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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wie ProSieben gegen Vorwürfe kämpft GNTM und der Geheimnisverrat
Eine der größten Castingshows des Landes steht in der Kritik. Wird hinter den Kulissen von "Germany's Next Topmodel" unsauber gearbeitet? Der Sender bestreitet das – und fährt nun große Geschütze auf.
Geheimnisverrat ist ein großes Wort. Aber genau darum könnte es in der Auseinandersetzung gehen, die sich zwischen ProSieben und Nathalie Volk anbahnt. Und nicht nur bei diesen beiden Parteien herrscht Eiszeit. Auch andere Ex-Teilnehmerinnen von "Germany's Next Topmodel" erheben Vorwürfe gegen das Castingformat, die Produktionsfirma Redseven Entertainment und sogar Heidi Klum persönlich.
Im Kern dreht sich dabei vieles um die Frage: Wie sauber wird bei GNTM gearbeitet? Fingiert die Modelshow Situationen, um es im Fernsehen dramatischer aussehen zu lassen? Das wäre grundsätzlich nichts Neues. TV-Castingformate sammeln Hunderte Stunden Sendematerial, strahlen aber am Ende eine extrem verdichtete, dramaturgisch zugespitzte Episode in streng vorgegebener Länge aus. Bei Heidi Klums Modelshow sind das in der Regel pro Woche 170 Minuten, inklusive Werbepausen.
Hinter den Kulissen solch einer sorgfältig geölten Unterhaltungsmaschine passieren viele Dinge. Nicht alles wird gesendet und nicht alles, was gesendet wird, ist in seiner Ausstrahlungsform eins zu eins authentisch. Im Schnitt werden Szenen aneinandergereiht, die im realen Kontext mehrere Stunden auseinanderliegen. Das ist Normalität im Showbusiness. Jede Teilnehmerin der Sendung weiß, worauf sie sich einlässt. Spätestens ab dem Moment der Vertragsunterschrift.
"Was in der Show passiert, bleibt in der Show"
"Rechte und Pflichten, die sich aus der Teilnahme einer Show ergeben, werden in einem Vertrag festgehalten. Bei GNTM wie bei jeder anderen TV-Show", bestätigt Sendersprecherin Tina Land die vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien auf Nachfrage von t-online. Das ungeschriebene Fernsehgesetz "Was in der Show passiert, bleibt in der Show" wird so durch ein juristisches Gerüst gestützt.
Neben den altbekannten Anklagen, GNTM sei "Fake" und verfahre nach "Drama-Drehbuch", sorgen nun aber vor allem die konkreten Erzählungen über Missstände in der Show für Wirbel. Demnach sei es zu Vorfällen gekommen, bei denen die Gesundheit der Teilnehmerinnen aufs Spiel gesetzt wurde. "Germany's Next Topmodel" sei "Körperverletzung an jungen Frauen", so Nathalie Volk.
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Volk, die im Jahr 2014 bis ins GNTM-Halbfinale kam, schildert eine Situation aus der neunten Staffel. Heidi Klum habe sie in den Pool gestoßen, bis heute trage sie "Narben am Körper wegen Heidi". Als sie nach einem Arzt verlangt habe, sei dieser erst drei Tage später eingetroffen. ProSieben dazu: "Wer bei GNTM einen Arzt braucht oder nach einem Arzt verlangt, bekommt direkt und unmittelbar einen Arzt. Nathalie Volk behauptet in diesem Kontext Dinge, gegen die wir juristisch vorgehen werden."
Doch die 25-Jährige macht weiter. Am Dienstag taucht in ihrer Instagram-Story der Vorwurf auf, jemand habe sie in der Show geschlagen. Ob eine Kontrahentin, ein Mitarbeiter am Set, Heidi Klum oder sonst wer: unklar. Die Brisanz der Aussage dürfte Volk dennoch bewusst sein. Auf Nachfrage von t-online meldet sie sich zwar zurück, antwortet auf unsere Fragen aber nicht vor der Veröffentlichung des Artikels am Dienstagabend.
Eine andere Ex-Kandidatin, die nun mit Vorwürfen gegen die Castingshow ins Rampenlicht gerät, heißt Lijana Kaggwa. 2020 nimmt sie an der Sendung teil. Nun berichtet sie in einem knapp 30-minütigen Video, was "wirklich hinter den Kulissen" passiere. Ein Beispiel: Den Models seien die Füße eingecremt worden, damit sie auf dem Laufsteg ausrutschen und für den größtmöglichen Schockeffekt vor laufenden Kameras hinfallen. Auch dieser Vorwurf wiegt schwer, impliziert er doch, die Produktion nehme Verletzungen der Teilnehmerinnen bewusst in Kauf. Beweise legen die Frauen für ihre Behauptungen allerdings bislang nicht vor.
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"Das ist Quatsch. Es wurden nie Füße eingecremt, damit Models ausrutschen", widerspricht Tina Land auf Anfrage. Aussage gegen Aussage, ein paar wenige Models gegen einen Großkonzern, emotionale Äußerungen gegen minutiös ausgearbeitete Vertragswerke: Die Fronten scheinen klar, die Machtverhältnisse auch. Doch das beweist noch lange nicht, wer in der Sache recht hat.
