wolle nicht dorthin zurückkehren. Sollte Trump wirklich ins Rampenlicht einer Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2024 streben, dürfte ihm allerdings kaum etwas anderes übrig bleiben, als wieder zu twittern. Vorausgesetzt, Musk lässt ihn.
Gesetze gelten auch für Elon Musk
Die Angst davor, Elon Musk könnte Twitter nun in eine unregulierte Hölle verwandeln, scheint sich derweil zumindest vorerst nicht zu bewahrheiten. Denn auch der Tesla-Chef muss sich als neuer Twitter-Eigentümer an das Gesetz halten. Sowohl in den USA als auch in der Europäischen Union, wo der gerade erst verabschiedete Digital Services Act (DSA) neue schärfere Regeln für digitale Plattformen zum Löschen illegaler Inhalte beinhaltet.
Elon Musk weiß das natürlich. Bei der TED-Konferenz in Vancouver vor zwei Wochen sagte er es selbst: Die Menschen auf dem Twitter-Marktplatz sollen frei sprechen können – "solange sie sich dabei innerhalb der Grenzen der Gesetze bewegen". Musk schwebt allerdings ein anderer Weg vor, um dieses Gesetz auch durchsetzen zu können. Er will laut eigenen Aussagen die bislang geheimen Algorithmen veröffentlichen, sodass jeder transparent nachvollziehen könne, was Twitter macht. Bots, also künstlich programmierte und anonyme Accounts, will Musk bekämpfen, unter anderem, indem menschliche Nutzer künftig eindeutig identifiziert werden sollen. Die Sorge vor einem gänzlich gesetzlosen Twitter scheint somit unbegründet.
Amazon-Chef raunt von China
Ausgerechnet Musks Weltraumkonkurrent, der Multimilliardär und Amazon-Chef Jeff Bezos, teilte hingegen eine ganz andere Sorge mit: "Hat die chinesische Regierung gerade ein wenig Einfluss auf den Marktplatz erlangt?", twitterte er und verwies auf Teslas Abhängigkeit vom chinesischen Absatzmarkt und den dortigen Batteriefabriken.
Twitter, so der implizite Vorwurf, könnte über Musks Tesla durch China erpressbar werden und unliebsame Äußerungen unterdrücken. Es ist eine Sorge, die viele Journalisten und verschiedene Experten ebenfalls äußerten.
Es bleibt allerdings ein heikler Vorwurf des Amazon-Chefs, nicht zuletzt weil dieser selbst mit Vorwürfen zu kämpfen hat, chinesische Propaganda zu fördern. Und auch Bezos ist quasi in Besitz eines Meinungsmediums. Er hatte 2013 die renommierte und als liberal geltende "Washington Post" gekauft. Klar ist: Für die Gesetzgeber sowie die Wettbewerbs- und Kartellbehörden wird die Arbeit mit dem Kauf von Twitter durch Elon Musk nicht weniger. Die Machtkonzentration der Monopolisten nimmt immer weiter zu.
Streitbar oder reaktionär?
Der Charakter von Twitter dürfte sich mit seinem neuen Besitzer aber trotzdem ändern. Auf Musks Marktplatz werden künftig wohl wieder mehr Marktschreier unterwegs sein. Viele haben das kurz nach der Nachricht bereits unter Beweis gestellt. Mit Elon Musk bekommt Twitter zudem einen Eigentümer, der selbst extrem meinungsstark und daher umstritten ist. Vor wenigen Monaten glaubte er, einen gelungenen Witz zu machen, als er den kanadischen Premierminister Justin Trudeau im Zuge der Trucker-Proteste gegen die Covid-19-Restriktionen mit Adolf Hitler verglich.
Eine Antwort der Gedenkstätte des Vernichtungslagers Auschwitz machte deutlich, wie daneben die Äußerung für viele gewesen ist: "Das Bild von Adolf Hitler zu verwenden und damit die Tragödie aller Menschen auszunutzen, die durch das von ihm geschaffene totalitäre Regime Nazi-Deutschlands gelitten haben, gedemütigt, gefoltert und ermordet wurden, ist traurig und beunruhigend. Es missachtet die Erinnerung an alle Opfer und verletzt viele Menschen."
Zuletzt ärgerte sich Elon Musk über einen anderen reichen Mann. Weil Bill Gates offenbar auf fallende Kurse von Tesla setzte, twitterte Musk ein Bild von Gates, das den 66-jährigen Microsoft-Gründer mit einem dicken Bauch zeigt. Daneben das Emoji eines schwangeren Mannes. Viele empfanden das als extrem geschmacklos und beschuldigten Musk einerseits, Gates wegen Äußerlichkeiten zu diskriminieren. Andererseits wurde ihm vorgeworfen, sich auf Kosten von Transgender-Menschen lustig zu machen.
Musks Lust am Kulturkampf
Tatsächlich scheint es Musk ein Anliegen zu sein, in solchen Kulturkämpfen kräftig mitzumischen. Zuletzt bekam das die Videoplattform Netflix zu spüren. Deren Verlust von 20 Prozent an Abonnenten sei damit zu erklären, dass die Inhalte zu "woke" seien, also zu politisch korrekt. Wokeness sei im Sinne einer übertriebenen politischen Korrektheit gar "ein Virus", der Netflix schlicht nicht anschaubar mache, so Musk.
Damit stellt er sich als neuer Twitter-Eigentümer in eine Phalanx, die in den USA derzeit für große Unruhe sorgt, insbesondere bei gesellschaftlichen Minderheiten. Der Applaus für Musks Twitter-Coup kam jedenfalls auffällig häufig aus ebenjener gesellschaftlichen Ecke, die lautstark gegen angebliche Indoktrination wettert.
Für queere Menschen und für Afroamerikaner, aber auch für Frauen ist unter der Begründung eines Abwehrkampfes gegen eine vorgebliche politische Korrektheit in zahlreichen US-Bundesstaaten derzeit ein reaktionärer Schub zu beobachten. Mal sind es Abtreibungsgesetze, mal Versuche, die gleichgeschlechtliche Ehe abzuschaffen, mal sind es Gesetz wie in Florida, die es verbieten sollen, Kinder über Rassismus oder über Sexualitäten aufzuklären. Die Vertreter solcher Ansichten erhoffen sich von Elon Musk nun ein Twitter, das ihrer politischen Sache dienen wird. Der Tesla- und baldige Twitter-Eigentümer wird sich nun auch daran messen lassen müssen.
- Eigene Recherchen