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Verteidigungsministerium schweigt
Bundeswehr-Personenschützer unter Extremismusverdacht

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand und Lars Winkelsdorf

Aktualisiert am 10.09.2022Lesedauer: 7 Min.
"Nordbund": Ein Ex-Soldat mit besten Verbindungen in die Neonazi- und die Rocker-Szene sammelt Kampfsportler und Soldaten um sich, ein Personenschützer der Bundeswehr ist enger Vertrauter.Vergrößern des Bildes
"Nordbund": Um einen Ex-Soldaten mit besten Verbindungen in die Neonazi- und Rockerszene sammelten sich Kampfsportler und Soldaten. Das Foto entstand bei einem Treffen.
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Brisante Operation des Militärischen Abschirmdienstes: Der MAD fürchtete Gefahr von Personenschützern, die die Bundeswehrspitze schützen sollen.

Ein bestens ausgebildeter Soldat, der Personenschutz auf höchster Ebene leistet, wird plötzlich versetzt und soll von nun an eher Hilfsarbeiten verrichten. Und er ist nicht der Einzige, auch anderen Elitesoldaten geht es so.

Es muss also etwas passiert sein. Nur was?

Nach exklusiven Informationen von t-online steht die Bundeswehr vor einem möglichen neuen Rechtsextremismus-Skandal. Diesmal ist der Fall besonders brisant: Haben womöglich gut vernetzte Rechtsextreme die Verteidigungsministerin, ihre Staatssekretäre und Generäle zu den oft sehr vertraulichen Terminen begleitet? Hing ihr Leben im Zweifel davon ab, ob ein Gegner des demokratischen Gemeinwesens sich schützend vor sie wirft?

Der Militärische Abschirmdienst (MAD) ist sehr wortkarg und das Ministerium mauert, wenn man Fragen zu Ereignissen am 9. März und den Tagen und Wochen danach stellt. Es geht um Befragungen und Durchsuchungen, die es "mit Schwerpunkt" Hannover gab, aber offenbar auch im Landkreis Rotenburg (Wümme) und in Bruchsal. An dem kalten Märzmorgen fahren in mehreren Kasernen Fahrzeuge des Militärischen Abschirmdienstes Autos der Feldjäger voraus.

Die folgenden Befragungen haben etwas zu tun mit einem Mann, der einer der Führungskader der Neonazi-Organisation Blood und Honour war, seit Jahren Wehrsportübungen organisiert und in einer neuen Gruppe Soldaten um sich geschart hat, im "Nordbund". Der Militärische Abschirmdienst hat Fragen an Soldaten, die ihre Freizeit mit ihm im Wald und im Schießstand verbringen.

MAD: "Es lagen tatsächliche Anhaltspunkte vor"

Doch worum es geht, dazu gibt sich der MAD sehr verschlossen. Ein Sprecher des MAD bestätigt nur, dass es die Befragungen gab und was die Grundlage dafür ist, und verweist dafür auf Gesetzesstellen, die sehr sperrig formuliert sind. Der Dienst ist alarmiert durch "ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes, ausgehend für oder in einer Gruppe oder von Einzelpersonen". Und: "Zu den Verdachtspersonen lagen tatsächliche Anhaltspunkte für derartige Bestrebungen vor."

Übersetzt heißt das: Der MAD befürchtet, dass da Bundeswehrangehörige weit abgerutscht sind und sich im Kampf gegen das demokratische System der Bundesrepublik sehen könnten.

Von zehn Zielpersonen bei den Befragungen berichtet die "Bild", und in Kreisen der Feldjäger wird kolportiert, in dieser Größenordnung seien Personenschützer danach von ihren Aufgaben abkommandiert worden. Das heißt für sie: vorerst keine Dienste mehr an der Seite von Generälen, von Staatssekretären oder Ministerin. Also keine Olive im Ohr mehr und keine halbautomatische P30 im Holster unter dem Jackett, auch keine Auslandseinsätze im Kampfanzug in Krisengebieten.

Insider klagen, der Ausfall habe Folgen für deren Kameraden. Die Belastung bei den Personenschutzkommandos, wo 18-Stunden-Tage keine Seltenheit sind, habe weiter zugenommen. Das Verteidigungsministerium kommentiert das nicht. "Aus Gründen der operativen Sicherheit" will es nicht einmal sagen, wie viele Personenschützer insgesamt in diesem Jahr abkommandiert worden sind.

Antifa-Veröffentlichung zeigte Verbindungen

Dass es zu der Aktion gekommen ist, hat möglicherweise auch mit einer Antifa-Veröffentlichung Monate zuvor zu tun. Die Broschüre umfasst 18 Seiten und berichtet über "Kontinuitäten einer niedersächsischen Neonazizelle". Im Mittelpunkt stehen der "Nordbund" und ihre offenbar zentrale Figur.