"Insgesamt haben bislang 340 Kandidatinnen bei GNTM in den Top 20 gestanden. Einige üben Kritik, die wir ernst nehmen. Andere – wie zum Beispiel Nathalie Volk – erheben mit acht Jahren Abstand Vorwürfe um einen Poolplanscher, die haltlos sind", schildert die GNTM-Sprecherin die aus ihrer Sicht eindeutige Lage. Der Tenor: Einige gescheiterte Ex-Kandidatinnen treten nach. Alles nicht der Rede wert. Doch der Sender gibt im gleichen Atemzug zu: Einen Teil der Kritik nehme man ernst. Welche Kritik konkret gemeint ist, sagt die Sprecherin nicht.
"Die Kandidatinnen werden von einem Psychologen begleitet"
Immer wieder ist von großem psychischem Druck die Rede. Zumal GNTM-Kandidatinnen oft sehr jung sind, minderjährig in vielen Fällen. Erst die diesjährige Staffel bricht die Altersstruktur auf. Erstmals sind auch Frauen über 50 Jahren Teil der Modelsuche. Die Härte des Modegeschäfts gilt jedoch für alle gleichermaßen, weswegen Heidi Klum nie müde wird zu betonen, ihre Models müssen resilient sein – und dem Druck der Branche standhalten können.
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"Die Kandidatinnen werden von einem Psychologen begleitet. Zudem werden sie von unterschiedlichen Expertinnen gecoacht", teilt der Sender auf Nachfrage mit. Es ist also keine steile These, anzunehmen, dass Kandidatinnen auf Klums Karrieresprungbrett plötzlich Bammel bekommen – und am liebsten kehrtmachen wollen. Doch der psychische Druck: Geht er wirklich von der Produktion aus oder ist er in der Modelbranche ohnehin gang und gäbe? Anzunehmen ist, dass eine Modelcastingshow die Simulation eines realen Modelcastings ist. Insofern können und müssen, so schmerzhaft die Erfahrungen wohl sein mögen, psychische Belastungsproben Teil von GNTM sein. Mit dem Erfahrungsschatz von 17 Staffeln ist es demnach nur logisch, dass ProSieben mit Psychologen zusammenarbeitet.
Bleibt also der Vorwurf der Körperverletzung, der derzeit durch die sozialen Medien hallt wie Heidi Klums Quietschstimme, wenn sie ihre "Meeeeeedchen" begrüßt. Nachfrage beim Sender: Hat ProSieben die Befürchtung, mit Schadensersatzforderungen konfrontiert zu werden? Klare Antwort: "Nein". Sowieso sei es doch offensichtlich, warum diese Anschuldigungen nun erhoben werden. Sprecherin Tina Land erklärt: "GNTM ist Deutschlands größte TV-Marke. Da hat es inzwischen Tradition, dass sich um ein Finale Organisationen oder ehemalige Kandidatinnen positionieren, um dankbar mediale Aufmerksamkeit zu genießen."
"Die Vertragsstrafe soll vor Pflichtverstößen abschrecken"
Tatsächlich steht die letzte Folge unmittelbar bevor. Am Donnerstag um 23 Uhr wird Heidi Klum ihr Topmodel 2022 küren und die Störgeräusche, so viel ist klar, mit keiner Silbe erwähnen. Ein Nachspiel dürfte es nur juristisch geben. Denn die Geheimhaltungsverträge, die die Kandidatinnen unterschreiben, bieten ProSieben diverse rechtliche Möglichkeiten. Arndt Hengstler, Rechtsanwalt und Autor des Standardwerkes "Die Geheimhaltungsvereinbarung", erklärt mögliche Konsequenzen so: "Vertragsstrafen bieten sich an, da konkrete Schäden häufig schwer zu beziffern und damit geltend zu machen sind. Ferner soll die Vertragsstrafe vor Pflichtverstößen abschrecken." Heißt: In den Papieren sind bereits Summen genannt, die drohen, sollte sich ein Model mit streng vertraulichen Informationen an die Öffentlichkeit wenden.
Mehr noch: "Neben Vertragsstrafen sind konkrete Schadensersatzforderungen möglich", so Hengstler zu t-online. Auch Unterlassungserklärungen seien die Regel. Auf Nachfrage will ProSieben nicht konkretisieren, welche Schritte sie gegen Nathalie Volk und Lijana Kaggwa einleiten wollen. Geheimsache, vermutlich. Doch auch die Kandidatinnen sind nicht ohne Möglichkeiten. Zivilrechtlich sind sie zwar zur Geheimhaltung gezwungen, bestätigt Hengstler, fügt aber an: "Der Einleitung eines Strafverfahrens steht dies grundsätzlich nicht entgegen."
Es sei anzunehmen, dass sich die Verträge "vornehmlich auf Daten und Informationen" beziehen, die für den Sender von "finanzieller, technischer und wirtschaftlicher Bedeutung sind". Darunter fallen beispielsweise Angaben zu Honoraren. "Wird eine Kandidatin bei der Produktion Opfer einer Körperverletzung, so ist die entsprechende Handlung einer anderen Person wahrscheinlich kein Datum oder eine Information", erklärt der Anwalt weiter. Kurz gesagt: Sollte Nathalie Volk wegen des Tatbestands der Körperverletzung aktiv werden wollen, wird sie der Geheimhaltungsvertrag daran nicht hindern können.
- Eigene Recherchen
- Anfrage an Red Seven Entertainment
- Anfrage bei Rechtsanwalt Arndt Hengstler
- Instagram: Profil von Nathalie Volk
- YouTube: "Germany’s next Topmodel - was passiert wirklich hinter den Kulissen?"