Künstliche Intelligenz So verteidigt die Bundesregierung ihre KI-Strategie
In der Strategie für künstliche Intelligenz kommen aktuelle Trends wie "Deep Learning" gar nicht oder nur am Rande vor. t-online.de hat Kanzleramtschef Helge Braun gefragt, was sich die Bundesregierung dabei gedacht hat.
Künstliche Intelligenz (KI) gilt als Schlüsseltechnologie der Zukunft. KI-Anwendungen erobern nahezu jeden Lebens- und Politikbereich und sorgen schon jetzt für große, nicht immer positive Veränderungen (siehe Kasten). Mit einer nationalen KI-Strategie will die Bundesregierung die Entwicklung in die richtigen Bahnen lenken und Technologien aus Deutschland gezielt fördern.
"Ein Blick in die USA oder nach China zeigt: Der weltweite Wettbewerb beschleunigt sich rasant", sagt Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) auf Anfrage von t-online.de. "Jetzt entscheidet sich, wer bei dieser Zukunftstechnologie führend sein wird." Um zu verhindern, dass Deutschland im internationalen Wettbewerb abgehängt wird, will die Bundesregierung insgesamt drei Milliarden Euro in die Forschung, Entwicklung und Anwendung von KI-Technologien stecken.
Künstliche Intelligenz: ein Zukunftsthema in jedem Lebensbereich
In unserem digitalen Alltag spielt künstliche Intelligenz schon lange eine Hauptrolle. Algorithmen in Onlineshops und sozialen Netzwerken studieren das Verhalten der Nutzer, um interessante Angebote anzuzeigen. Moderne Smartphone-Kameras schießen bessere Fotos, weil sie das Motiv erkennen und automatisch die besten Einstellungen wählen. Sprachassistenten und Chatbots beantworten unsere Fragen und führen Befehle aus. Auch in der analogen Welt profitieren wir von den Fähigkeiten selbstlernender Systeme. Rasenmäher- und Saugroboter finden von allein ihren Weg. Intelligente Einpark- und Spurhalteassistenten unterstützen Autofahrer in der Stadt und auf der Autobahn. Der Sprung zum selbstfahrenden Robotertaxi ist nicht mehr groß.
Dass menschliche Mitarbeiter zumindest teilweise durch Maschinen ersetzt werden, scheint unvermeidlich. Experten rechnen jedoch eher mit einer Umverteilung der Arbeit statt mit Massenarbeitslosigkeit. Computer und Roboter können Aufgaben erfüllen, die für Menschen ohnehin zu schwer oder gefährlich sind, sei es in Logistikzentren, in der Pflege oder beim Militär.
Polizei und Geheimdienste interessieren sich zudem für Systeme zur automatischen Gesichtserkennung und Verbrechensbekämpfung durch Vorhersagen ("Predictive Policing"). Auch in der Medizin verspricht die KI-Forschung Lösungen für schwierige Probleme. Diagnose-Software kann zum Beispiel zur Früherkennung von Alzheimer oder Krebs eingesetzt werden und so Leben retten.
Dabei will sich die Bundesregierung jedoch nicht auf bestimmte Forschungsfelder oder Spezialgebiete wie "Deep Learning" festlegen. "Erfolgreiche Ansätze aus der Forschung – etwa im Bereich des maschinellen Lernens – wollen wir rasch in die Anwendung bringen", sagt Braun. "Eine Eingrenzung auf aktuell genutzte Methoden würde aber den Blick auf neue Forschungsergebnisse und Entwicklungen verstellen." Die KI-Strategie sei daher bewusst "breit angelegt".
Der KI-Experte Florian Gallwitz von der Technischen Hochschule Nürnberg hält das für einen großen Fehler. Seiner Ansicht nach liegt die Zukunft der künstlichen Intelligenz in der Weiterentwicklung von künstlichen neuronalen Netzen und selbstlernenden Systemen. Auf diesen Gebieten wurden in den vergangenen Jahren große Fortschritte erzielt, während andere Ansätze gescheitert seien. "Es gibt keinerlei Anlass anzunehmen, dass eine komplett neue Technik um die Ecke kommen könnte, die noch besser funktioniert", sagte der KI-Experte im Gespräch mit t-online.de.
Besonders sogenannte "Deep Learning"-Ansätze seien vielversprechend. In der KI-Strategie der Bundesregierung werde der Begriff auf 47 Seiten aber kein einziges Mal erwähnt. Stattdessen wolle die Regierung Technologien und Konzepte fördern, "die zum Teil schon vor 30 Jahren als veraltet galten".
Laut Bundeskanzleramt wurde das Strategiepapier mit der Unterstützung der Beratungsagentur Roland Berger und unter der Beteiligung von ausgewiesenen KI-Experten verfasst. Dazu gab es im Vorfeld einen Beratungsprozess. Dieser bestand aus sechs Expertenworkshops und einem Onlineverfahren, in dem Verbände, Unternehmen, Organisationen und Institutionen schriftlich Stellung nehmen konnten. Namen von Teilnehmern nannte Braun nicht.
"Wir wollen Deutschland zu einem weltweit führenden Standort für die Entwicklung und Anwendung von KI-Technologien machen", so das erklärte Ziel der Bundesregierung. "Dafür stärken wir die Forschung, investieren in die Ausbildung künftiger KI-Expertinnen und Experten und unterstützen Unternehmen bei der Nutzung von KI", sagt Braun.
Unter anderem sollen 100 Professuren geschaffen werden. "Das erfordert aber einen gewissen zeitlichen Vorlauf", warnt Gallwitz. "Man kann sich die Experten für neuronale Netze ja nicht backen."
Kanzleramtschef Braun gibt sich dennoch optimistisch. Der Bedarf an Spitzenpersonal im Bereich KI sei weltweit "eine Herausforderung", sagt er. Das Land habe aber "eine vergleichsweise gute Ausgangsposition". Denn: "Deutschland ist ein attraktiver Arbeits- und Lebensort für Spitzenfachkräfte aus der ganzen Welt", so Braun.
- Eigene Recherche