Aufgebaut wurde der "Nordbund" um einen langjährigen führenden Kopf der rechtsextremen Szene in Norddeutschland: Johannes K. Der frühere Panzergrenadier redete einst bei "Blood and Honour" maßgeblich mit und wurde nach dem Verbot der Organisation 2008 wegen Weiterführung der Organisation zu einer Geldstrafe verurteilt. Er betrieb eine Wehrsportschule, die Rechtsextremisten Kampftechniken vermittelte: Ausbildungen im Gelände, Schießen, Messerkampf, aber auch Überfälle auf Fahrzeuge und Widerstand gegen Verhörtechniken standen auf dem Plan.

Die Antifaschisten haben ihn auf etlichen Fotos der "Nordbund"-Aktivitäten identifiziert, außerdem auch einen Betreiber von einer Fülle von "Lovemobilen", einem Geschäft, bei dem in der Region wenig ohne den Segen der Hells Angels läuft.

Einige Männer auf Fotos der Gruppe blieben der Antifa aber unbekannt. Es sind überwiegend Soldaten. Bilder aus seinem unter Pseudonym geführten Instagram-Account in der Antifa-Broschüre waren verräterisch. Der Mann dahinter war seit mindestens 2018 immer wieder dabei und eng verbunden mit K. Und er ist Personenschützer.

2011: "Mindestens so gefährlich wie die RAF"

K. war für Anfragen von t-online nicht erreichbar, er habe auch keine E-Mail-Adresse, hieß es zunächst aus dem Tattoo-Studio, das unter seinem Namen im Telefonbuch steht. Beim nächsten Anruf hieß es, das Studio gehöre ihm doch nicht mehr. Dort wurde einst André E., einer der Verurteilten im NSU-Prozess, herzlich empfangen, wie "Frontal 21" berichtete. Als das Umfeld der Mördertruppe Zschäpe, Böhnhardt, Mundlos ausgeleuchtet werden sollte, stand auch K. auf der – allerdings umstrittenen – Liste.

Mit Blick auf K.s Trainings mit Soldaten und Rechtsextremen zitierte 2011 "Frontal 21" den "Helden von Mogadischu", den inzwischen verstorbenen GSG9-Gründer Ulrich K. Wegener, er halte "diese Ausbildungen in der rechten Szene für mindestens genauso gefährlich wie die Rote Armee Fraktion." K. ging vergebens gegen diese Berichterstattung vor. Er wehrte sich auch erfolglos vor Gericht, "Schlüsselfigur der rechten Szene" und "Rechtsextremist" genannt zu werden.

Wenn man K. nach dem "Nordbund" fragen könnte, würde er wohl über Denunziation durch die Antifa schimpfen, den Verdacht einer Wehrsportgruppe mit bestens ausgebildeten Soldaten weit von sich weisen und dafür von Geselligkeit und Wanderungen in der Natur erzählen. Belegt sind Besuche von Kampfsportveranstaltungen in einheitlichem Look mit dem Logo, Reisen etwa nach Irland, Wanderungen, die zu germanischen Kultstätten führten.

Bei Angehörigen des "Nordbunds" geht der Germanenkult so weit, dass sie Veranstaltungen der neuheidnischen neonazistischen "Artgemeinschaft" besuchten, der "Germanischen Glaubens-Gemeinschaft". Bei der "Artgemeinschaft" war auch der Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, Stephan E., ein Gast. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende in Niedersachsen, Julia Willie Hamburg, hat das Auftreten des "Nordbunds" zum Anlass für eine Anfrage "Der Nationalsozialistische Untergrund - Verflechtungen in Niedersachsen" genommen.

Smartphone mit Daten freiwillig herausgegeben

In dieser Gruppe bewegte sich seit vielen Monaten auch der Personenschützer mit dem verräterischen Instagram-Profil. Er soll bei den Befragungen auch gebeten worden sein, in sein Mobiltelefon schauen zu dürfen. Das sei bei allen auf völlig freiwilliger Basis geschehen, erklärt der MAD, das ist "aktenkundig dokumentiert worden". Ausdrücklich sei auch bei den Befragungen auf den Zweck hingewiesen worden, dass Angaben freiwillig seien.

Es fanden sich aber offenbar Chats, die erschreckend waren und den Kreis der Verdächtigen erweiterten: Personenschützer hätten sich rassistische Motive und Hitler-Bilder geschickt, heißt es. Aber auch hier gilt: Weder Verteidigungsministerium noch MAD äußern sich.

Dabei ist der politische Druck auf das Ministerium von Christine Lambrecht (SPD) hoch, die Dimensionen des Einsatzes zu erklären. Denn es handelte sich um ein Vorgehen, das es so noch nicht gab: In der MAD-Aktion wegen der Feldjäger waren Feldjäger eingesetzt.

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Bei dem Einsatz im März waren Feldjäger dabei, die erst kurz zuvor den Zweck erfahren hatten. Sie gingen den MAD-Befragern voraus und sagten den Zielpersonen, dass sie befragt werden sollen und durchsuchten sie. Die Begleiter des MAD waren bewaffnet und trugen Sturmhauben.

Trennungsgebot bei Einsatz verletzt?

Vor dem Einsatz gab es offenbar Sorgen um das Leben und die Gesundheit der MAD-Mitarbeiter, weil den kampfsporterfahrenen Verdachtspersonen alles zugetraut wurde. Das "Umfeld der Befragungen" sei "zum Eigenschutz mit Feldjägerkräften abgesichert" worden, heißt es vom MAD. Der Militärgeheimdienst hat selbst keine Schutzkräfte in seinen Reihen.

Den Feldjägern zur Verstärkung des MAD wurde im letzten Moment gesagt, es gehe um "Bekämpfung rechtsradikaler Strukturen". So hat es einer der eingesetzten Soldaten in einer Vernehmung gesagt, über die zuerst die dpa berichtet hatte. Das Protokoll liegt dpa, "Bild" und t-online vor.

Der Soldat berichtet auch, er und seine Kameraden hätten "einschüchternd" auftreten sollen. Er selbst erkannte zwar einen Kameraden seiner Feldjäger-Kompanie unter den Zielpersonen, kam aber auf einem Fliegerhorst zum Einsatz. Vernommen wurde er, weil er zu dem Einsatz ein Verfahren wegen eines möglichen Dienstvergehens angestoßen hat.

Denn das Zusammenspiel wirft Fragen auf: Feldjäger sind die Polizei der Bundeswehr, der MAD der Geheimdienst. Aber es gilt ein Trennungsgebot für das, was Polizei und Geheimdienst tun. Wenn der MAD aber die Feldjäger für seine Arbeit einsetzte, ihr Auftritt vor der Befragung vielleicht sogar einschüchtern sollte, verschwimmt beides. In der Unionsfraktion, die sonst oft für weitreichende Befugnisse der Sicherheitsdienste eintritt, nennt der verteidigungspolitische Sprecher Florian Hahn dieses Vorgehen einen "Skandal". Sein AfD-Kollege Rüdiger Lucassen sieht das Rechtsstaatsprinzip unter den Umständen "in krimineller Art und Weise verletzt".

Auch von einem möglichen Untersuchungsausschuss ist bereits die Rede. Bei einem derartigen Einsatz ist kaum denkbar, dass er nicht bis ganz oben abgestimmt war. Zumal, wenn es um die Sicherheit der Bundeswehrführung ging. Aber davon weiß das Parlament offenbar bisher nichts.

Feldjäger ringen um Tradition

Lambrechts Ministerium will nicht einmal kommentieren, ob es unter den Personenschützern ein strukturelles Problem geben könnte, wie es sich beim Kommando Spezialkräfte gezeigt hatte. Nach Rechtsextremismusvorwürfen war eine Kommandokompanie aufgelöst und waren Soldaten in andere Kompanien versetzt worden. Die damalige Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte erklärt, mit dem "eisernen Besen" gegen rechtsextreme Umtriebe in der Bundeswehr vorgehen zu wollen – sie hatte die Reform des KSK angeordnet.

Die Personenschützer der Feldjäger haben mit dem KSK gemeinsam, dass es verschworene Gruppen von Elitesoldaten sind, die starken Belastungen ausgesetzt sind, aufeinander angewiesen sind und in denen besonderer Korpsgeist entstehen kann, in dem Fehlverhalten gedeckt wird. Allerdings gab es auch bereits im Fall der KSK-Ermittlungen Eingaben von Soldaten an die Wehrbeauftragte, sie seien zu Unrecht Rechtsextremismusverdacht ausgesetzt.

Die Ermittlungen bei den Feldjägern fallen in eine Zeit, in der dort diskutiert wird, ob das Ministerium nicht übertreibt. Der Leitspruch der Feldjäger seit 1701 – "Suum cuique" – steht im Ministerium auf dem Prüfstand. Die deutsche Übersetzung wurde von den Nationalsozialisten missbraucht und prangte menschenverachtend über dem Eingang des KZ Buchenwald: "Jedem das Seine". Der Begriff beschreibt eigentlich ein klassisches Gerechtigkeitsprinzip und geht auf die römische Philosophie zurück.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Anfragen an MAD, Bundesministerium der Verteidigung, Wehrbeauftragte und Kameradschaft der Feldjäger e.V.
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